Das Handbuch Prävention – ein Muster mit Spielraum

Was sind Grundprinzipien und Abläufe der Präventionsarbeit? Welche Prozesse stecken hinter den Präventionsleistungen der Unfallversicherungsträger? Was ist bei der Anwendung zu berücksichtigen? Das Muster-Handbuch Prävention bietet Orientierung bei diesen Fragen. Dieser Beitrag beschreibt den aktuellen Stand, die geplante Fortschreibung und praktische Anwendungsbereiche.

Ziel des Muster-Handbuchs Prävention ist es, dem Präventionshandeln der Unfallversicherungsträger im gewerblichen, öffentlichen und im Bildungsbereich einen einheitlichen Rahmen zu geben. Das Muster-Handbuch orientiert sich an den zehn Präventionsleistungen der Unfallversicherungsträger.[1] Es beschreibt im Sinne des Qualitätsmanagements insbesondere die Führungs- und Leistungsprozesse im Bereich der Prävention. Unfallversicherungsträgern, die derzeit kein derartiges Instrument nutzen, bietet es die Möglichkeit, dieses Muster als Grundlage für ein trägerspezifisches Handbuch zu verwenden. Darüber hinaus können auch Unfallversicherungsträger, die bereits ein eigenes Handbuch entwickelt haben, ihr Handbuch ergänzen.

Stand des Muster-Handbuchs Prävention

Aktuell stehen den Unfallversicherungsträgern die Ausarbeitungen zu den folgenden Präventionsleistungen im Intranet UV-Net Prävention zur Verfügung:

  • Überwachung einschließlich anlassbezogener Beratung
  • Beratung auf Anforderung
  • Ermittlung
  • Anreizsysteme (in Vorbereitung)

 

Beweggründe für ein Muster-Handbuch Prävention

Die Geschäftsführungen der gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand beschlossen 2017, dem Beratungsverständnis der Unfallversicherungsträger eine neue strategische Ausrichtung zu geben. Das Präventionshandeln zu harmonisieren, wurde damit als ein strategischer Arbeitsschwerpunkt festgelegt. In einem ersten Schritt wurde ein „Gemeinsames Verständnis der Überwachungs- und Beratungstätigkeit der Unfallversicherungsträger“[2] erarbeitet, das von den Präventionsleiterinnen und Präventionsleitern der Unfallversicherungsträger mitgetragen wurde. Im Zuge der Erarbeitung dieses „Gemeinsamen Verständnisses“ wurde deutlich, dass ein umfangreicherer Ansatz notwendig ist, der alle zehn Präventionsleistungen umfasst. 

In der Folge beauftragte die Geschäftsführerkonferenz die DGUV, ein Muster-Handbuch Prävention zu entwickeln, das für alle zehn Präventionsleistungen abgestimmte dahinterliegende Prozesse beschreibt.

Ein Muster-Handbuch Prävention der Unfallversicherungsträger kann auch weiteren interessierten Institutionen, wie zum Beispiel dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) oder den Arbeitsschutzbehörden der Länder, Einblicke in die Prozesse der Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger geben.

Zur Erarbeitung dieses Handbuchs wurde eine Projektgruppe eingesetzt, in der Fachleute verschiedener Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und der DGUV zusammenarbeiten. 

Das Handbuch soll als Basis für ein einheitliches Vorgehen der Präventionsdienste der Unfallversicherungsträger in den Betrieben, Behörden und Bildungseinrichtungen dienen. Dabei war von Anfang an auch Zielvorstellung, träger- und branchenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Notwendige Spielräume beziehungsweise Freiheitsgrade sollen weiter gegeben sein. Außerdem bietet das Muster-Handbuch Orientierung für Fachleute der Prävention und über die Prävention hinaus. Schließlich findet es auch Anwendung im Rahmen der Ausbildung, insbesondere für Aufsichtspersonen und weitere Präventionsfachkräfte. 

Die Struktur des Handbuchs orientiert sich an grundlegenden Eckpunkten von Qualitätsmanagementsystemen. Dabei spielt generell die Beschreibung von Prozessen eine wichtige Rolle. Über die Prozesssicht lassen sich relevante Abläufe eines Unternehmens gut nachvollziehen und steuern. Im Handbuch Prävention geht es, wie im Qualitätsmanagement auch, darum, Führungs-, Leistungs- und Unterstützungsprozesse zu beschreiben. Als Leistungsprozesse werden im Fall des Handbuchs die Präventionsleistungen der Unfallversicherungsträger verstanden. Die Struktur des Handbuchs ermöglicht es, den Besonderheiten der einzelnen Unfallversicherungsträger zu entsprechen und es kontinuierlich und flexibel an Neuerungen anzupassen. Auch bereits bestehende interne Festlegungen – zum Beispiel das QVQ-Handbuch (Qualitäts-Verbund Qualifizierung) oder weitere bereits bestehende Regelungen für den Dienstbetrieb – lassen sich in das Schema des Handbuchs integrieren.

Das Handbuch Prävention in der Praxis

Das Sozialgesetzbuch regelt im Siebten Buch (SGB VII) den gesetzlichen Präventionsauftrag für alle Unfallversicherungsträger. Diesen gesetzlichen Rahmen füllen die Unfallversicherungsträger branchenspezifisch aus. Dennoch ist eine trägerübergreifende Harmonisierung des Präventionshandelns sinnvoll. Die DGUV unterstützt die Unfallversicherungsträger bei der Erfüllung ihrer Präventionsaufgaben und hat in den Jahren 2004 bis 2008 einen „Katalog der Präventionsleistungen“ erarbeitet.[3][4] Er dient als Rahmenkonzept und schafft Transparenz hinsichtlich der Präventionsleistungen, die die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erbringen. Sie bilden das Grundverständnis für ein modernes und qualitativ hochwertiges Präventionshandeln.

Die Unfallversicherungsträger entwickeln für ihr branchenspezifisches Vorgehen in der Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren eigene Prozesse, die um spezifische Produkte ergänzt werden. Das Handbuch beschreibt Leitplanken, innerhalb derer die Unfallversicherungsträger ihre jeweilige trägerspezifische Prozesslandschaft gestalten. Es ist zugleich eine Vorlage für diejenigen Unfallversicherungsträger, die für sich selbst ein Handbuch oder einen Leitfaden erstellen wollen.

Praxisbeispiel 1: Berufsgenossenschaft Holz und Metall

Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) versichert 245.000 Mitgliedsunternehmen. Von den insgesamt mehr als 3.000 Beschäftigten der BGHM sind  439 [5] in den Präventionsbezirken als Aufsichtspersonen tätig. Die Betreuung der versicherten Unternehmen erfolgt in sechs Präventionsbezirken an insgesamt 21 Standorten. Ferner verfügt die BGHM über sechs eigene Bildungsstätten. An vier weiteren Bildungsstätten ist sie über einen Berufsgenossenschaftlichen Bildungsstätten-Verein sowie ein Schulungszentrum beteiligt.

Bei der BGHM sind alle Präventionsprozesse seit 2018 im „Leitfaden Betriebsbetreuung“ beschrieben und verbindlich festgelegt. Dieser Leitfaden basiert auf dem Muster-Handbuch der DGUV und steht allen Beschäftigten über das Intranet zur Verfügung. Er definiert Begriffe und legt im Rahmen der Prävention ein Mindestmaß von einheitlichem Handeln gegenüber den Mitgliedsbetrieben, Versicherten und sonstigen Beteiligten fest.

Fachprozessmanagerinnen und -manager sind für die inhaltliche Ausgestaltung des „Leitfadens Betriebsbetreuung“ unter Berücksichtigung des Muster-Handbuchs zuständig. Sie verwenden dabei stets die aktuelle Fassung, die im UV-NET/Portal Prävention von der DGUV zur Verfügung gestellt wird. Durch eine Dienstanweisung wurde der „Leitfaden Betriebsbetreuung“ für verbindlich erklärt. Ziel ist die Gestaltung von Handlungssicherheit für die Beschäftigten sowie eine homogene Außenwirkung und die Gleichbehandlung der versicherten Betriebe. Bei der BGHM richtet sich der Leitfaden an mehrere Zielgruppen:

Führungskräfte

Sie verantworten die Umsetzung der im „Leitfaden Betriebsbetreuung“ festgelegten Prozesse.

Personal der Prävention

Der Leitfaden gibt Aufsichtspersonen Orientierung im täglichen Handeln. Die Rolle der Aufsichtspersonen als Generalisten (und damit erste Beratungsebene für die Betriebe) in allen Fragen zu Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit wird dort beschrieben. Weiterhin ist dort der interne Prozess der themenspezifischen Einbindung von Expertinnen und Experten der BGHM (zweite Beratungsebene) sowie weiterer Expertinnen und Experten im System der gesetzlichen Unfallversicherung definiert.[6]

Aufsichtspersonen im Vorbereitungsdienst

Aufsichtspersonen lernen durch den Leitfaden das von der Präventionsleitung erwartete Vorgehen bei der Betreuung der Betriebe. Dazu zählen unter anderem:

  • Ansprechen der Gefährdungsbeurteilung bei jedem Betriebsbesuch
  • Besichtigungsturnus in Abhängigkeit der Betriebsgröße und Kennzahlen der Betriebe
  • Pflichtdokumentation im Anwendungssystem vita.APPLICATIONS

Organisationsübergreifendes Handeln

Der „Leitfaden Betriebsbetreuung“ dient auch dazu, zwischen unterschiedlichen Hauptabteilungen der BGHM Transparenz zu schaffen. So wird die Schnittstelle zwischen der Hauptabteilung Rehabilitation und der Hauptabteilung Prävention bei der Ermittlung von Berufskrankheiten transparent beschrieben.

Ein Handbuch für die Zukunft

Das Muster-Handbuch Prävention ist für die BGHM eine wichtige Voraussetzung für die Ausgestaltung ihres individuellen Präventionshandelns und für ein möglichst einheitliches trägerübergreifendes Vorgehen in der Prävention. Es ist ebenfalls eine Grundlage für die Beschreibung eines auf die Zukunft ausgerichteten Präventionshandelns.

Praxisbeispiel 2: Unfallkasse Hessen

Die Unfallkasse Hessen (UKH) ist in Hessen der gesetzliche Unfallversicherungsträger für alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Kita- und Schulkinder, Studierende, ehrenamtlich Tätige, Haushaltshilfen und private Pflegepersonen. Circa 2,8 Millionen Menschen sind bei der UKH gesetzlich unfallversichert, davon 1,5 Millionen Kinder in Tageseinrichtungen, Schülerinnen und Schüler sowie Studierende. In der Präventionsabteilung sind 30 Aufsichtspersonen, zehn wissenschaftliche Mitarbeitende sowie zwölf Assistenzen beziehungsweise Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter tätig. Neben dem Hauptsitz in Frankfurt am Main ist noch ein Regionalbüro in Kassel eingerichtet.

Auf den ersten Blick ist die Zahl der Mitarbeitenden sowie der zu betreuenden Betriebe und Bildungseinrichtungen überschaubar. Ist die Einführung eines Handbuchs Prävention da überhaupt notwendig? Kurze Wege und flache Hierarchien ermöglichen eine qualitativ und quantitativ hochwertige Kommunikation. Fragestellungen können schnell geklärt, Beschlüsse gefasst und Standards festgelegt werden. Durch vermehrte Telearbeit, Homeoffice-Regelungen und einen der Demografie geschuldeten Generationenwechsel entstand aber verstärkt Handlungsbedarf. Benötigt wurden dokumentierte Abläufe, die den Mitarbeitenden vor allem Handlungssicherheit in der qualitativen Ausübung ihrer Tätigkeit geben. Die Zusammenfassung von Dokumentationen an einer Stelle ist aus zwei Gründen notwendig:

  • Der Aktualisierungsaufwand muss überschaubar bleiben. 
  • Die Mitarbeitenden müssen schnell die für sie notwendigen Informationen erhalten. 

Grundsätzlich muss zudem sichergestellt sein, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einheitlich vorgehen. 

Aus diesem Grund setzte die Präventionsabteilung der UKH schon vor einiger Zeit „Regelungen für den Dienstbetrieb“ in Kraft. Diese beschreiben organisatorische Abläufe (wie zum Beispiel Vertretungsregelungen, Berichtswesen, Sitzungsintervalle und -abläufe) sowie Abteilungsziele, strategische Ausrichtungen und die zur Verfügung stehenden Präventionsleistungen. Alle Mitarbeitenden – insbesondere neu eingestellte – sollen damit einen verlässlichen Rahmen für ihre eigenen Kompetenzen und für die Arbeitsabläufe erhalten. Auch werden relevante Dokumente verlinkt, sodass den Mitarbeitenden alle wichtigen Informationen an einer Stelle zur Verfügung stehen. Die Regelungen werden von einem festgelegten Personenkreis regelmäßig aktualisiert und vom Präventionsleiter in Kraft gesetzt. 

Darüber hinaus wurde ein Managementhandbuch Qualifizierung eingeführt. Dieser Schritt geht auf die Entscheidung zurück, das Qualitätsrahmenmodell als Bestandteil des Qualitätsverbunds Qualifizierung (QVQ) für die eigene Präventionsdienstleistung „Qualifizierung“ zu übernehmen. Das Managementhandbuch unterstützt die involvierten Personen darin, das gesamte pädagogische und organisatorische Handeln im Rahmen der Qualifizierung aufeinander abgestimmt und reflektiert zu behandeln.

Vor allem das Managementhandbuch Qualifizierung hat gezeigt, dass es von Vorteil ist, wenn:

•    alle Prozesse definiert und dokumentiert sind
•    die für diese Prozesse benötigten Ressourcen bestimmt und deren Verfügbarkeit sichergestellt ist
•    die Verantwortung für die Prozesse festgelegt ist
•    die Schnittstellen der Prozesse identifiziert sind
•    die Zusammenarbeit zwischen den Prozessverantwortlichen und -beteiligten geklärt ist
•    die Kenngrößen und Kriterien zur Lenkung der Prozesse definiert sind, anhand derer die Qualität der Prozesse überwacht wird 
•    zur Bewertung der Prozesse durch die Leitung ein geeignetes Verfahren eingeführt ist

Die UKH sieht das  Muster-Handbuch Prävention als geeignetes Instrument, um Lücken in den bestehenden Prozessbeschreibungen der Präventionsleistungen zu schließen beziehungsweise zu ergänzen oder zu korrigieren. Es kann so sichergestellt werden, dass ein gesetzter Qualitätsrahmen für ein einheitliches Präventionshandeln Berücksichtigung findet, was wiederum für alle Beteiligten Handlungssicherheit bedeutet. Sukzessive wird nun überprüft, welche Teile des Muster-Handbuchs übernommen werden können und welche trägerspezifischen Besonderheiten der UKH ergänzt werden müssen. 
 

Fazit

Die beiden Praxisbeispiele zeigen, dass das Muster-Handbuch Prävention einen einheitlich nutzbaren und gleichzeitig trägerspezifisch adaptierbaren Rahmen zur Verfügung stellt. Die zuständige Projektgruppe wird dadurch bestärkt, die weitere Ausarbeitung des Handbuchs engagiert voranzutreiben. Aktuell betrifft dies die Präventionsleistung „Anreizsysteme“. Als Ausblick in die Zukunft lässt sich abschließend sagen: Neben der inhaltlichen Vervollständigung im Hinblick auf bislang noch für das Handbuch zu bearbeitende Präventionsleistungen wird die Digitalisierung des Muster-Handbuchs weiterentwickelt mit dem Ziel einer noch größeren Nutzerfreundlichkeit.