SARS-CoV-2: Lehren einer Prävention im Krisenmodus

Die Prävention von SARS-CoV-2 hat die Arbeits- und Bildungswelt geprägt wie kein anderes Ereignis der letzten Jahre. Sie stellte und stellt die gesetzliche Unfallversicherung vor neue Herausforderungen. Neue Formen der Zusammenarbeit und Werkzeuge, die in der jetzigen Krise erprobt werden, können auch bei der Bewältigung künftiger Veränderungsprozesse von Nutzen sein, zum Beispiel bei der weiteren Gestaltung der Digitalisierung.

SARS-CoV-2 als Krise und extremer Veränderungsprozess

Die COVID-19- oder SARS-CoV-2-Pandemie betrifft das gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Leben gleichermaßen und damit die ganze Arbeits- und Bildungswelt. Ziel der gesetzlichen Unfallversicherung ist es, den Betrieben und Einrichtungen den für ihre Aktivitäten notwendigen Freiraum zu erhalten beziehungsweise nachhaltig wiederzugeben, indem die Sicherheit und Gesundheit von Versicherten auch in der Pandemie gewährleistet wird – dem Paradigma "Schutz schafft Freiraum" folgend.[1]

Obwohl die gesetzliche Unfallversicherung das Geschehen um SARS-CoV-2 früh beobachtete und darüber informierte, traf die Krise mit dem Lockdown im März 2020 auch die Prävention der Unfallversicherung mit voller Wucht. Gleichzeitig waren im System der Unfallversicherung wichtige Grundlagen vorhanden, um mit einem solch extremen Ereignis umzugehen: Die Unfallversicherung ist durch das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) als System branchenorientierter, nicht im unmittelbaren wirtschaftlichen Wettbewerb stehender Unfallversicherungsträger organisiert. Mit der DGUV und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SLFG) bestehen Institutionen, die gemeinsames Handeln und Synergien fördern. Das sind gute Voraussetzungen für die Zusammenarbeit in der Krise, denn diese dem System innewohnende Vielfalt und Branchennähe erlauben ein schnelles, selbstorganisiertes Handeln in einem koordinierten Gesamtrahmen. Zusammenarbeit ist geübte Praxis, so zum Beispiel im Kompetenznetzwerk der Fachbereiche der DGUV, die dezentral von Unfallversicherungsträgern geführt werden und bereits vor der Krise über digitale Arbeitsplattformen wie das Präventionsforum+[2] verfügten, in die auch Beteiligte außerhalb der Unfallversicherung unkompliziert einbezogen werden können.

1. Phase: Die Unfallversicherungsträger unterstützen unmittelbar

Obwohl die SARS-CoV-2-Pandemie nur sehr bedingt vorhersehbar war, so war doch der Rahmen für das Handeln der Unfallversicherung durch den gesetzlichen Auftrag und die Selbstverwaltung gegeben. Beispiele für diesen Rahmen sind das Positionspapier der gesetzlichen Unfallversicherung zur Prävention[3], das trägerübergreifende Kompetenznetzwerk der Fachbereiche der DGUV[4] oder die jüngste Positionierung zur Überwachung und Beratung im Wandel.[5] Dieser Wandel kam im Frühjahr 2020 in einer extremen Form.

Ziel der gesetzlichen Unfallversicherung ist es, den Betrieben und Einrichtungen den für ihre Aktivitäten notwendigen Freiraum zu erhalten beziehungsweise nachhaltig wiederzugeben.

In der Initialphase der Krise zeigte sich der Vorteil des dezentral organisierten Systems der Unfallversicherungsträger: Die gewerblichen und landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sowie die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand begleiteten die Betriebe und Einrichtungen von Anfang an und praktisch ohne eine zentrale Koordinierung. Teile der Wirtschaft und öffentlichen Einrichtungen liefen weiter. Beispiele waren die Bau- und Landwirtschaft, der Handel, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Notbetreuungen für Kinder. Aus den Erfahrungen der Unfallversicherungsträger, die diese Branchen während des Lockdowns begleiteten, konnten später mit Beginn der Lockerungen alle anderen Unfallversicherungsträger und damit Branchen profitieren. Den Wendepunkt hin zum Wiederanlauf der Arbeits- und Bildungswelt markierte die Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 15. April 2020.[6] Der Beschluss des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards[7] durch das Bundeskabinett am 16. April 2020 war ein weiterer Meilenstein. Mit dem Arbeitsschutzstandard ist ein bundeseinheitlicher Handlungsrahmen zur Vermeidung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren durch SARS-CoV-2 in den Unternehmen geschaffen worden. Die Unfallversicherungsträger erhielten darin den Auftrag, den allgemeinen Standard bei Bedarf branchenspezifisch zu konkretisieren.

2. Phase: Die gesetzliche Unfallversicherung organisiert und orientiert sich

Mit Beschluss des Standards wurde der Corona-Arbeitsschutzstab des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) ins Leben gerufen. Er "soll dafür sorgen, diese Schutzstandards sowohl einzuführen als auch weiterzuentwickeln und an die Pandemieentwicklung anzupassen. Dabei unterstützen Expertinnen und Experten der Sozialpartner, der Arbeitsschutzbehörden, der Länder, der Unfallversicherungsträger sowie aus der Wissenschaft das BMAS."[8]

Alle Unfallversicherungsträger hatten für die Betriebe und Einrichtungen bereits frühzeitig "Corona-Seiten" im Internet eingerichtet[9] und die Beratung über Telekommunikation verstärkt. Es galt nun Ende April, einerseits die gezeigten Vorteile und das unmittelbare Engagement des dezentral organisierten Systems der Unfallversicherungsträger weiter zu nutzen und gleichzeitig Formen der Zusammenarbeit, Abläufe und Werkzeuge zu finden, die ein in der Gesamtschau koordiniertes Handeln der Unfallversicherung im Zusammenwirken mit den weiteren Akteurinnen und Akteuren ermöglichten. Wichtig war und ist dabei in der Krisensituation, den experimentellen Charakter des gesamten Handelns weiter aufrechtzuerhalten. Organisationen tendieren dazu, Ordnung zu schaffen. In einer Situation wie der SARS-CoV-2-Pandemie ist jedoch ein dauerhaft experimenteller Zustand der geeignetere.[10] Es gilt, in kürzester Zeit die jeweils relevanten Akteurinnen und Akteure, die zur Lösung eines akuten Problems erforderlich sind, zusammenzubringen. Dabei unterscheiden sich die Probleme und entsprechend die Lösungen von Fall zu Fall und damit die verbundenen Formen der Zusammenarbeit und Entscheidungswege. In der Krise bleibt manchmal keine Zeit für Abstimmungen über das notwendige Mindestmaß hinaus – die Krise folgt dem im Umgang schwierigen und hier zugespitzten Paradigma: "Es gibt keine Zuspätgekommenen, nur Zurückgebliebene." Entscheidungen sind trotz Unsicherheiten zu treffen. Es bleibt keine Zeit für bürokratische Zusatzaufwände oder gar Kompetenzgerangel. Diese Anforderungen in der Krise stellen ein geordnetes, auf Konsens basierendes System wie das der Unfallversicherung vor große Herausforderungen.

Mit einem Steuerkreis der gesetzlichen Unfallversicherung zur Prävention von SARS-CoV-2 (kurz: GUV Steuerkreis "Prävention von SARS-CoV-2") wurde Ende April 2020 auf der Verwaltungsebene ein zeitlich befristetes Spiegelgremium zum Corona-Arbeitsschutzstab geschaffen, das diesen experimentellen Status fördert. Der Steuerkreis setzt sich zusammen aus den Präventionsleitungen der gewerblichen und landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sowie Vertretungen der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand. Mit dabei sind außerdem Vertretungen des BMAS, des Länderausschusses für Arbeitssicherheit und Sicherheitstechnik (LASI) sowie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Aufgabe des Steuerkreises ist es, die selbstorganisierte Zusammenarbeit sowie die schnelle Reaktionsfähigkeit der Prävention der Unfallversicherung und weiterer Akteurinnen und Akteure durch direkte, persönliche Vernetzung und Kommunikation zu fördern. Der Steuerkreis hat als solcher bewusst keine eigene Entscheidungsautorität – seine Stärke ist die Vernetzung von Akteurinnen und Akteuren. Der Steuerkreis koordiniert das Präventionshandeln der Unfallversicherung, stimmt sich bei kurzfristigem Handlungsbedarf ab und gibt Empfehlungen an Gremien der gesetzlichen Unfallversicherung für die übergeordnete fachliche und fachpolitische Positionierung der gesetzlichen Unfallversicherung. Er macht das Handeln der Unfallversicherung auch für andere Beteiligte transparent.

GUV Steuerkreis | © Dr. Jochen Appt
Zeitlich befristeter Steuerkreis der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) und seine Arbeitsgruppen ©Dr. Jochen Appt

Der GUV Steuerkreis gliedert sich in vier Arbeitsgruppen (siehe Abbildung), die sich arbeitsteilig um Aufgaben kümmern (Beispiele in Klammern):

  • Arbeitsgruppe Arbeitswelt (zum Beispiel trägerübergreifendende Fragen erkennen und deren Lösungsfindung koordinieren sowie Vorschläge zur Anpassung des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards und der zwischenzeitlich in Entwicklung befindlichen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel formulieren)
     
  • Arbeitsgruppe Bildungswelt (Informationsplattform von Handlungshilfen im Bildungsbereich entwickeln und anpassen; SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard im Hinblick auf Besonderheiten des Bildungsbereichs überprüfen und Anpassungsvorschläge entwickeln)
     
  • Arbeitsgruppe Überwachung und Beratung (Muster-Handlungsleitfaden „Überwachung und Beratung zur Prävention von SARS-CoV-2“ entwickeln als Grundlage für den Wiederanlauf der Überwachung und Beratung der Unfallversicherungsträger vor Ort in den Betrieben und Einrichtungen; Begleitung der Einbindung einer ebenfalls in Entwicklung befindlichen GDA-Leitlinie für ein gemeinsames Handeln der Aufsichtsorgane im Arbeitsschutz)
     
  • Arbeitsgruppe Qualifizierung (Konzepte für den Wiederanlauf des Bildungsbetriebs der Unfallversicherungsträger und für Qualifizierungsangebote)

3. Phase: Koordiniertes Handeln mit maximaler Selbststeuerung des Systems

Die Unfallversicherungsträger entwickeln gemäß dem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard die branchenspezifischen Konkretisierungen. Dies erfolgt grundsätzlich in der Verantwortung des jeweiligen Unfallversicherungsträgers. Das machte schnelle Hilfe für die Betriebe und Einrichtungen erst möglich. Gleichzeitig birgt es die Gefahr von Widersprüchen bei der parallelen Entwicklung von Konkretisierungen durch unterschiedliche Zuständige. Die Herausforderung einer Gesamtkoordination besteht daher darin, mit minimalem Aufwand eine Gesamtübersicht aller branchenspezifischen Konkretisierungen zu schaffen. Diese ist weniger für Betriebe und Einrichtungen notwendig, denn diese kennen ihren Unfallversicherungsträger und wenden sich direkt an diesen. Eine Gesamtübersicht wird aus anderen Gründen benötigt: Erstens ermöglicht sie Institutionen wie dem BMAS, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, den Länderbehörden des Arbeits- und Infektionsschutzes, den Fachbereichen der DGUV und weiteren Institutionen einen einfachen und zentralen Zugang zu allen branchenspezifischen Konkretisierungen, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, welcher Unfallversicherungsträger für die jeweilige Branche zuständig ist. Zweitens macht sie im Sinne der Qualitätssicherung gegebenenfalls vorhandene Widersprüche, Doppelungen oder Lücken branchenspezifischer Konkretisierungen erkennbar. Drittens schafft sie durch Benennung jeweils direkter Ansprechpersonen für jede Branche eine Grundlage für eine unmittelbare Kontaktaufnahme.

In der Krise bleibt zum Teil keine Zeit für Abstimmungen über das notwendige Mindestmaß hinaus – die Krise folgt dem Paradigma 'Es gibt keine Zuspätgekommenen, nur Zurückgebliebene'.

Die Gesamtübersicht der branchenspezifischen Konkretisierungen wurde Ende April fertiggestellt und wird seither regelmäßig aktualisiert und weiterentwickelt. Sie ist in zwei Versionen verfügbar: Im Internet der DGUV ist eine öffentliche Version erhältlich,[11] die auf Basis des sogenannten Wirtschaftszweige-Schlüssels (WZ-Code) über eine Stichwortsuche per Mausklick direkt zu den branchenspezifischen Konkretisierungen und Handlungshilfen auf der Internetseite des Unfallversicherungsträgers führt. Für den Gebrauch innerhalb der Unfallversicherung und als Angebot für Behörden steht außerdem im Extranet der Unfallversicherung (UV-NET) sowie auf Nachfrage eine erweiterte Fassung zur Verfügung, die zusätzlich direkte Ansprechpersonen und Kontaktdaten für jede Branche angibt. 

Darüber hinaus wurde ein zentrales Informationsportal für Bildungseinrichtungen geschaffen.[12] Es stellt sowohl übergreifende als auch länderspezifische Informationen und Ansprechpersonen bereit. Zur branchenspezifischen Konkretisierung des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards und hinsichtlich der dort versicherten Personengruppen, die keine Beschäftigten sind, wurden für Kitas, Schulen und Hochschulen spezifische SARS-CoV-2 Schutzstandards erarbeitet sowie länderspezifische Informationen und Hinweise der Unfallkassen, Berufsgenossenschaften und Bundesländer gebündelt. Die SARS-CoV-2-Schutzstandards sind auf die besonderen Rahmenbedingungen der jeweiligen Bildungseinrichtung zugeschnitten und bilden einen bundesweiten Handlungsrahmen. Sie werden auf der Grundlage von aktuellen wissenschaftlichen und politischen Entwicklungen ständig angepasst.

Ein weiteres zentrales Produkt für ein gemeinsames und gleichzeitig trägerspezifisch ausgestaltetes Handeln der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Muster-Handlungsleitfaden "Überwachung und Beratung während der Corona-Pandemie". Er dient dazu, Aufsichtspersonen und Präventionsfachkräfte bei der Überwachungs- und Beratungstätigkeit in den Betrieben und Bildungseinrichtungen zu unterstützen und ihnen hierfür

  • konkrete Hilfen an die Hand zu geben, mit denen sie die Betriebe und Bildungseinrichtungen während der SARS-CoV-2-Pandemie beraten können,
  • Werkzeuge für erforderliche Durchsetzungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen, wenn gegen die Hygienevorschriften oder Abstandsregeln verstoßen wird,
  • Hinweise zum Fremd- und Eigenschutz im Sinne der Sicherheit und Gesundheit aller Beteiligten zu geben.

Der Muster-Handlungsleitfaden richtet sich an die Präventionsleitungen der Unfallversicherungsträger. Er gilt ausdrücklich nicht unmittelbar für die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger, sondern ist eine gemeinsame Grundlage für trägerspezifische Regelungen. Der Muster-Handlungsleitfaden wird regelmäßig an die weiteren politischen und fachlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie angepasst. Teile des Muster-Handlungsleitfadens können gegebenenfalls als Beitrag in eine GDA-Leitlinie einfließen, andere Teile eine solche Leitlinie dort ergänzen, wo der gesetzliche Auftrag der Unfallversicherung den Auftrag der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht der Länder ergänzt, zum Beispiel im Bereich von Versichertengruppen außerhalb des Geltungsbereichs des Arbeitsschutzgesetzes.

4. Phase: Begleitung der Betriebe und Einrichtungen in einer ungewissen Entwicklung

Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags steht die kontinuierliche Begleitung der Betriebe und Einrichtungen durch die Unfallversicherungsträger in einer weiterhin ungewissen Entwicklung der Pandemie im Mittelpunkt. Branchenspezifische Konkretisierungen werden ergänzend entwickelt beziehungsweise an die Erfahrungen der betrieblichen Praxis und neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. Die Verantwortlichen für die Sicherheit und Gesundheit in den Betrieben und Einrichtungen sollten dabei weiterhin unterstützt werden, die sowieso bestehende Pflicht zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen auch als große Chance zu erkennen: Es können Maßnahmen maßgeschneidert für die jeweilige betriebliche Situation festgelegt werden statt "Eine-für-alle"-Lösungen. 

Hier stellt sich auch die Frage nach der Überwachung und Durchsetzung von Maßnahmen. Wie verbindlich ist der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard? Die Unfallversicherung überwacht und setzt gegebenenfalls Maßnahmen auch durch. Allen, die die Frage mit dem Unterton stellen "Muss ich denn wirklich? Kann ich dazu gezwungen werden?", sei die Lektüre der Medienberichte zu Corona-Hotspots und den Auswirkungen auf die Betriebe und Einrichtungen empfohlen – auch zur Frage einer möglichen "zweiten Welle" im Herbst oder Winter. Das Virus ist die schärfste Kontrolle, mit der Gefahr, dass bei einem Ausbruch Betriebe und Einrichtungen ihre Arbeit befristet einschränken oder einstellen müssen. Es gilt weiterhin: "Schutz schafft Freiraum"[1] für die Betriebe und Einrichtungen. Und: "Die wichtigste Ressource im Kampf gegen die Pandemie: das verständige und besonnene Verhalten der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung."[13] Dies gilt es zu fördern.

Infektionsschutz bleibt eine komplexe Aufgabe

Eine weitere Herausforderung bleibt auch in dieser Phase groß: Dadurch, dass alle Lebensbereiche betroffen sind, ist der Infektionsschutz in der Arbeits- und Bildungswelt komplex. Neben Beschäftigten gibt es andere Personengruppen wie zum Beispiel Kundinnen und Kunden oder das Publikum bei Veranstaltungen. Anforderungen des allgemeinen Infektionsschutzes, des Arbeitsschutzes und weiterer Rechtsbereiche treffen hier unter Zeitdruck und bei unvollständiger Wissensbasis aufeinander. Länderbezogene Regelungen stehen dem bundeseinheitlichen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard gegenüber. Alle Akteurinnen und Akteure sind auf politischer und fachlicher Ebene gefordert, für den Bereich der Arbeits- und Bildungswelt widerspruchsfreie, wirksame und verhältnismäßige Reglungen nach dem jeweils aktuellen Kenntnisstand zu treffen – innerhalb eines gemeinsamen Handlungsrahmens. 

Ende Mai 2020 drohte das bis dahin abgestimmte Vorgehen von Bund und Ländern zunehmend auseinanderzufallen. Die gesetzliche Unfallversicherung betrachtet diese politische Entwicklung im Umgang mit der Corona-Pandemie mit großer Sorge. Folgende Schritte erscheinen zielführend: 
• Die politisch Verantwortlichen setzen weiterhin einen gemeinsamen Handlungsrahmen – unter Anerkennung der politischen und rechtlichen Lage und Zuständigkeiten –, in dem die Maßnahmen zur Minimierung der Infektionszahlen ebenso wie die Schritte zur Lockerung der Auflagen im Arbeits-, Privat- und im öffentlichen Leben koordiniert werden.
• Grundlage des Handlungsrahmens sind weiterhin wissenschaftliche Erkenntnisse – unter steter Berücksichtigung neue Forschungsergebnisse.
• Alle relevanten Institutionen auf Bundes- wie auf regionaler Ebene tauschen sich aus, um unter Anerkennung der politischen, epidemiologischen und rechtlichen Lage den gemeinsamen Handlungsrahmen an die aktuelle Lage anzupassen und weiterzuentwickeln.

Es gibt Hoffnung machende Beispiele für ein Handeln aller Beteiligten in dieser Richtung. Wie etwa das Gespräch auf Staatssekretärsebene zur Umsetzung des Corona-Arbeitsschutzstandards im Kulturbetrieb für Bühnen und Studios, bei dem Ende Mai neben Vertretungen der Bundes- und Landesministerien auch der Deutsche Bühnenverband, Vertretungen der staatlichen Arbeitsschutzbehörden der Länder und für die Branche zuständigen Berufsgenossenschaften sowie Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand teilnahmen.

Die wichtigste Ressource im Kampf gegen die Pandemie: das verständige und besonnene Verhalten der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung.

Abstimmungen auf der politischen und übergeordnet fachlichen Ebene kosten mitunter Zeit – die beim Auftreten auch von Corona-Hotspots nicht vorhanden ist. Es gilt, einfache operative Prozesse zu finden, die dazu beitragen, dass sich die maßgeblichen Behörden und weiteren Akteurinnen und Akteure auf Hotspots bezogen schnell und selbstorganisiert vernetzen. Gerade auf regionaler Ebene ist es wichtig, dass man sich im Arbeitsschutz nicht nur untereinander, sondern darüber hinaus auch mit anderen zentralen Einrichtungen, zum Beispiel Gesundheitsämtern, dem Zoll, über die jeweiligen Aufgaben, Leistungen und Zugänge austauscht. So können sich die betroffenen Behörden regional und selbstorganisiert vor Ort vernetzen, um das weitere Vorgehen zur Eindämmung und Bekämpfung eines Corona-Hotspots abzusprechen.

5. Phase: Vom Krisen- in einen Stand-by-Modus

Die Pandemiesituation hat im ersten Halbjahr 2020 große Teile der Ressourcen der Prävention der gesetzlichen Unfallversicherung gebunden, sowohl der Unfallversicherungsträger als auch der DGUV. Das ging und geht zulasten anderer Aktivitäten. Auch wurde die in einem System wie der Unfallversicherung wichtige Meinungsbildung aufgrund der Krisensituation zum Teil auf ein Mindestmaß reduziert. Anders hätten die Betriebe und Einrichtungen nicht in der notwendigen Schnelligkeit unterstützt werden können. Mit Abklingen der Krise gilt es innezuhalten.

Es wird erforderlich sein, den Aufwand für die Prävention von SARS-CoV-2 durch Routine und der Pandemieentwicklung folgend zu reduzieren. Nach den bis jetzt vorliegenden Erkenntnissen über die Entwicklung der Pandemie könnten die Sommermonate 2020 von einem insgesamt niedrigen Infektionsgeschehen mit regionalen oder branchenspezifischen Hotspots gekennzeichnet sein. Offen ist, ob der Herbst und der Winter 2020/2021 eine „zweite Welle“ bringen und welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse es geben wird. Die nun etablierten Formen der Zusammenarbeit und Prozesse sollten in einen „Stand-by-Modus“ geschaltet werden, wo immer das die Situation erlaubt, um situativ wieder zeitlich befristet aktiviert zu werden. Wichtig wird zudem sein, zu den etablierten Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen zurückzukehren und die Rückbindung mit den Gremien der Unfallversicherungsträger und der DGUV zu intensivieren.

Was bleibt und was kommen könnte

Die SARS-CoV-2-Pandemie wird die gesetzliche Unfallversicherung verändern: Erstens werden die gelernten neuen Formen der Zusammenarbeit, Prozesse und Werkzeuge dazu beitragen, noch schneller und mit mehr Routine auf Krisen zu reagieren sowie damit Betriebe und Einrichtungen und auch die politisch Verantwortlichen zu unterstützen. Zweitens sind Signale zu beobachten, dass die Corona-Pandemie zu einer Ausweitung von mobiler Arbeit und Heimarbeit führen könnte und damit zu einer beschleunigten Herausforderung an die Prävention im Zuge der Digitalisierung. Und nicht zuletzt ist die Krisensituation ein Beispiel für einen massiven Veränderungsprozess, wie er im Zuge der Digitalisierung, des demografischen Wandels und der Globalisierung immer wieder zu erwarten ist. Die weiterhin konsequente Etablierung moderner digitaler Werkzeuge in der Unfallversicherung für die Meinungsbildung, Entscheidungsfindung und Zusammenarbeit auch über räumliche Distanzen hinweg ist ein wichtiger Baustein, genauso wie eine angemessene Führungskultur für eine Zeit des Umbruchs und starker Veränderungen.