Ein "offenes Ohr" in Zeiten der Krise: das Reha-Management der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft

Das Coronavirus beeinflusst auch die Arbeit von Reha-Managerinnen und Reha-Managern der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU). Mit dem Ziel der bestmöglichen Versorgung und Betreuung sind sie – immer unter dem Gebot des physischen Abstands – weiterhin für die Versicherten im Einsatz.

Am Anfang war die Lage recht unübersichtlich, nicht nur wegen der unterschiedlichen Regelungen in den beiden Bundesländern, in denen ich arbeite", beschreibt Tom Holzapfel, Reha-Manager der BG BAU aus Süddeutschland, die ersten Tage der Corona-Krise. Beispielsweise rief die Landesregierung in Bayern den Katastrophenfall aus. Die Klinikdirektoren mussten dann alle "fremden" Personen aus Infektionsschutzgründen aus den Kliniken entfernen. "Ich war zu Hause und habe erst mal Termine abgesagt." Auch Karin Wild erging es so. Als Reha-Koordinatorin der BG BAU ist sie fest vor Ort in der BG Klinik Ludwigshafen eingesetzt und betreut die Versicherten während des gesamten stationären Aufenthaltes. "Ich ging mit meinem Laptop und einem Monitor nach Hause und habe dann von dort aus telefoniert", berichtet sie. "Zum Glück hatte ich alle Kontaktdaten, die ich brauchte. Viele Patienten haben mich angerufen, weil sie verunsichert waren, wie es weitergeht." 

Den erhöhten Gesprächsbedarf haben auch Stefan Kalkbrenner und Marina Sommer aus Baden-Württemberg, beide im Reha-Management tätig, erlebt: "Viele Versicherte hingen plötzlich in der Luft, weil beispielsweise Anschlussheilbehandlungen, nötige Untersuchungen oder Physiotherapien abgesagt wurden", so Stefan Kalkbrenner. Marina Sommer hatte rund zwei Monate nicht mehr persönlich, sondern ausschließlich am Telefon ein "offenes Ohr" für Versicherte, Ärztinnen und Ärzte sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Bestehende Kontakte wurden weiterhin gepflegt. "Die meisten Patienten waren verzweifelt, es gab regional kaum Angebote, alles lag brach. Durch den telefonischen Kontakt konnte ich beruhigen und signalisieren, dass wir uns kümmern, wenn es wieder losgeht. Es war für alle schwierig", erinnert sie sich.

Die Kontaktbeschränkungen warfen Fragen auf: Wie kann ein effektives Reha-Management aufrechterhalten werden? Welcher Schutz ist für die Mitarbeitenden der BG BAU im Außendienst erforderlich?

Die aktuelle COVID-19-Pandemie stellte nicht nur das Leben von Patientinnen und Patienten, sondern auch das der Reha-Managerinnen und Reha-Manager gehörig auf den Kopf. Das Ziel war, trotz Pandemie den Kundinnen und Kunden weiterhin helfen zu können. Klinikschließungen, Kontaktvermeidung und ein eingeschränktes Therapieangebot erforderten jedoch ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität für eine erfolgreiche Beratung der Versicherten.

Partnerschaftlicher Kontakt zahlt sich aus

Wo sonst der persönliche Kontakt im Mittelpunkt steht und das wichtigste Instrument des Reha-Managements darstellt, müssen in der Krise neue Arbeitsweisen zum Einsatz kommen. Der über die Jahre aufgebaute und gut gepflegte partnerschaftliche Kontakt zu allen Beteiligten – zum Beispiel dem ärztlichen und therapeutischen Personal in den Kliniken – war für Reha-Manager Tom Holzapfel eine wesentliche Grundlage dafür, dass er unter den gesetzlich vorgeschriebenen Kontaktbeschränkungen weiterarbeiten konnte. Er betreut Versicherte aus Baden-Württemberg und Bayern in der Nähe von Ulm.

Der Süden Deutschlands war am Anfang der Pandemie ein Hotspot für die Ausbreitung des Virus. Die damit einhergehenden strengen Kontaktbeschränkungen warfen viele Fragen auf: Wer ist systemrelevant und darf weiterarbeiten? Gehören Reha-Managerinnen und Reha-Manager dazu? Wie kann unter den gegebenen Umständen ein effektives Reha-Management aufrechterhalten werden? Welcher Schutz ist für die Mitarbeitenden der BG BAU im Außendienst erforderlich? Die Antworten auf diese Fragen waren während der ersten Phase der Kontaktbeschränkungen nicht in allen Kliniken, Arzt- und Therapiepraxen klar. Nahezu täglich gab es neue Informationen zum Umgang mit dem Coronavirus.

Flexibel und konstruktiv in der Krise

Nach den anfänglichen Schwierigkeiten zeigt die Corona-Krise wieder einmal auf, wie wichtig zuverlässige Netzwerke für das Reha-Management sind. Sehr schnell haben sich alle Beteiligten auf die neue Situation eingestellt und konstruktive Lösungen erarbeitet, um die Betreuung der Verletzten sicherzustellen. Ein engmaschiger Austausch mit den Netzwerkpartnerinnen und -partnern stellt sicher, dass das Reha-Management die erforderlichen Informationen über die aktuellen Gegebenheiten in den Kliniken und über neue Maßnahmen zeitnah erhält. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zeichnet sich dabei auch durch den flexiblen Einsatz von neuen Kommunikationsmitteln, insbesondere durch telemedizinische Beratungsangebote, aus.

Das war kein einfaches Arbeiten. Ohne eine vertrauensvolle und sehr kooperative Zusammenarbeit mit den Kliniken und ihren Mitarbeitenden und ohne die Möglichkeit des mobilen Zugriffs auf unsere Akten hätte es nicht funktioniert.

Tom Holzapfel

Stefan Kalkbrenner berichtet, dass er mit einem Arbeitgeber und einem Versicherten per Videokonferenz klären konnte, wie die Weiterbeschäftigung im Betrieb gelingen kann. "Ich erhielt einen Link, das funktionierte, und zum Schluss haben sich alle zufrieden in die Augen geblickt. Per Telefon wären das mehrere Anrufe gewesen und ich hätte nur schwer einschätzen können, ob alle die gefundene Lösung mittragen", erklärt Stefan Kalkbrenner. "Ich denke, dass wir in Zukunft viele Prozesse auch auf digitalen Wegen klären können, aber nicht in Situationen, in denen erst eine Vertrauensbasis gefunden werden muss."

Zugeschaltet in den Spezial-Reha-Sprechstunden

Auch Tom Holzapfel musste sich umstellen. Sein Alltag besteht im Wesentlichen aus Terminen, an denen er die Versicherten zu individuellen, vielfältigen Fragen zum Reha-Prozess und den Leistungen der BG BAU berät. Meist ist er unterwegs und sucht die Versicherten persönlich auf. Er ist außerdem bei wöchentlich stattfindenden Spezial-Reha-Sprechstunden mit Oberärztinnen und Oberärzten dabei und betreut die Versicherten in Kliniken des Schwerstverletzungsartenverfahrens (SAV). "In diesen Sprechstunden geht es vorrangig darum, wie der Übergang von der Akutversorgung zur weiterführenden Rehabilitation nahtlos und ohne Verzögerungen oder Komplikationen gelingen kann. Meine Aufgabe ist es, alle konkreten Maßnahmen im Reha-Plan festzuhalten und diese mit den Beteiligten abzusprechen und zu genehmigen", erklärt er seine Aufgaben vor Ort. Deshalb war es Tom Holzapfel auch so wichtig, dass der Service des Reha-Managements weiterläuft, auch wenn der persönliche Kontakt nicht mehr möglich war. Aus dem Homeoffice heraus wurde gemeinsam mit dem ärztlichen Personal beschlossen, einen neuen und eher unkonventionellen Weg auszuprobieren.

Diese Spezial-Reha-Sprechstunden – vielerorts ersatzlos gestrichen – sollten in Ulm weiterhin auf freiwilliger Basis für die Verletzten stattfinden können. Dank des Entgegenkommens der Ärztinnen und Ärzte wurde Tom Holzapfel telefonisch per Lautsprecherfunktion zugeschaltet. Vor Ort griff dann das Klinikpersonal zur Tastatur, schickte die Reha-Pläne zum Drucker und ließ diese von den Versicherten unterschreiben. Während kurzer Pausen suchte Tom Holzapfel nach verfügbaren Plätzen in Reha-Kliniken oder organisierte ambulante Physiotherapietermine. Auch für die Versicherten stellten sich durch die Ungewissheit neue Fragen, zu denen sich der Reha-Manager immer wieder informieren und auf den neuesten Stand bringen musste. "Das war kein einfaches Arbeiten", merkt Tom Holzapfel an. "Ohne eine vertrauensvolle und sehr kooperative Zusammenarbeit mit den Kliniken und ihren Mitarbeitenden und ohne die Möglichkeit des mobilen Zugriffs auf unsere Akten hätte es nicht funktioniert."

Gut angenommen

Tom Holzapfel hat zwar nicht genau Buch geführt, war aber überrascht, dass das freiwillige Angebot gut von den Versicherten angenommen wurde. Die Ärztinnen und Ärzte in den Ulmer SAV-Kliniken waren sehr flexibel und konnten sich schnell auf die neuen Rahmenbedingungen einlassen. Zum Beispiel wurden Wege ermöglicht, damit Versicherte zeitnah Rezepte und Verordnungen erhielten. Tom Holzapfel schätzt, dass rund 80 bis 90 Prozent der Eingeladenen zu den Sprechstunden kamen, bei denen er telefonisch zugeschaltet war: "Die Versicherten waren froh, überhaupt versorgt zu werden, während viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte anfänglich – wohl auch aufgrund fehlender Schutzkleidung und Masken – teilweise nur zögerlich erreichbar waren. Oft habe ich die Rückmeldung bekommen, dass die Versicherten dies außerordentlich wertgeschätzt haben. Ich bin froh, dass ich dazu beitragen konnte, dass alle notwendigen Maßnahmen weiterlaufen und ein kleines Stück Normalität hergestellt werden konnte."

Die Sicherheit von Beschäftigten und Versicherten hat Priorität

Die befürchtete hohe Welle an Infektionen in Deutschland ist dank der vorausschauenden Maßnahmen bisher ausgeblieben. Aus diesem Grund wurde Mitte Mai in den Kliniken langsam damit begonnen, den Normalbetrieb schrittweise wieder aufzunehmen und persönliche Gespräche vor Ort zu ermöglichen. Auch die BG BAU hat in diesem Zuge die Außendiensttätigkeit im Reha-Management überall dort wieder aufgenommen, wo es möglich war.
Für die BG BAU steht der Schutz von Beschäftigten und Versicherten weiterhin an erster Stelle, sodass Außendienstkontakte ausschließlich mit entsprechender Schutzausrüstung durchgeführt werden dürfen. Alle Reha-Managerinnen und Reha-Manager sowie die Reha-Koordinatorinnen und Reha-Koordinatoren in den BG-Unfallkliniken wurden dazu mit Schutzmasken und Desinfektionsmitteln ausgestattet. Ihre Führungskräfte haben nach Rücksprache mit den Beschäftigten eine Risikoabschätzung vorgenommen, um den Einsatz im Außendienst individuell anpassen zu können. Dazu entwickelte der Krisenstab der BG BAU eine Gefährdungsbeurteilung, die die Vorgesetzten bei der Risikoeinschätzung unterstützt.

In den Kliniken hat sich einiges geändert: Die Bestellpraxis orientiert sich nun an der Größe des Wartebereichs, damit der nötige Abstand eingehalten werden kann.

Marina Sommer

Karin Wild ist seit Ende Mai wieder in der BG Klinik Ludwigshafen vor Ort. Ihr Arbeitstag beginnt mit Fiebermessen am Eingang der Klinik. Sie hält den nötigen Abstand ein und trägt eine Schutzmaske, auch wenn ihr das Atmen damit schwerer fällt und sie abends sehr müde ist. "Wir werden noch eine Weile so arbeiten müssen. Es ist für alle schwierig, auch für die Patienten und Dolmetscher. In Gesprächen muss man durch die Masken öfters mal nachfragen. Und ich gehe derzeit nicht auf die Akutstationen. Erforderliche Erstberatungsgespräche mache ich am Telefon", berichtet sie von ihrem aktuellen Berufsalltag. Auch ihre Kollegin Marina Sommer ist wieder im Außendienst in den Kliniken. Ihre Körpertemperatur wird ebenfalls am Eingang gemessen und sie hinterlässt für alle Fälle ihre Kontaktdaten. Marina Sommer beobachtet, dass sich in den Kliniken einiges geändert hat: "Die Bestellpraxis orientiert sich nun an der Größe des Wartebereichs, damit der nötige Abstand eingehalten werden kann." Wann sie Versicherte wieder zu Hause besuchen kann, ist noch nicht absehbar: "Das hängt neben dem Risiko auch davon ab, ob sie sich gut dabei fühlen, jemanden von außerhalb in die Wohnung hineinzulassen."

In der Pandemie von den Stärken profitieren

Auch wenn das Reha-Management der BG BAU von einem „Normalbetrieb“ noch weit entfernt ist, so ist und war die nahtlose Versorgung der Versicherten zu jeder Zeit sichergestellt. Gerade während der Corona-Pandemie profitiert das Reha-Management von seinen Stärken und den langjährig etablierten Strukturen. Die Einschränkungen und Schwierigkeiten der vergangenen Wochen haben noch einmal verdeutlicht, wie wichtig eine Steuerung und die Kommunikation durch das Reha-Management sind. Nicht nur für die Versicherten, sondern auch für die Kliniken sind die Reha-Managerinnen und Reha-Manager wichtige Ansprechpersonen und erfahren weiterhin großen Zuspruch. In der aktuellen Situation, in der die Versicherten zusätzlich zu den Sorgen durch den Arbeitsunfall auch noch mit weiteren Unsicherheiten konfrontiert werden, ist das Reha-Management eine wichtige Unterstützung, die gern angenommen wird.

"Lotsen" im Heilverfahren

Reha-Managerinnen und Reha-Manager übernehmen im Heilverfahren eine Lotsenfunktion. In Absprache mit Ärztinnen und Ärzten, Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie den Verletzten selbst koordinieren sie alle Aktivitäten bis zur Genesung sowie zur beruflichen und sozialen Wiedereingliederung. Sie zeigen den Verletzten Wege und Möglichkeiten zur Rückkehr ins Berufsleben auf und erläutern die dafür vorhandenen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung.

Vorrangiges Ziel aller Aktivitäten ist der Erhalt des ursprünglichen Arbeitsplatzes und die Wiederaufnahme der bisherigen beruflichen Tätigkeit. Erst wenn dies nicht möglich ist, werden gemeinsam mit den Betroffenen andere geeignete Tätigkeiten oder Berufsfelder gesucht.

In der Regel nehmen Reha-Managerinnen und Reha-Manager frühzeitig Kontakt mit den Versicherten auf – häufig bereits während des akutstationären Aufenthalts. In den berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken (BG Kliniken) spielt die Reha-Koordination der BG BAU eine wesentliche Rolle. Versicherte werden dort vor Ort betreut – während des gesamten stationären Aufenthaltes von der Aufnahme bis zur Entlassung.