Versicherungsschutz für Wege zur Nahrungsaufnahme aus dem Homeoffice heraus
Eine mit Zustimmung und Billigung des Arbeitgebers im Homeoffice arbeitende und an betriebliche Vorgaben gebundene Arbeitnehmerin, die während der (vorgegebenen) Mittagspause auf dem Rückweg vom Erwerb einer Mittagsmahlzeit zum alsbaldigen Verzehr im häuslichen Bereich verunglückt, steht gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
§ Bayerisches LSG, Urteil vom 20.06.2024 – L 17 U 215/23
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hatte bereits Anfang des Jahres 2024 durch den 3. Senat (Urteil vom 15.01.2024 – L 3 U 168/23, NZV 2024, S. 304) über einen Weg zur Nahrungsaufnahme im Homeoffice zu urteilen und im selben Sinne entschieden. Damals war einem in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer, der als Radfahrer während einer Mittagspause auf dem Rückweg vom Erwerb einer Mittagsmahlzeit bei einem Metzger ebenfalls zum Verzehr im häuslichen Bereich verunglückt war, entsprechend Versicherungsschutz zuerkannt worden. In beiden Fällen stellten die Senate in ihren Feststellungen darauf ab, dass es sich um einen Weg während einer „in die betrieblichen Abläufe integrierten Mittagspause“ gehandelt hatte. Solche Wege halten beide erkennende Senate des Gerichts für vom Schutz der Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII umfasst.
Der Unfallversicherungsträger hatte in beiden Fällen damit argumentiert, dass die Gleichstellung des Arbeitens im Homeoffice mit der Tätigkeit auf der Betriebsstätte nach § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII nur auf Unfälle beim Tätigwerden auf der Betriebsstätte und demgemäß beim Homeoffice im häuslichen Bereich bezogen sei. Eine umfängliche Gleichsetzung auch für die nach § 8 Abs. 2 SGB VII versicherten Wege habe der Gesetzgeber ausweislich der Stellung der Vorschrift in § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII und auch der Gesetzesbegründung, in der ausdrücklich nur Wege zur Nahrungsaufnahme im häuslichen Bereich selbst genannt seien, nicht beabsichtigt. Dem stimmte das Gericht im Grundsatz zu, sah aber in den zu entscheidenden Fällen gleichwohl einen Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gegeben, basierend auf den vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Grundsätzen zum Versicherungsschutz für Wege zur Nahrungsaufnahme während der Mittagspause.
Das Bayerische LSG stellt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG auch in dem hier zu entscheidenden Fall darauf ab, dass der Versicherungsschutz für Wege zur Nahrungsaufnahme außerhalb der Betriebsstätte darauf beruhe, dass die beabsichtigte Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit diene. Zudem handele es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt sei, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten (vgl. BSG, Urteil vom 27.10.2010 – B 2 U 23/09 R; BSG, Urteil vom 02.12.2008 – B 2 U 17/07 R). Letzterem Gesichtspunkt weist das Bayerische LSG beim Homeoffice eine gleichbleibende Bedeutung zu. Eine im Homeoffice beschäftigte Person müsse durch betriebliche Vorgaben und Zwänge persönlich so in die betriebliche Ablauforganisation eingebunden sein, dass eine Einbeziehung des Weges zwecks Beschaffung einer Mahlzeit zum alsbaldigen Verzehr in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung geboten sei.
Dies sah der Senat aufgrund der bestehenden Vorgabe des Arbeitens an einem häuslichen Arbeitsplatz (anders als bei anderen Formen des mobilen Arbeitens) sowie der durch die Teilnahme an Meetings und Teamsitzungen bestehenden Bindung an bestimmte Termine für gegeben. Die Pausen hätten zwar – im Rahmen dieser Möglichkeiten – individuell gestaltet werden können, jedoch sei auch die Dauer der Pause (45 Minuten) festgelegt worden. Damit sei die Klägerin in den betrieblichen Ablauf fest eingebunden gewesen – anders als in dem vom BSG (Urteil vom 18.06.2021 – B 2 U 7/12 R, NVZ 2015, S. 91) entschiedenen Fall zu einem Restaurantbesuch am Abend, von dem aus der Versicherte seinerzeit an den häuslichen Arbeitsplatz zur Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit zurückkehren wollte. Sie habe nicht zeitlich beliebig „rund um die Uhr“ zur Nahrungsaufnahme einen beliebigen Ort aufsuchen können, sondern war nicht zuletzt auch wegen der Dauer der Pause in den zeitlichen Möglichkeiten, ein Restaurant aufzusuchen, gebunden.
Die sachlich sehr akzentuierte und an den konkreten Ausgestaltungen des Arbeitsablaufs im Homeoffice gezogene Parallele zum Arbeiten im Betrieb vermag zu überzeugen: Das Bayerische LSG räumte ein, dass ein häuslicher Arbeitsplatz sich zweifelsohne von einem betrieblichen Arbeitsplatz unterscheidet. In der Regel bestünden im häuslichen Bereich Kochgelegenheiten und es könnten Lebensmittel zum sofortigen Verzehr vorgehalten werden. Dies rechtfertige es jedoch nach Auffassung des Senats nicht, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu beschränken. Auch im Homeoffice bestehe das betrieblich bedingte Erfordernis, durch eine rasche und unkomplizierte Nahrungsbeschaffung oder -aufnahme die Arbeitsfähigkeit für den weiteren Arbeitstag zu erhalten. Die Annahme, dass zu Hause stets eine verzehrfertige Mahlzeit zur Verfügung steht, die von den im Homeoffice Beschäftigten nur eingenommen zu werden braucht, entspreche nicht der heutigen Lebensrealität.
Im Ergebnis wird es, wenn man dieser Entscheidung folgt, also auf den konkreten Tagesablauf einer im Homeoffice arbeitenden Person ankommen, um Wege zur Nahrungsaufnahme nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch aus dem Homeoffice heraus als versichert anzuerkennen. Man darf gespannt sein, ob das BSG sich dem anschließt oder sogar eine weitergehende Einbeziehung aller Wege zu einem von der versicherten Person selbst gewählten Zeitpunkt und Dauer mit dem Ziel einer (in die betriebliche Tätigkeit eingeschobenen) Nahrungsaufnahme dem Versicherungsschutz unterstellt. Dem steht allerdings das Bedenken entgegen, dass der Gesetzgeber mit der systematischen Stellung der Gleichsetzung des Arbeitens im Homeoffice mit der Tätigkeit im Betrieb in § 8 Abs. 1 SGB VII nur Wege auf der Betriebsstätte mit solchen in der häuslichen Umgebung gleichbehandeln wollte. Damit muss für einen Unfallversicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII streng an den vom BSG entwickelten Grundsätzen zur Betriebsbezogenheit solcher Wege festgehalten werden.
Auch in dem vom 3. Senat des Bayerischen LSG entschiedenen Fall hatte der Kläger nach den konkreten Feststellungen ab 8:00 Uhr bis kurz vor 12:00 Uhr betriebliche Termine in Form von Videokonferenzen und -besprechungen absolviert und seinen Weg zur Beschaffung einer Mittagsmahlzeit in der 35-minütigen Pause bis zur nächsten Videokonferenz angetreten. Auch dies rechtfertigte nach der Entscheidung eine Gleichbehandlung mit Wegen zur Nahrungsaufnahme außerhalb der Betriebsstätte. Für die Praxis dürften mit den aufgezeigten Maßgaben an eine vergleichbare Einbindung in die betriebliche Arbeitsorganisation als Bedingung für eine Anerkennung von Versicherungsschutz bei Wegen außerhalb der Wohnung nicht unerhebliche Ermittlungen erforderlich sein. Sie werden aber einer gebotenen Zurückhaltung gegenüber einem befürchteten Unfallversicherungsschutz „rund um die Uhr“, wie ihn skeptische Stimmen verschiedentlich zum Ausdruck bringen, gerecht.
Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.