Gesunde Führung im Gesundheits- und Sozialwesen

Umstrukturierungen im Gesundheits- und Sozialwesen haben an Dynamik gewonnen. In dieser Branche ist die aktuelle Arbeitssituation geprägt durch Personalmangel und Krisen. Das hat Auswirkungen: Der Krankenstand ist auf einem Rekordhoch. Die Gesundheit der Beschäftigten wird zu einem zentralen Schlüsselfaktor für das Management im Gesundheits- und Sozialwesen.

Es gibt zahlreiche Faktoren, die in einem Zusammenhang mit der aktuellen Arbeits- und Gesundheitssituation im Gesundheits- und Sozialwesen stehen, und nicht alle können von den Einrichtungen verändert werden. „Gesundheitsfördernde Führung“ zu etablieren, ist eine Möglichkeit, die aktuelle Situation zu gestalten. Führungskräfte, die die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden fördern, anerkennen einen Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit der Beschäftigten sowie ihrer eigenen Gesundheit. Sie reduzieren Arbeitsunfähigkeiten nicht auf ein persönliches Problem, sondern behalten auch die betrieblichen Rahmenbedingungen und das eigene Führungsverhalten im Blick.

Das obere Management

Zur Etablierung einer gesundheitsfördernden Führung sind alle Hierarchieebenen gefragt. Die obere Führungsebene schafft die Rahmenbedingungen und gestaltet ein Gesundheitsklima. Das Management räumt der Gesundheit der Mitarbeitenden einen ebenso großen Stellenwert ein wie den ökonomischen Zielen. Sicherheit und Gesundheit wird als Leitgedanke auf der Organisationsebene verankert, das heißt, der hohe Stellenwert von Gesundheit bei der Arbeit ist vorgegeben und wird gelebt. Verbesserungsvorschläge zum Thema Sicherheit und Gesundheit werden berücksichtigt. Gesundheitsgerechtes Verhalten am Arbeitsplatz – zum Beispiel die Einhaltung von Pausen – wird gefördert und Führungskräfte werden angehalten, gesundheitsfördernd zu führen.

Die Arbeits- und Gesundheitssituation der Führungskräfte

Die Unterstützung beginnt bei der Gestaltung der Arbeits- und Gesundheitssituation von Führungskräften. Vor allem die untere Ebene der operativen Führungskräfte gibt im Vergleich zur mittleren und oberen Führungsebene einen schlechteren Gesundheitszustand an.[1] Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass das Verhältnis von Arbeitsanforderungen (Arbeitsintensität/Zeitdruck) und Ressourcen (Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum) nicht ausgewogen ist. Dies könnte auch an der sogenannten Sandwichposition liegen: Führungskräfte müssen zwischen widersprüchlichen Anforderungen der Geschäftsführung und den Mitarbeitenden vermitteln. Dies kann zu schwierigen Entscheidungssituationen führen, zum Beispiel zwischen der Einführung neuer Standards zur Qualitätssicherung und damit verknüpft veränderten Arbeitsabläufen (Interesse der oberen Führungsebene) und der Fortsetzung gewohnter Abläufe (Interesse der Mitarbeitenden). Egal, welche Entscheidung die Führungskraft trifft, sie kann es nicht allen recht machen. Häufen sich solche Situationen, können sie als erheblicher Stressfaktor wirken. Verschiedene Studien konnten den Zusammenhang zwischen der Arbeitssituation der Führungskräfte und der Arbeits- und Gesundheitssituation der Beschäftigten belegen. Je ausgeprägter die Arbeitsintensität der Führungskraft ist, desto weniger soziale Unterstützung erhalten die Mitarbeitenden von ihren Vorgesetzten; je geringer die soziale Unterstützung ist, desto geringer ist die Arbeitszufriedenheit und umso stärker die emotionale Erschöpfung der Beschäftigten.[2] Die Gestaltung einer gesunden Arbeits- und Gesundheitssituation auf allen Führungsebenen stellt daher eine zentrale Herausforderung dar. Zudem spielt die Förderung einer gesunden Selbstführung eine wichtige Rolle.

Gesunde Selbstführung

Die gesunde Selbstführung unterstützt Führungskräfte im Umgang mit belastenden Situationen.[3] Das Ziel ist es, als Führungskraft die eigene Gesundheit im Blick zu behalten. Die gesunde Selbstführung basiert auf drei Ebenen:

  1. Gesundheitsvalenz/Stellenwert der eigenen Gesundheit: Die eigene Gesundheit hat einen großen Stellenwert und wird selbstverständlich berücksichtigt. Aber was passiert, wenn der Wunsch, gesund zu sein, mit anderen Werten in Konflikt gerät wie etwa Pflichtbewusstsein oder Leistungsbereitschaft? 
  2. Gesundheitsbezogene Achtsamkeit: Ich merke, wenn es mir nicht gut geht. Es gelingt mir, die Warnsignale einer Überlastung wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Lässt sich das Eingeständnis einer Überforderung mit dem Bild einer erfolgreichen, belastbaren und engagierten Führungspersönlichkeit vereinbaren?
  3. Selbstwirksamkeit, Gesundheitsverhalten: Gesundheitsfördernde Verhaltensweisen kennen und anwenden, nicht nur in der Freizeit, sondern auch bei der Arbeit. Bin ich überzeugt, dass ich als Führungskraft Änderungen an meinem Arbeitsplatz vornehmen kann, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken?

Wenn Führungskräfte ihrer eigenen Gesundheit einen großen Stellenwert bei der Arbeit einräumen, achtsam mit Warnsignalen bei der Arbeit wie Unkonzentriertheit, Gereiztheit, Hektik umgehen und  eigene Strategien bei der Arbeit entwickeln, indem sie zum Beispiel Prioritäten setzen und Unterstützungsangebote annehmen, fördern sie aktiv die eigene Gesundheit.

Die Grundannahme ist, dass Führungskräfte, die auf ihre eigene Gesundheit achten, auch die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden verstärkt berücksichtigen. Sie werden von den Mitarbeitenden als authentisch wahrgenommen. Studien belegen, dass Führungskräfte ein wichtiges Vorbild sind und Mitarbeitende Einstellungen und Verhalten übernehmen. Es wird ein Effekt des Gesundheitsverhaltens der Führungskraft auf das Gesundheitsverhalten der Mitarbeitenden beschrieben.[4][5]

Gestaltung der Arbeitsbedingungen

Neben der gesunden Selbstführung ist die Gestaltung gesunder Arbeitsbedingungen eine zentrale Aufgabe, um Risiken für Mitarbeitende zu reduzieren und ihre Ressourcen zu fördern. Einen Überblick über die sechs Handlungsfelder gibt Tabelle 1.

Tabelle 1: Handlungsfelder gesundheitsfördernder Führung | © BGW
Tabelle 1: Handlungsfelder gesundheitsfördernder Führung ©BGW

Bedeutung qualitativ hochwertiger Beziehungen

Die Gestaltung individueller und qualitativ hochwertiger Beziehungen zwischen der Führungskraft und den Beschäftigten wurde als besonders gesundheitsrelevant identifiziert.[6] Die Beziehung basiert auf Austausch und Kommunikation auf Augenhöhe. Es geht um das respektvolle Verhandeln von Positionen, Aufgaben und Entscheidungen. Unterschiedliche Beschäftigte möchten auch unterschiedlich geführt werden. Dabei sollten die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Einige Mitarbeitende benötigen beispielsweise eine engere Begleitung oder häufigeres Feedback, während andere eher einen großen Handlungsspielraum ohne häufige Absprachen bevorzugen. Eine Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) im Gesundheits- und Sozialwesen hat festgestellt: Je individueller und effektiver die Beziehung erlebt wurde, desto positiver war die Gesundheit der Beschäftigten. Als zentraler Aspekt gesunder Führung ist die Berücksichtigung von individuellen Voraussetzungen bei der Gestaltung von Abläufen und Aufgaben anzusehen.

Gestaltung von gesunden Beziehungen

In einer weiteren Studie der BGW im Gesundheits- und Sozialwesen wurden die Gestaltung von Rollenklarheit und die Transparenz als wichtige Bedingungen für eine gute Beziehung zwischen Führung und  Beschäftigten und als positiver Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten ermittelt. Beschäftigte, die bei Arbeit eindeutige Befugnisse, klare Ziele, abgestimmte Verantwortungsbereiche und Erwartungen haben (Rollenklarheit), erleben die Beziehung zu den Vorgesetzten als positiv und sind gesünder.

Ein weiterer relevanter Aspekt für Beschäftigte ist es, im Voraus über Veränderungen am Arbeitsplatz informiert zu werden sowie alle Informationen zu erhalten, die sie brauchen, um ihre Arbeit gut zu erledigen (Vorhersehbarkeit).

Dies wirkt sich positiv auf die Beziehungsqualität und die Gesundheit der Beschäftigten aus. Im Fazit bedeutet das, dass die Arbeitsbedingungen – konkret: Rollenklarheit und Vorhersehbarkeit – zentrale Einflussfaktoren für gesunde Führung sind. Je transparenter die Arbeitsbedingungen gestaltet sind, desto positiver nehmen Beschäftigte die Beziehung zur Führungskraft wahr, und dies fördert die Gesundheit.

Training gesunder Führung

Die BGW bietet eine Workshopreihe „Sich selbst und andere gesund führen – wie gelingt das?“ für Mitgliedsbetriebe an. Die Wirksamkeit eines solchen Trainings wurde in dem Projekt FÜHR’GESUND in  Kindertagesstätten eines Trägers geprüft. Die Qualifizierung beinhaltet drei Workshopmodule, die als drei eintägige Workshops im Abstand von vier bis acht Wochen angeboten werden:

  • 1. Tag – Gesunde Selbstführung
  • 2. Tag – Gesunde Arbeitsbedingungen gestalten
  • 3. Tag – Gesundheitsfördernder Austausch zwischen Leitungskraft und Mitarbeitenden – die Beziehungsqualität

Das Ziel war, zu überprüfen, ob die Qualifizierung der Leitungskräfte in dieser Workshopreihe zu einer Verbesserung der Arbeits- und Gesundheitssituation der Führungskräfte und der Beschäftigten beiträgt. In dem Projekt wurde nachgewiesen, dass das Wohlbefinden und die Arbeitszufriedenheit der Führungskräfte sich verbessert hatten und die emotionale Erschöpfung abgenommen hatte. Die positiven Effekte zeigten sich auch bei den Mitarbeitenden, obwohl diese nicht an der Qualifizierung teilgenommen hatten. Mitarbeitende, deren Leitungskräfte qualifiziert worden waren, schätzten ihre Arbeitssituation besser ein als Mitarbeitende, deren Leitungskräfte nicht qualifiziert worden waren.[7]

Messung gesundheitsfördernder Führung

Zur Messung gesundheitsfördernder Führung für das Gesundheits- und Sozialwesen wurde ein Kurzfragebogen entwickelt.[8] Die zentrale Fragestellung lautet: Wie sollte eine Führungskraft die  Arbeitssituation gestalten, um die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden positiv zu beeinflussen? In einem ersten Schritt wurde untersucht, welche Führungskonzepte in einem besonders starken Zusammenhang mit der Gesundheit der Beschäftigten stehen.

Es wurden Führungsansätze identifiziert, die der Führung in ihrer Funktion als (Mit-)Gestalterin der Arbeitsaufgaben und -bedingungen eine große Bedeutung zusprechen. Gemessen werden Führungsverhaltensweisen, die relevant für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden sind.

Das Instrument umfasst sieben Aussagen zur Führungskraft als Ressource und fünf Aussagen zur Führungskraft als Risikofaktor. Mit diesem Instrument können die Anforderungen „Ressourcen fördern und Stressoren reduzieren“ als Maßstab einer „gesunden Führung“ in ökonomischer Weise messbar gemacht werden. 

Das Ziel ist es, Anregungen für eine Verbesserung des Führungsverhaltens zu erhalten, die jedoch einen Verhältnisbezug haben. Neben personenbezogenen Maßnahmen, die an den Kompetenzen der Führungskraft ansetzen, eröffnet dieses Instrument ein zusätzliches Interventionsfeld mit einer bedingungsbezogenen Komponente. Den Führungskräften wird vermittelt, wie sie die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden gesundheitsfördernd gestalten können und welchen Einfluss sie auf deren Gesundheit haben. Der Einsatz dieses Fragebogens bietet die Möglichkeit, in einen Austausch zur Arbeits- und Gesundheitssituation zwischen Beschäftigten und Führungskräften zu kommen. Er kann als Fremdeinschätzung genutzt werden, das heißt eine Rückmeldung zum gesundheits-fördernden Führungsverhalten durch die Mitarbeitenden, oder zur Selbsteinschätzung, also zur Selbstreflexion, in der kollegialen Beratung oder im Coaching.

Die Gesundheit der Beschäftigten wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Führungskräfte sind nicht für jeden Burn-out beziehungsweise jede Erkrankung verantwortlich. Sie haben jedoch die Möglichkeit, den vorhandenen Gestaltungsspielraum zu nutzen und einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitssituation und zum Wohlbefinden zu leisten. Dabei stehen Führungskräfte in einem ständigen Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlichen Erfordernissen und menschlichen Belangen ihrer Mitarbeitenden: Auf der einen Seite trägt die Führungskraft Verantwortung dafür, dass Aufgaben erfüllt, Zeitvorgaben eingehalten und Ziele erreicht werden. Auf der anderen Seite wird ihr auch eine (Mit-)Verantwortung für das Wohlbefinden zugesprochen. Die Verankerung des Themas Gesundheit in alle Entscheidungen und Abläufe durch das Management sowie die Vermittlung von Wissen und Handlungskompetenzen unterstützen die Führungskräfte der mittleren und unteren Ebene dabei, gesundheitsfördernd zu führen.

Tabelle 2: Kurzfragebogen „Gesundheitsfördernde Führung: Bei der Arbeit Ressourcen stärken und Stressoren reduzieren“.  Empfehlungen zum Einsatz des Kurzfragebogens können bei den Autorinnen angefragt werden.  | © BGW
Tabelle 2: Kurzfragebogen „Gesundheitsfördernde Führung: Bei der Arbeit Ressourcen stärken und Stressoren reduzieren“. Empfehlungen zum Einsatz des Kurzfragebogens können bei den Autorinnen angefragt werden. ©BGW

Weitere Informationen zum Angebot der Führungskräfte-Workshopreihe:
https://www.bgw-online.de/bgw-online-de/service/schulung-beratung/seminare/fkws-fuehrungskraefte-18110 

Wirksamkeitsnachweis BGW-Projekt „FÜHR’GESUND“ in Kitas, Podcast #41 „Herzschlag – Für ein gesundes Berufsleben“: https://www.bgw-online.de/bgwonline-de/service/medien-arbeitshilfen/
medien-center/bgw-podcast-herzschlag/bgw-projekt-fuehr-gesund-in-kitas-68582