Psychische Folgen von Verkehrsunfällen und deren mögliche Behandlung

Psychische Beeinträchtigungen als Reaktion auf Verkehrsunfälle sind laut Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in der Unfallfolgenforschung bislang noch nicht umfassend betrachtet. Vor allem schwere Verkehrsunfälle können jedoch psychische Beschwerden zur Folge haben. Angeführt wird hier häufig die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), aber auch andere psychische Folgen sind möglich.

Verkehrsunfälle können sowohl kurz- als auch langfristig psychische Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Klassischerweise zeigen sich die psychischen Auswirkungen zunächst in Form einer akuten Belastungsreaktion. Diese bewältigt der Großteil der Betroffenen eigenständig. Als Betroffene sind zum einen die direkten Unfallbeteiligten zu betrachten, andererseits aber auch Personen wie Ersthelfende, Angehörige oder Zeuginnen und Zeugen. Häufige Anzeichen einer akuten Belastungsreaktion sind zum Beispiel Desorientierung, Erinnerungslücken, Konzentrationsprobleme, Unruhe oder Ängste. Langfristig sind verschiedene Formen psychischer Störungen möglich, wenn die Verarbeitung des Unfallereignisses nicht vollständig gelingt. So können Betroffene Fahrphobien, Anpassungsstörungen, Depressionen, Schlafstörungen oder eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.

Zahlen dazu, wie häufig Betroffene eine psychische Erkrankung infolge eines Straßenverkehrsunfalls in Deutschland entwickeln, sind nicht bekannt. Einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen zufolge gab ein Viertel der befragten Personen an, unter psychischen Beeinträchtigungen wie Angst, Depression oder einer PTBS zu leiden.[1] Bei der Gruppe der Befragten handelte es sich um Schwerverletzte, die sich nach einem Verkehrsunfall zur stationären Behandlung in einem Krankenhaus befanden.

Nicht jeder Straßenverkehrsunfall muss jedoch mit körperlichen Verletzungen einhergehen. Es ist auch möglich, dass sich bei den Betroffenen psychische Beeinträchtigungen herausbilden, ohne dass es zu körperlichen Verletzungen gekommen ist.

Manifestieren sich bei Betroffenen Belastungssymptome, so kann dies eine andauernde Fahrangst sowie Fahrvermeidung zur Folge haben. Die Behandlung solcher Angststörungen erfolgt beispielsweise mit einer Expositionstherapie. Hierbei können auch virtuelle Verfahren eingesetzt werden. Im Rahmen der Expositionstherapie werden die Patientinnen und Patienten schrittweise und systematisch mit den angstauslösenden Situationen konfrontiert, um die Angstreaktion zu mindern und neue Strategien im Umgang mit der Angst zu erwerben. Diese Reizkonfrontationen erfolgen entweder in sensu – gedanklich, also mithilfe der Vorstellungskraft – und/oder wenn möglich in vivo – im Realen, also mithilfe einer tatsächlichen Konfrontation. Dabei erweitert ein Fahrsimulator die klassische Expositionstherapie um ein wesentliches Element: Er bietet die Möglichkeit einer kontrollierbaren und skalierbaren virtuellen Exposition in einer wirklichkeitsnahen, aber gefährdungsfreien Verkehrssituation.

Einsatz des Fahrsimulators

Am Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) in Dresden steht seit 2005 ein Fahrsimulator. Er bietet den versicherten Einsatzkräften der Unfallkassen die Möglichkeit, die Fahrsimulatoren des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) für das Training von Einsatzfahrten mit Blaulicht und Martinshorn zu nutzen. Dies erfordert insbesondere eine Simulation und Beeinflussbarkeit von Verkehrssituationen, die außerhalb der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) liegen. Blaulicht und Martinshorn waren dann auch die Trigger der ersten Patientin mit einer PTBS nach einem schweren Verkehrsunfall, deren Therapie durch die Konfrontation mit diesen spezifischen Reizen erfolgreich unterstützt werden konnte.

In der Folge kam es bei weiteren Patientinnen und Patienten zum Einsatz des Fahrsimulators im Rahmen ihrer Expositionstherapie. In der Summe konnte man feststellen, dass

  • die Simulation die Belastung für die Personen reduziert, da die Situationen vollständig kontrollierbar sind (Verkehrsdichte, Verhalten anderer Verkehrsteilnehmender),
  • angstauslösende Reize behutsam gesteigert und beliebig oft aufgerufen werden können,
  • Belastungsreaktionen in vivo beobachtet und trainiert werden können, ohne dass es zu einer Gefährdung kommt,
  • eine Fahrt im Realverkehr oft erst möglich war, nachdem eine gewisse Stabilität und Belastbarkeit aufgebaut waren.

In einigen Fällen ergaben sich jedoch auch keine Verbesserungen. Oftmals fehlte bei diesen Personen eine Situation der Hilflosigkeit sowie existenzieller Bedrohung im Unfallhergang. Meist gab es komplexere Begleitumstände wie Schuldgefühle, Betroffenheit über den Unfalltod der eigenen Kinder oder Ähnliches. Ein weiteres Indiz: Der Unfall sollte auch visuell verankert sein, also zum Beispiel kein überraschender klassischer Auffahrunfall.

Diese Merkmalssammlung entstand durch Patientinnen und Patienten, die mit vergleichbaren Verkehrssituationen zu ihren Unfällen konfrontiert wurden und ad hoc aus einer nahe gelegenen Klinik ins IAG kamen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sie sich bereits unterschiedlich lange in einer laufenden Therapie. Eine systematische Untersuchung des therapeutischen Nutzens der Verkehrssimulation, also unabhängig beziehungsweise außerhalb einer Therapie, konnte so noch nicht ermittelt werden. Genauso die Frage, welche Personen profitieren und welche Ausschlusskriterien sich abzeichnen, bei denen eine Exposition keinen Erfolg verspricht.

Für die Beantwortung dieser Fragen suchte das IAG den Kontakt zum Institut für Biologische Psychologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Würzburg. Unter Einbeziehung der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr) wurde eine Pilotstudie unter Leitung von Prof. Paul Pauli konzipiert und zur Förderung bei der DGUV eingereicht.[2]

Pilotstudie zur Expositionstherapie am Fahrsimulator

Das Studiendesign der Pilotstudie sah eine einwöchige Blocktherapie in Würzburg vor, gefolgt von zwei Nacherhebungen sechs beziehungsweise zwölf Wochen nach der Exposition. Die ursächlichen Unfallereignisse, die bei sechs Personen zu einer Fahrphobie und bei acht Personen zu einer PTBS geführt hatten, lagen zwischen drei Monaten und vier Jahren zurück. Da diese Personen oft nur eingeschränkt mobil waren und darüber hinaus vier auswärtige Übernachtungen auf sich genommen werden mussten, konnten nur 14 Personen rekrutiert werden. Vier von diesen hatten bereits eine Exposition im Realverkehr abgebrochen.

Zu Beginn der Woche stand eine umfangreiche Testung der Patientinnen und Patienten auf dem Programm, die von Aspekten der Belastbarkeit über Angst und Vermeidung bis hin zur Konzentration reichte. Insbesondere wurde eine hypothetische Fahrt (in sensu) auf verschiedenen Straßenkategorien simuliert und der damit verbundene Angstpegel erfasst. Sechs Personen waren zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht in der Lage, Auto zu fahren. Acht Personen war es hingegen nicht möglich, bestimmte Straßenkategorien wie Autobahnen zu befahren.

Neben einer Eingewöhnung an den Simulator erfolgten im Wochenverlauf vier Sitzungen, in denen die Patientinnen und Patienten Fahrten absolvieren mussten, die zunehmend schwieriger wurden, indem die für sie problematischen Reize gesteigert wurden (zum Beispiel das Auffahren auf die Autobahn mit Lkw-Verkehr).

Abschließendes Erfolgskriterium blieb eine dann nicht mehr nur hypothetische Fahrprobe mit einem Fahrschullehrer sowie eine verkehrspsychologische Bewertung der Fahrt am Ende der Woche.

Ergebnis: Allen Patientinnen und Patienten gelang es am Ende der Blockbehandlung, einen Rundkurs – bestehend aus Gewerbegebiet, Landstraße, Stadt und zurück über ein Stück Autobahn – zu fahren. Laut Fahrlehrerurteil zeigten dabei 71 Prozent keinerlei Auffälligkeiten.

Die Ergebnisse der eingesetzten Fragebögen zeigten, insbesondere bei dem zur Erfassung von Symptomen der PTBS, deutliche Verbesserungen in den Ausprägungen. Die Nacherhebungen ergaben, dass bei den meisten Personen der Behandlungserfolg aufrechterhalten werden konnte oder sich sogar nachlaufend noch weiter verbesserte. Nur eine Person verlor in der Folge wieder die Fähigkeit, Auto zu fahren. In der Nachbefragung zur Studie zeigten sich demnach nicht nur die Teilnehmenden sehr zufrieden, sondern auch die Reha-Managerinnen und Reha-Manager der Unfallversicherungsträger, die sie für diese Studie vermittelt hatten.

Im Rahmen der Studie[3] hat sich gezeigt, dass die Exposition im Fahrsimulator ein sehr effizientes Instrument in der Unterstützung der Therapie von Fahrphobien und PTBS sein kann. Dabei ist anzunehmen, dass die im Rahmen der Pilotstudie erzielten Ergebnisse durch die Einbettung in ein umfänglicheres Therapiekonzept sicher noch zu verbessern wären.

Bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit starken Fahrphobien sowie PTBS können die Unfallversicherungsträger nach wie vor auf den Fahrsimulator im IAG in Dresden zurückgreifen.[4]

Fazit

Verkehrsunfälle können tiefgreifende psychische Folgen haben, die sich erheblich auf das Leben der Betroffenen auswirken können. Ein ganzheitlicher, individueller Therapieansatz, der im Zweifelsfall auch den Einsatz virtueller Verfahren wie den Fahrsimulator umfasst, ist entscheidend, um die Betroffenen bei ihrer Genesung umfassend zu unterstützen.

Hilfefinder – wo Betroffene von Verkehrsunfällen Hilfe finden

Der Hilfefinder ist ein Angebot des Deutschen Verkehrssicherheitsrates e. V. (DVR), der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der Verkehrsunfall-Opferhilfe-Deutschland e. V. (VOD). Die Internetseite bietet einen Überblick und Informationen rund um die psychischen Folgen, aber auch die Therapiemöglichkeiten nach Verkehrsunfällen.

https://www.hilfefinder.de/home