Unfallversicherung als Partner im vernetzten Gesundheitswesen
Auch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind Teil des Gesundheitswesens, sie haben aber zum Teil andere Anforderungen und Bedarfe als die Krankenkassen. Wie können die Unfallversicherungsträger in die digitale Vernetzung und die Telematikinfrastruktur (TI) integriert werden?
Als der Referentenentwurf zum Digital-Gesetz[1] im Rahmen der Verbändeanhörung Anfang 2023 die DGUV erreichte, wurde deutlich, dass Berufsgenossenschaften und Unfallkassen bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen als Player nicht mitgedacht worden waren. Nach vielen Gesprächen und mit Unterstützung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) konnte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) überzeugt werden, dass auch die gesetzliche Unfallversicherung (UV) von allen digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen betroffen ist. Folgerichtig wurde die gesetzliche Unfallversicherung erstmals in diverse Regelungen des SGB V aufgenommen und ein Bezug zum SGB VII in den §§ 27 und 27a SGB VII geschaffen. Am 26. März 2024 trat das Digital-Gesetz in Kraft. Es legt den Grundstein für die Anbindung der gesetzlichen Unfallversicherung an die Telematikinfrastruktur[2] und die Teilhabe an einem vernetzten Gesundheitswesen.
Wäre diese Teilhabe nicht gelungen, hätte die gesetzliche Unfallversicherung im schlimmsten Fall Parallelstrukturen zur Digitalisierung ihrer Zusammenarbeit mit Ärzten, Ärztinnen, Versorgenden und Kliniken aufbauen müssen. Dies hätte bedeutet, dass Patienten, Patientinnen und Leistungserbringende von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen nicht an den TI-Anwendungen hätten teilhaben dürfen, obwohl die Versorgungsprozesse denen der Krankenkassen gleichen. Für die Leistungserbringenden wären erhöhte Aufwände entstanden und es hätte die Gesamtprozesse in der Praxis gestört. Für Patienten und Patientinnen wären Befunde und Medikationen zu ihren Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten nicht in ihrer elektronischen Patientenakte (ePA) verfügbar gewesen.
Was bedeutet die Berücksichtigung der gesetzlichen Unfallversicherung konkret, auch im Hinblick auf den zeitlichen Horizont? Im Folgenden werden einige TI-Anwendungen skizziert, verbunden mit der Frage, was dies für die gesetzliche Unfallversicherung bedeutet, was zu bedenken ist und welche Anwendungen sie bereits umsetzt.
Elektronische Patientenakte – die neue „ePA für alle“
Das Befüllen der „ePA für alle“ mit Befunden, Medikationen, Therapien und anderen Versorgungen wird ab dem 15. Januar 2025 für die in der gesetzlichen Krankenversicherung (KV) zugelassenen Leistungserbringende verpflichtend. Medizinische Daten zu den Versicherungsfällen der Unfallversicherung müssen hingegen erst spätestens ab dem 1. Januar 2027 verpflichtend in die ePA eingestellt werden. Grundlage dafür sind die §§ 347 und 348 SGB V in Verbindung mit § 27a SGB VII. Damit verbunden ist für Leistungserbringende ebenfalls die Einsicht in Befunde, Medikationen oder Berichte, sofern der Patient oder die Patientin zustimmt. Diese Zustimmung erfolgt durch das Einlesen deren elektronischer Gesundheitskarte in der Praxis oder Klinik.
Da der weit überwiegende Teil der Leistungserbringenden, die im Auftrag von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen tätig werden, eine Kassenzulassung hat, wäre es wünschenswert, dass das Befüllen und die Nutzung der „ePA für alle“ auch für Versicherte der Unfallversicherung bereits ab Januar 2025 realisiert werden könnten.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Haben die Leistungserbringenden und Versicherten in Fällen der Unfallversicherung besondere Bedürfnisse an die elektronische Patientenakte? Zu dieser Frage hat die DGUV Gespräche mit der Gematik GmbH[3] geführt, die den gesetzlichen Auftrag hat, die TI und die Anwendungen zu konzipieren. Fachleute der Unfallversicherungsträger und des Verbandes haben dazu zusammengetragen, welche Funktionen mindestens gebraucht werden, damit die ePA für Behandelnde und Behandelte der gesetzlichen Unfallversicherung einen Mehrwert hat.
Im Wesentlichen sollen demnach Befunde, die mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit zusammenhängen, bereits ab 2025 besonders gekennzeichnet werden. Leistungserbringende wie D-Ärzte und D-Ärztinnen sollen nach Befunden zu einem Versicherungsfall filtern und sich diese zusammenstellen lassen können. Versicherten soll es ebenfalls möglich sein, sich Unterlagen zu ihrem Versicherungsfall mithilfe dieser UV-Kennzeichnung zusammenstellen zu lassen. Zudem sollen die wichtigsten UV-Berichte im Rahmen der Heilverfahrenssteuerung sukzessive ab 2025 in die elektronische Patientenakte aufgenommen werden.
Das elektronische Rezept – eRezept
Das eRezept ist für die Vertragspartner der Krankenkassen bereits seit dem 1. Januar 2024 verpflichtend. Seit dem Start des eRezepts wurden bei den Krankenkassen (Stand Juli 2024) eRezepte im dreistelligen Millionenbereich eingereicht. eRezepte können auch in UV-Versicherungsfällen zulasten der Unfallversicherungsträger ausgestellt werden. Sie werden von der DGUV-Kopfstelle angenommen, die sie bislang noch in das alte Format übersetzt und an die Unfallversicherungsträger elektronisch ausliefert.
Elektronischer Kostenvoranschlag eKV und Verordnung eVO
In der Hilfsmittelversorgung soll bis Ende des Jahres 2024 die Übermittlung elektronischer Kostenvoranschläge (eKV) auch in der Unfallversicherung möglich sein. Kostenvoranschläge werden bei den Unfallversicherungsträgern digital von den Orthopädiehäusern entgegengenommen und bearbeitet, also geändert, abgelehnt oder genehmigt. Was damit dann später noch verbunden werden muss, ist die elektronische Verordnung eines Hilfsmittels (eVO). Hierzu läuft in Deutschland aktuell ein Pilotverfahren zwischen einzelnen Krankenkassen und dem Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT). Die DGUV verfolgt diese Verfahren, um einen Zugang zu finden.
Kommunikation im Medizinwesen – KIM
Im Herbst 2024 wird KIM starten, die Kommunikation im Medizinwesen.[4] KIM ist ein sicheres E-Mail-Verfahren über die TI, mit dem Nachrichten versendet werden können. Angehängt werden können Dokumente wie Rechnungen, Verordnungen, Berichte und sonstige Dokumente. KIM wird Papiernachrichten, Faxe, unsichere E-Mails, das Angebot im UV-Serviceportal sowie alle sonstigen individuellen Übertragungswege zwischen Unfallversicherungsträgern und jenen Leistungserbringenden ablösen, die an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind. Das bereits seit Jahren etablierte DALE-Verfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung[5] soll allerdings weiterhin genutzt werden.
KIM umfasst einen Verzeichnisdienst, mithilfe dessen Nutzer und Nutzerinnen die KIM-Mailadresse des Kommunikationspartners beziehungsweise der Kommunikationspartnerin auswählen können. Mit den Kliniken ist noch zu klären, welche KIM-Adressen für die Kommunikation mit den Unfallversicherungsträgern einzurichten sind, denn es ist wichtig, Nachrichten an Organisationseinheiten, wie das D-Arztbüro, innerhalb einer Klinik sicher adressieren zu können.
Ob auch die Rechnungslegung in UV-Behandlungsfällen, für die es außer DALE-UV noch keine strukturierten Datenaustauschverfahren gibt, irgendwann über KIM digitalisiert wird, ist zurzeit noch unklar. In der Digitalisierung der Rechnungslegung liegt ein erhebliches Automatisierungspotenzial für die Unfallversicherungsträger, deswegen führt die DGUV aktuell Sondierungsgespräche mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), ob es Möglichkeiten gibt, sich an bestehende Verfahren anzuschließen.
TI-Messenger
Der Messenger der TI ist eine Anwendung, vergleichbar mit „Whatsapp“ oder „Telegram“. Er wurde entwickelt für das Gesundheitswesen, also auf einem hohen Sicherheitsniveau. Sie wird schrittweise von der Gematik eingeführt und ausgebaut und ist möglicherweise eine sehr interessante Anwendung für das Reha-Management der Unfallversicherung. Über diesen Messenger könnten die Unfallversicherungsträger mit Ärztinnen, Ärzten oder den Versicherten in Kontakt treten, um auf kurzem Wege etwas zu klären. In späteren Ausbaustufen soll dies auch über Videotelefonie möglich sein.
Fazit
Insgesamt steht die gesetzliche Unfallversicherung vor der Herausforderung, rechtzeitig alle Informationen zu den Anwendungen und zur Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur zu erhalten und dort mitzugestalten, wo sie besondere Bedarfe hat. Vor diesem Hintergrund hat die gesetzliche Unfallversicherung (SVLFG und DGUV) gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium den Wunsch geäußert, in die Gesellschafterversammlung der Gematik aufgenommen zu werden. Dort werden Entscheidungen zur Roadmap sowie zur Priorisierung von Projekten und zur Freigabe von Mitteln getroffen. Nur wenn die Unfallversicherung ein umfassendes Bild erhält, wohin die Anwendungen der TI sich entwickeln, kann sie eine eigene Gesamtstrategie zu der sinnvollen Eingliederung ihrer Prozesse entwickeln.
Vorläufig hat die Unfallversicherung eine feste Ansprechperson innerhalb der Gematik, mit der sie Fragen und Anliegen, die TI betreffend, klären kann. In einer der nächsten Gesellschafterversammlungen sowie im nächsten TI-Ausschuss wird sie ihre Anliegen vorstellen können. Dies ist eine inhaltliche Öffnung, die sehr zu begrüßen ist.