Zusammenarbeit von Prävention und Rehabilitation: Erfahrungen, Mehrwert, Ausblick
Der Ausschuss Prävention der Geschäftsführerkonferenz der DGUV hat sich von 2017 bis 2023 in einem eigenen Arbeitsschwerpunkt dem Thema gewidmet. Inzwischen wird bei den Unfallversicherungsträgern intensiver auf die gezielte Vernetzung von Prävention und Rehabilitation gesetzt, um den Nutzen der Arbeit für Versicherte und Unternehmen zu optimieren.
Frau Dr. Steger, Frau Stanowski, wie haben Ihre Unfallkassen die Zusammenarbeit der beiden Bereiche gefördert und mit welchem Ziel?
Steger: Die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen hat für die gezielte Intensivierung der Zusammenarbeit von Prävention und Rehabilitation eine Stabsstelle installiert. Die Idee dahinter ist, konkrete Handlungsfelder zu identifizieren, in denen die jeweiligen Fachabteilungen von einem übergreifenden Austausch, einer gezielteren Zuarbeit oder besser abgestimmten Verfahrensabläufen profitieren. Oberstes Ziel ist der Mehrwert durch ein ganzheitliches Angebot für die Versicherten und Mitgliedsunternehmen. Das kann nur gelingen, wenn Absprachen gemeinsam getroffen werden und Prozesse eng abgestimmt sind. Die Form der Stabsstelle wurde gewählt, um die strategische Aufgabe der Vernetzung hervorzuheben und die Kompetenzen der beiden Leistungsbereiche einbinden zu können.
Stanowski: Die Unfallkasse Rheinland-Pfalz hat die Zusammenarbeit von Prävention und Rehabilitation gefördert, indem sie trennende Strukturen aufgebrochen hat, um eine effektive und effizientere Zusammenarbeit zu ermöglichen und den Bedürfnissen der Mitgliedsunternehmen und Versicherten gerecht zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, war die Zusammenlegung der Abteilungen Rehabilitation und Prävention zu einer großen Abteilung „Sicherheit – Gesundheit – Teilhabe“, kurz: SGT, eine logische Konsequenz.
Diese Maßnahme trägt dazu bei, die Zusammenarbeit intern zu fördern. Dies bedeutet, dass beide Bereiche da, wo es lohnend ist, zusammenarbeiten und ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen. Das gilt zum Beispiel für Unfall- und Berufskrankheiten-Ermittlungen, Arbeits- und Belastungserprobungen sowie Qualifizierungsmaßnahmen. So erzielen wir bestmögliche Ergebnisse.
Durch diese Strukturveränderung wurde auch sichergestellt, dass alle Leistungen für das Unternehmen und seine Mitarbeitenden durch die Struktur der Unfallkasse besser abgedeckt werden. Dabei haben wir die Aspekte der Regionalisierung und Spezialisierung berücksichtigt.
Des Weiteren war auch wichtig, die Kompetenzen unserer Mitarbeitenden und Teams zu erweitern beziehungsweise zu stärken. Das heißt, unsere Mitarbeitenden haben heute einen größeren Entscheidungsspielraum und können so Leistungen effektiver auf den Weg bringen.
Gab es denn im Vorfeld keine Zusammenarbeit der Abteilungen?
Steger: Doch, die gab es natürlich. Aber die gewachsenen Strukturen der Organisation betonen die jeweilige Fachexpertise, darin sind wir stark. Dies hat den Blick auf einen abteilungsübergreifenden Austausch geprägt. Die Abteilungen Prävention und Rehabilitation haben eigene Kompetenz- und Arbeitsbereiche, die klar abgesteckt sind. Damit haben wir zwar eine sehr hohe Fachexpertise in den jeweiligen Abteilungen, aber wenig Durchlässigkeit über die Abteilungsgrenzen hinaus. Solche „Silostrukturen“ sind einschränkend, um untereinander von dem breiten Erfahrungsschatz zu profitieren. Wenn wir darüber hinaus dem Motto treu bleiben wollen, dass die Hilfen und Angebote der Unfallkasse „aus einer Hand“ kommen, dann ist die logische Folge, diesen Austausch auf Grundlage der Fachexpertise zu aktivieren.
Stanowski: Vor der Umstrukturierung bestand bereits eine Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen Prävention und Rehabilitation, zum Beispiel in den Bereichen Berufskrankheiten, Wohnungshilfe und bei schweren oder tödlichen Unfällen. Diese Zusammenarbeit war jedoch ereignisbezogen und die spezifische Arbeit jedes Einzelnen stand im Mittelpunkt. Die Zusammenarbeit früherer Prägung fokussierte sich auf Einzelfälle. Danach kümmerte sich – vereinfacht dargestellt – die Sachbearbeitung um den Versicherten, die Prävention um die Mitgliedsorganisation. Eine systematische, ganzheitliche und gemeinsame Nachbetrachtung blieb häufig aus.
Die strikte Trennung beider Bereiche führte zu unterschiedlichen Perspektiven in den Abteilungen. Es ist wichtig, diese Unterschiede zu erkennen und zu adressieren, um eine effektive Zusammenarbeit zu fördern.
Wie identifizieren Sie Themen und Maßnahmen, mit denen sich die Zusammenarbeit weiter ausbauen lässt?
Steger: Ausgangspunkt bilden die bisherigen Erfahrungen in den definierten Bereichen der Zusammenarbeit und die Vorarbeiten der DGUV. Hinweise für entsprechende Bereiche oder Themen können grundsätzlich von allen Mitarbeitenden kommen, unabhängig von Hierarchie und Funktion. Es gibt zum einen Arbeitsprozesse, die abteilungsübergreifend definiert sind, bei denen es aber aus unterschiedlichen Gründen hakt. Hier gehen wir stärker problemorientiert vor und schauen gemeinschaftlich, worin genau Herausforderungen bestehen und wie diesen begegnet werden kann. Dann gibt es zum anderen Bereiche, in denen zwar keine direkte Zusammenarbeit gefordert ist, aber eine gezielte Zuarbeit erfolgen muss. Hier hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, eine möglichst konkrete Vorstellung von der Arbeit der anderen Abteilung zu gewinnen und Ansprechpersonen zu haben, wenn doch einmal Fragen aufkommen. Zuletzt arbeiten wir in einem Feld, in dem regelmäßige Erkenntnisse dazu führen, dass Aufgaben übernommen und damit neue Prozessketten installiert werden müssen.
Stanowski: Wir identifizieren Themen und Maßnahmen zur weiteren Ausweitung der Zusammenarbeit durch eine strukturierte Herangehensweise. Die Abteilungen Prävention und Rehabilitation wurden zu einer Abteilung Sicherheit – Gesundheit – Teilhabe zusammengelegt. Durch interdisziplinäre Austauschformate ist es uns gelungen, Mitarbeitende fachübergreifend ins Gespräch zu bringen und die unterschiedliche Arbeit sichtbar zu machen. Das fördert das Verständnis und die Wertschätzung der Mitarbeitenden untereinander. Zusätzlich konnten neue Ideen der Zusammenarbeit generiert werden. Zum Beispiel im Aufgabenfeld Individualprävention, aber auch bei der Identifizierung von Mitgliedsbetrieben, die einen besonderen Betreuungs- und Beratungsbedarf aufweisen.
Eine offene Kommunikation, themenorientierte Projekte, der kontinuierliche Austausch und eine strukturierte Herangehensweise sind entscheidend für die Verbesserung und Anpassung unserer Dienstleistungen.
Das klingt noch sehr abstrakt. Wie muss ich mir das in der praktischen Arbeit genau vorstellen?
Steger: Meist habe ich als Leiterin der Stabsstelle eine moderierende Funktion, greife vorhandene Erkenntnisse auf, setze Impulse und schaffe einen Rahmen, in dem die Zusammenarbeit konkretisiert wird. Bei der Orientierung dienten auch die Vorarbeiten des Arbeitsschwerpunktes des GFK-Ausschusses Prävention als Basis, um Themenfelder der Zusammenarbeit, wie sie jeder Träger hat, zu identifizieren. Gefragt sind dann konkret Abstimmungen, ein enger Austausch oder auch die zuverlässige Weiterleitung von Informationen, damit alle Mitarbeitenden auf einem gemeinsamen Wissensstand sind. Die Themen werden dort platziert, wo Mitarbeitende unmittelbar von ihnen betroffen sind. Hier ist die Expertise der Kolleginnen und Kollegen unabdingbar. Das auch, um eine Akzeptanz für die Themen zu bekommen, die vielleicht am Ende dazu führen, dass Arbeitsgewohnheiten kritisch hinterfragt werden müssen. Das gelingt nur mit einer partizipativen Herangehensweise, zum Beispiel in den Bereichen der Berufskrankheiten-Ermittlung, der Individualprävention oder im Umgang mit schweren und/oder tödlichen Unfällen.
Stanowski: In verschiedenen Arbeitsgruppen bearbeiten wir spezifische Themen. Einige Beispiele sind die Aufarbeitung von Themen für alle Mitarbeitenden, die Hinterfragung von Prozessen und die Analyse von Potenzialen. Diese Gruppen tragen dazu bei, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Der Austausch zwischen den Mitarbeitenden hat zu kurzen Wegen im Haus geführt. Dies hat die Kommunikation und Zusammenarbeit verbessert und zu einer effizienteren Arbeitsweise beigetragen. Es wurde jedoch auch festgestellt, dass es teils keine standardisierten Verfahren gibt. Dies ist ein wichtiger Punkt, der angegangen werden muss, um die Effizienz und Effektivität der Arbeit zu verbessern. Durch die Standardisierung von Verfahren können Prozesse optimiert und die Qualität der Arbeit erhöht werden.
Welche Auswirkungen hat die Zusammenarbeit auf die Kultur im Haus?
Steger: Es ist unser Ziel, dass sich die Vielzahl der Aktivitäten auch auf die Kultur im Haus positiv auswirkt und sich die Arbeitsbeziehungen über die Abteilungsgrenzen hinweg verbessern, ein Wirgefühl entwickelt wird und man sich stärker als Einheit versteht. Ein eher kreatives Format hierzu war beispielsweise die Podcast-Reihe, in der Mitarbeitende aus Schnittstellentätigkeiten Einblicke in ihre Tätigkeit gegeben haben. Das Intranet als Informationsplattform für alle Mitarbeitenden stellt ebenfalls ein wichtiges Medium dar, um über aktuelle Schnittstellenthemen zu berichten oder Arbeitsergebnisse für alle bereitzustellen.
Stanowski: Die Zusammenarbeit hat bedeutende Auswirkungen auf die Kultur im Haus. Durch die Zusammenlegung von Prävention und Rehabilitation ist ein einheitlicher Umgang mit Regelungen für alle Mitarbeitenden entstanden, beispielsweise in Bezug auf alternierende Telearbeit und Dienstreisegenehmigungen (Arbeitszeit).
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Fusion von zwei Abteilungen mit unterschiedlichen Aufgaben, Aktivitäten und Persönlichkeiten eine Herausforderung darstellt. Es erfordert kontinuierliche Anstrengungen, um aus zwei unterschiedlichen Kulturen eine neue gemeinsame Kultur zu schaffen. Dies ist ein fortlaufender und vor allem ein ständiger Lernprozess, dem wir uns in der Unfallkasse Rheinland-Pfalz stellen. Einerseits können die verschiedenen Fachbereiche voneinander lernen und profitieren; andererseits erkennen wir, dass wir mit unseren Ressourcen sorgfältig haushalten müssen. Wir können nicht alles liegen lassen, um jede Teilaufgabe im Hinblick auf verbesserte Zusammenarbeit zu reflektieren. Unser Leitprinzip lautet daher: Synergien nutzen, wo Potenziale liegen. Aber nicht: Zusammenarbeit und Zeitinvestition, wo es keinen Mehrwert gibt.
Wir werden diesen Veränderungsprozess behutsam und geduldig fortsetzen und dabei immer bereit sein, notwendige Feinabstimmungen der aktuellen Prozesse und Strukturen vorzunehmen, um die Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.
Seit 2023 bin ich als Referentin bei der DGUV mit dem Thema betraut. Wie können wir seitens der DGUV die Unfallversicherungsträger bei diesen Themen unterstützen?
Steger: Es ist ein großer Zugewinn und zugleich auch ein Zeichen für die Relevanz des Themas insgesamt, dass mit Ihnen nun dauerhaft und trägerübergreifend eine Ansprechperson des Spitzenverbandes verfügbar ist, die zwischen den Trägern den Austausch unterstützt. Dank Ihnen konnten die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen und die Unfallkasse Rheinland-Pfalz bereits einen regelmäßigen Austausch zu den genannten Schnittstellenthemen pflegen. Wir haben bereits im ersten gemeinsamen Gespräch gemerkt, dass wir ähnlich gelagerte Herausforderungen im Unternehmen haben, im Ergebnis aber teils unterschiedliche Lösungsansätze verfolgen, mit diesen umzugehen. Der Austausch ist unglaublich bereichernd und inspirierend. Dass die Ergebnisse des Austauschs auch nach innen wirken, merken wir bereits jetzt.
Stanowski: Ich hoffe, dass Sie als Referentin bei der DGUV für das Thema eine entscheidende Rolle bei der Koordination des Wissenstransfers zwischen den Unfallversicherungsträgern durch regelmäßige Treffen und Austausche übernehmen. Diese Treffen dienen nicht nur als Gelegenheit zum Netzwerken, sondern auch als Plattform für Innovation. Sie bieten uns die Möglichkeit, neue Ansätze und Strategien zu entwickeln, die auf den kollektiven Erfahrungen und dem Wissen der Gruppe basieren. In diesem Sinne sind sie mehr als nur einfache Treffen; sie sind Inkubatoren für fortschrittliche Ideen und Lösungen. Es ist wichtig, dass dieses Thema weiterhin im Fokus bleibt. Durch die Aufrechterhaltung eines aktiven Dialogs kann die DGUV sicherstellen, dass die Unfallversicherungsträger auf dem neuesten Stand bleiben und effektiv auf neue Herausforderungen reagieren können.
Innovation sowie Entwicklung neuer Ansätze auf Basis von Erfahrungen sind gute Stichworte für unseren ersten unfallversicherungsträgerübergreifenden Austausch, der im November 2024 online stattfinden wird. Hierzu sind alle Interessierten herzlich eingeladen.
Herzlichen Dank, Frau Dr. Steger und Frau Stanowski.
Das Interview führte Michaela Borgmann.