Wirksamkeit von Sicherheitsbeauftragten
Unter welchen Voraussetzungen können Sicherheitsbeauftragte im Betrieb Erfolg haben und wirksam arbeiten? Was behindert sie bei ihrer Tätigkeit? Und welche Ansatzpunkte zur Verbesserung der Wirksamkeit existieren? Umfrageergebnisse des Projektes „Verbesserung der Wirksamkeit von Sicherheitsbeauftragten“ geben Antworten auf diese und weitere Fragen.
Hintergrund
Sicherheitsbeauftragte unterstützen in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten die Durchführung von Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Sie haben aufgrund ihrer Orts-, Fach- und Sachkenntnisse die Aufgabe, in ihrem Arbeitsbereich Unfall- und Gesundheitsgefahren zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Sie treten gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen als Multiplikatoren auf und bewirken durch ihre Präsenz und ihre Vorbildfunktion sowie durch ihr kollegiales Einwirken ein sicherheitsgerechtes und gesundheitsbewusstes Verhalten im Betrieb.
In der gesetzlichen Unfallversicherung arbeiten Fachleute aus Berufsgenossenschaften und Unfallkassen mit Expertinnen und Experten der DGUV zusammen im Sachgebiet „Sicherheitsbeauftragte“ des Fachbereichs „Organisation von Sicherheit und Gesundheit (FB ORG)“. Um die Wirksamkeit von Sicherheitsbeauftragten zu untersuchen und Verbesserungen für die Praxis abzuleiten, hat das Sachgebiet „Sicherheitsbeauftragte“ an einem Projekt, unterstützt durch das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG), gearbeitet. Neben konzeptionellen Überlegungen des Sachgebiets hat das IAG im Jahr 2021 mittels einer Online-Befragung mehr als 1.600 Sicherheitsbeauftragte zu verschiedenen Themen ihrer Tätigkeit befragt. Um die Selbsteinschätzung der Sicherheitsbeauftragten in der Umfrage zu validieren, hat das Sachgebiet zudem eine Expertenbefragung unter Fachkräften für Arbeitssicherheit durchgeführt.
Die Ergebnisse des Projekts „Verbesserung der Wirksamkeit von Sicherheitsbeauftragten – Konzeptionelle Überlegungen und praktische Ansätze für erfolgreiche außerbetriebliche und innerbetriebliche Maßnahmen“ werden in diesem Beitrag vorgestellt.
Motivation als Basis des Erfolgs
In einem ersten Themenblock der Befragung der Sicherheitsbeauftragten ging es um Faktoren ihres eigenen Erfolgserlebens. Die Ergebnisse zeigen, dass der Erfolg der Sicherheitsbeauftragten aus ihrer Sicht weitgehend vom persönlichen Engagement, einer guten Qualifizierung, der Arbeitsschutzpolitik der Unternehmen, einer regelmäßigen Kommunikation und den angebotenen Hilfsmitteln abhängt (siehe Abbildung 1).
Diese Handlungsfelder bieten bereits Potenzial und liefern gute Beispiele für beeinflussbare Wirkungsfelder von Sicherheitsbeauftragten. So lässt sich aus dem ersten Faktor „persönliches Engagement“ ableiten, dass die personelle Auswahl von Beschäftigten, die die Rolle der Sibe übernehmen, und deren Motivation für die Tätigkeit ganz entscheidend sind. Weitere Stellschrauben wie Qualifizierungen und das Schaffen einer an Sicherheit und Gesundheit orientierten Unternehmenskultur bieten ebenfalls gute Ansatzpunkte.
54,2 Prozent der Sicherheitsbeauftragten sehen im Einsatz von Checklisten eine Hilfe bei der systematischen Bearbeitung von Themen. Je mehr Fortbildungen Sicherheitsbeauftragte besucht haben, desto höher schätzen sie die Wichtigkeit von Checklisten für die erfolgreiche Tätigkeit ein. Eventuell liegt das an dem breiteren Themenspektrum, das Sicherheitsbeauftragte mit mehreren Fortbildungen sich im Vergleich zu anderen Sicherheitsbeauftragten erarbeiten. Die vielen Themen lassen sich einfacher bearbeiten, wenn Checklisten zur Unterstützung zur Verfügung stehen, denn dadurch können auch komplizierte Sachverhalte auf wenige Fragen mit Priorisierung heruntergebrochen werden.
Die wirksamsten Handlungsfelder der Sicherheitsbeauftragten
Gefragt danach, in welchen Themen sich die Sicherheitsbeauftragten selbst als am wirksamsten wahrnehmen, werden als Top Drei die Vermeidung unsicheren Verhaltens, die Nutzung von persönlicher Schutzausrüstung sowie die Beteiligung an der Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung genannt. Dass mehr als 60 Prozent der Sicherheitsbeauftragten sagen, dass sie mit ihrer Tätigkeit unsicheres Verhalten wirksam vermeiden können, zeigt, dass sie genau dort tätig sind, wo es erforderlich ist: im Arbeitsalltag in ihrem Betrieb. Zudem werden Aktualisierungen der Gefährdungsbeurteilung als bedeutsam angesehen, denn diese zielen auf die Verhältnisse im Betrieb ab (siehe Abbildung 2).
Gute Praxis für Verbesserungspotenzial
In einem weiteren Themenblock ging es um die Frage, was die eigene Wirksamkeit als Sicherheitsbeauftragte verbessern würde (siehe Abbildung 3). Auf den Plätzen eins bis vier stehen ein stärkerer Erfahrungsaustausch mit anderen Sicherheitsbeauftragten, regelmäßige fachbezogene Informationen von der zuständigen Berufsgenossenschaft, mehr praktische Hilfsmittel durch den Unfallversicherungsträger sowie die bessere Kommunikation mit Führungskräften. Um die Wirksamkeit der Arbeit von Sicherheitsbeauftragten zu verbessern, sind also sowohl die Betriebe als auch die Unfallversicherungsträger gefordert.
Erfahrungsaustausch
Der mit 54,9 Prozent am häufigsten genannte Aspekt, der die Wirksamkeit von Sicherheitsbeauftragten nach deren Auffassung erhöht, ist ein stärkerer innerbetrieblicher und außerbetrieblicher Erfahrungsaustausch. Der fehlende Austausch mit anderen Sicherheitsbeauftragten wird besonders von Sicherheitsbeauftragten in kleinen Betrieben als Problem gesehen. Dort gibt es meist auch nur einen Sicherheitsbeauftragten oder eine Sicherheitsbeauftragte.
Für einen stärkeren Erfahrungsaustausch sind sowohl innerbetriebliche als auch überbetriebliche sowie digitale Formate wichtig und denkbar, die in Ergänzung zu den schon vorhandenen Formaten im Rahmen von Fortbildungen organisiert werden können.
Informationen und praktische Hilfsmittel
51,6 Prozent der Sicherheitsbeauftragten wünschen sich zur Verbesserung der Wirksamkeit regelmäßige fachbezogene Informationen von ihrem Unfallversicherungsträger und 48,1 Prozent würden gern mehr praktische Hilfsmittel (Checklisten und Plakate) zur Verfügung gestellt bekommen.
Ob es tatsächlich zu wenig Hilfsmittel gibt, ob die Sicherheitsbeauftragten keinen Zugriff darauf haben oder ob die zielgerichtete Suche in der Menge der Hilfsmittel nicht gelingt, ist derzeit unklar. Daher plant das Sachgebiet „Sicherheitsbeauftragte“ nun eine Bestandsaufnahme solcher Informationen und Hilfsmittel. Dabei soll herausgefunden werden, ob die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen tatsächlich mehr Produkte anbieten sollten oder ob eher die Bekanntheit und Verfügbarkeit von vorhandenen Produkten verbessert werden müsste.
Kommunikation
Da Sicherheitsbeauftragte keine Weisungsbefugnis haben, bleiben als wesentliche Mittel die „Motivation zum sicherheitsgerechten Verhalten“ und die „Kommunikation mit Führungskräften und Personal“. Gespräche sind somit ein sehr wichtiger Bestandteil bei der Arbeit von Sicherheitsbeauftragten und gleichzeitig ein Schlüssel zum Erfolg. Um also möglichst wirksam werden zu können, sollten Sicherheitsbeauftragte besonders in Gesprächsführung geschult werden, zum Beispiel im Rahmen der Sicherheitsbeauftragten-Grundqualifizierung und/oder spätestens in ergänzenden Fortbildungsmodulen.
Eine bessere Kommunikation mit den Führungskräften im Unternehmen wird nicht „auf Knopfdruck“ zu erreichen sein. Vielversprechend sind erste Ansätze in Schulungen oder Informationsmaterialien für Führungskräfte, die auf die Vorteile einer guten Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Sicherheitsbeauftragten eingehen. Hierbei mögliche Win-win-Situationen aufzuzeigen, dient einer effizienten Kommunikation zwischen beiden Seiten. Zum Abbau möglicher Barrieren müssen zudem die Themen Gesprächsführung und Kommunikation noch mehr in der Aus- und Fortbildung der Sicherheitsbeauftragten behandelt werden.
Qualifizierung
Nahezu 78 Prozent der befragten Sicherheitsbeauftragten haben die Schulung zum Sicherheitsbeauftragten bei ihrem Unfallversicherungsträger besucht, zwölf Prozent bei einem anderen Schulungsträger und fast zehn Prozent hatten überhaupt keine Schulung. Branchenspezifische Auswertungen der Umfrage zeigen dabei eine große Bandbreite. Das Sozialgesetzbuch Sieben (SGB VII) gibt lediglich vor, dass den Sicherheitsbeauftragten eine Gelegenheit zur Schulung angeboten werden muss. Selbst ein Mindestmaß an Wirkung dürfte allerdings ohne Qualifizierung und damit ohne Fachwissen und Methodenkompetenz kaum zu erreichen sein. Daher muss es ein vordringliches Ziel sein, dass nahezu alle Sicherheitsbeauftragte an einer entsprechenden Qualifizierung teilnehmen. Auch die Zahl der Fortbildungen hat offensichtlich Einfluss auf die Wirksamkeit der Sicherheitsbeauftragten. So schätzen sich Sicherheitsbeauftragte mit häufigeren Fortbildungen als deutlich wirksamer ein. Die DGUV Information 211-042 „Sicherheitsbeauftragte“ empfiehlt alle drei bis fünf Jahre eine Fortbildung für Sicherheitsbeauftragte. Bei deutschlandweit über 700.000 Sicherheitsbeauftragten dürfte dies nur mit einem klugen Mix aus Präsenz- und Online-Schulungen, Tutorials sowie innerbetrieblichen Seminaren der Unfallversicherungsträger zu erreichen sein.
Einen Erfolg versprechenden Ansatz bieten hierbei auch regionale Veranstaltungen. Sie behandeln meist an einem Tag oft jährlich wechselnde Themen und zeigen aktuelle Entwicklungen im Arbeitsschutz auf. Daneben bieten diese Veranstaltungen die Möglichkeit zum Austausch der Sicherheitsbeauftragten mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben und Branchen.
In der Umfrage haben Sicherheitsbeauftragten die Qualifizierung als zweitwichtigsten Aspekt für den Erfolg ihrer Arbeit eingestuft. Damit ist die Qualifikation in jedem Fall eines der wichtigsten Handlungsfelder, in dem die Wirkung der Sicherheitsbeauftragten verbessert werden kann.
Gute Praxis zur Verbesserung der Wirksamkeit
Gute Praxis für Sicherheitsbeauftragte findet man in nahezu allen Wirkungsfeldern: bei der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation und speziell bei der Organisation der Sicherheitsbeauftragten-Arbeit, in der Interaktion zwischen den Arbeitsschutzakteuren sowie bei der Unterstützung durch die Betriebe und Unfallversicherungsträger. Im Abschlussbericht des Projektes sind die „Beispiele guter Praxis“ vollständig aufgelistet. Sie bieten unter anderem den Unfallversicherungsträgern allgemeingültige und branchenspezifische Handlungsansätze für die Unterstützung von Sicherheitsbeauftragten.
Hemmnisse, die die Wirksamkeit der Sicherheitsbeauftragten reduzieren
Die Sicherheitsbeauftragten wurden auch danach gefragt, welche Hemmnisse ihre Arbeit beeinträchtigen. Am häufigsten genannt wurde, dass Kolleginnen und Kollegen die Sicherheitsbeauftragten zu selten ansprechen, wenn sie Fragen zum Arbeitsschutz haben, und dass Sicherheitsbeauftragte oft erst spät informiert werden, wenn im Betrieb unsichere Situationen auftreten. Langjährig tätige Sicherheitsbeauftragte berichteten deutlich seltener von diesen Hemmnissen.
Weitere Stolpersteine reichen vom Ausschluss von Betriebsbegehungen über den viel beschriebenen Praxisschock nach erfolgter Qualifikation bis hin zur fehlenden Umsetzung von Wissen/Können ins Handeln.
Keine Teilnahme an Betriebsbegehungen
42,4 Prozent der Sicherheitsbeauftragten werden bei Betriebsbegehungen mit der Berufsgenossenschaft, der Unfallkasse oder staatlichen Behörden meist nicht einbezogen. In Unternehmen mit 250 bis 999 Beschäftigten liegt die Nichteinbindung nochmals um circa 13 Prozent höher. In Kleinbetrieben wird die Nichteinbindung bei Betriebsbegehungen deutlich weniger als Hindernis eingeschätzt als in Unternehmen mit 250 bis 999 Beschäftigten und in Großbetrieben.
Das Ansprechen und Einbeziehen der Sicherheitsbeauftragten bei Betriebsbegehungen vor Ort wird als wertschätzend, motivierend und wichtig empfunden. Die Sicherheitsbeauftragten bei Betriebsbegehungen in keiner Weise einzubinden, sorgt nach deren Einschätzung dafür, dass die innerbetriebliche Wertschätzung auch im Kollegenkreis sinkt.
Praxisschock
Der viel beschriebene „Praxisschock“ der Sicherheitsbeauftragten, den sie vermeintlich nach ihrer Grundqualifizierung im Betrieb erleben, scheint nicht besonders stark ausgeprägt zu sein. Nur 34,9 Prozent sehen dieses Hindernis.
Sicherheitsbeauftragte, die nach dem Seminar einen Praxisschock erleiden: Sicherheitsbeauftragte sollten in der Qualifizierungsmaßnahme darauf vorbereitet werden, dass nach der Qualifikation nicht alle mitgebrachten Ansätze innerhalb von wenigen Wochen im Betrieb umgesetzt werden. Ohne eine Einstiegsstrategie kann der Praxisschock die ansonsten mögliche Wirkung der Sicherheitsbeauftragten massiv reduzieren.
Wissen, Können, Handeln als notwendige Schritte der Sicherheitsbeauftragten
42,9 Prozent der Befragten geben an, dass ihnen mitunter das Fachwissen fehle, um in gefährlichen Situationen geeignete Maßnahmen anbieten zu können. Dies deckt sich auch mit Beobachtungen des Sachgebiets beziehungsweise mit anderen Umfragen. Offensichtlich fehlt bei einem Teil der Sicherheitsbeauftragten der Schritt vom Wissen (oder sogar vom Können) zum Handeln.
Fazit
Das Projekt „Verbesserung der Wirksamkeit von Sicherheitsbeauftragten – Konzeptionelle Überlegungen und praktische Ansätze für erfolgreiche außerbetriebliche und innerbetriebliche Maßnahmen“ hat sich intensiv mit der Wirkung einer der wichtigsten Personen im Arbeitsschutz, den Sicherheitsbeauftragten, befasst. Mit der Verbesserung ihrer Wirkung soll ein Beitrag geleistet werden, um das Erfolgsmodell Sicherheitsbeauftragte weiter zu optimieren.
Bei der Identifikation und Analyse von „Beispielen guter Praxis“ war schnell klar, dass es nahezu keine Beispiele gibt, die allumfassend oder allgemeingültig sind. Meist sind sie in Abhängigkeit von bestimmten Betriebsstrukturen oder anderen Gegebenheiten mehr oder weniger gut geeignet, um die Wirkung der Sicherheitsbeauftragten zu verbessern. Der Abschlussbericht des Projektes stellt den Sicherheitsbeauftragten, den Unternehmen und den Unfallversicherungsträgern die „Beispiele guter Praxis“ deshalb als Sammlung zur Verfügung. Eine Auswahl von jeweils geeigneten Praxisbeispielen muss aber in jeder Zielgruppe im Einzelfall vorgenommen werden.
Bei der Analyse der Wirkungsdefizite war meist sofort ersichtlich, wie diese minimiert werden können, um eine verbesserte Wirkung zu erzielen. Andere Wirkungsdefizite, wie die fehlende fachliche Unterstützung der Sicherheitsbeauftragten in kleinen Betrieben im Vergleich zu Großbetrieben mit permanent anwesenden Fachkräften für Arbeitssicherheit, müssen noch weitergehend analysiert werden, um Lösungsansätze bereitstellen zu können oder Handlungsoptionen der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zu erarbeiten.
Detailauswertungen haben auch gezeigt, dass langjährige Sicherheitsbeauftragte sich als deutlich erfolgreicher einschätzen als der Durchschnitt der Umfrageteilnehmenden und dass die Hemmnisse bei deren Tätigkeit auch deutlich geringer ausgeprägt sind. Damit wird offensichtlich, dass eine Kontinuität bei den Sicherheitsbeauftragten im Betrieb absolut erstrebenswert ist.