Digitalkompetenzen für die Arbeitswelt der Zukunft
Damit Organisationen die digitale Transformation erfolgreich meistern können, müssen Beschäftigte über digitale Schlüsselkompetenzen verfügen. Dieser Beitrag erläutert, wie Digitalkompetenzen von anderen „Zukunftskompetenzen“ abzugrenzen sind, welche Bereiche sie umfassen und wie Organisationen die Beschäftigten in ihrer Kompetenzentwicklung unterstützen können.
Die Digitalisierung – oder konkreter gesagt: die digitale Transformation – revolutioniert unser Leben und unsere Arbeitswelt. Organisationen stehen vor der enormen Herausforderung, mit dem Wandel Schritt zu halten und durch Veränderungen in Strategien, Geschäftsmodellen, Prozessen und Unternehmenskultur ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder zu steigern. Ob der Transformationsprozess gelingen kann, hängt wesentlich davon ab, ob Beschäftigte über die entsprechenden Kompetenzen verfügen, diesen mitzugestalten. In diesem Zusammenhang sind Digitalkompetenzen zu einer zentralen Schlüsselkompetenz geworden.
Doch was sind „Digitalkompetenzen“? Sind damit primär Kenntnisse und Fähigkeiten zur Nutzung von Computern beziehungsweise digitalen Werkzeugen gemeint? Oder handelt es sich um technologische Fachkenntnisse im engeren Sinne, sodass in Zukunft ein noch größerer Bedarf an IT-Fachkräften zu erwarten ist? Das Future-Skills-Framework[1] erlaubt einen differenzierten Blick auf diese und weitere „Zukunftskompetenzen“:
Das Framework unterscheidet vier Kategorien von Future Skills, die eine Organisation benötigt, um den digitalen Wandel zu gestalten. Zum einen gehören dazu technologische Kompetenzen im engeren Sinne, zum Beispiel in Softwareentwicklung, Data Analytics, künstlicher Intelligenz (KI) und Quantencomputing. Hier liegt auf der Hand: Nur IT-Fachkräfte verfügen über das nötige Fachwissen, um diese Kompetenzbedarfe zu erfüllen. Hinzu kommt eine Reihe weiterer digitaler und nicht digitaler Schlüsselkompetenzen, die alle Beschäftigten benötigen. Neben klassischen Kompetenzen wie Resilienz, interkultureller Kompetenz, Kreativität und Eigeninitiative stellt das Modell die Bedeutung transformativer Kompetenzen heraus. Dazu zählen beispielsweise Dialog- und Konfliktfähigkeit, Innovationskompetenz und Missionsorientierung[2]. Diese sind nötig, um Veränderungsprozesse aktiv mitzugestalten. Auch Digitalkompetenzen sind – in Abgrenzung zu technologischen Kompetenzen – als weitere zentrale Schlüsselkompetenzen für alle Beschäftigten zu verstehen. Sie sind in Zeiten der Digitalisierung Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilhabe und für beruflichen Erfolg.[3]
Was zählt alles zu Digitalkompetenzen?
Der Begriff „Digitalkompetenz“ bündelt teils schon seit den 1970er-Jahren genutzte Kompetenzmodelle wie „Medienkompetenz“, „Computerkompetenz“, „Informationskompetenz“ oder „Digital Literacy“[4] unter einem zeitgemäßen Dach. Sie alle beziehen sich auf die Fähigkeit, mit (digitalen) Medien umzugehen und sie sinnvoll zu nutzen. Dabei sind diese Kompetenzen nicht trennscharf voneinander abzugrenzen, sondern eng miteinander verbunden und teils aufeinander aufbauend. Ein Modell, das die verschiedenen Bereiche von „Digitalkompetenz“ übersichtlich zusammenführt und um authentische Beispiele auf unterschiedlichen Kompetenzleveln ergänzt, ist der europäische Referenzrahmen für digitale Kompetenzen, DigComp 2.2.[5] Das Modell unterscheidet fünf Kompetenzbereiche:
1. Informations- und Datenkompetenz: Dieser Bereich umfasst die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu bewerten und zu nutzen. Die Menge der verfügbaren Informationen und Daten steigt immer schneller an. Um diese Datenflut zu beherrschen, braucht es passende Strategien zum Beispiel zur Recherche, Suche und Filterung. Mindestens genauso wichtig ist es, die gewonnenen Informationen auszuwerten und zu bewerten und über geeignete Strategien für das Speichern, Verwalten und Abrufen der Informationen zu verfügen.
2. Kommunikation und Kollaboration: Hierzu zählt die Fähigkeit, effektiv mit anderen mittels digitaler Werkzeuge zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten – und dazu gehört mehr als das Einrichten und Durchführen einer Videokonferenz. Es gilt, die jeweils passenden digitalen Technologien für unterschiedliche Anlässe von Interaktion und Kollaboration auszuwählen. Auch die Kenntnis und Berücksichtigung digitaler „Umgangsregeln“ gehören dazu.
3. Erstellen von digitalen Inhalten: Um digitale Inhalte wie Texte, Bilder, Videos und Präsentationen zu erstellen, braucht es zum einen Wissen und Fertigkeiten zu den technischen Umsetzungsmöglichkeiten. Zum anderen gehört die Einhaltung von Urheber- und Lizenzrecht zu diesem Kompetenzfeld.
4. Schutz und Sicherheit: Dieser Bereich widmet sich nicht nur dem Datenschutz gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem Schutz von Geräten (Cybersecurity), sondern umfasst auch den Schutz von persönlichen Daten, zum Beispiel durch geeignete Sicherheits- und Privatsphäre-Einstellungen. Auch Strategien zum Schutz von Gesundheit und Wohlbefinden sowie der umweltbewusste Umgang mit digitalen Geräten zählen dazu.
5. Lösung von Problemen: Dieser Bereich umfasst zum einen die Kompetenz zur Lösung „technischer Probleme“ in der Nutzung von Geräten und zum anderen die Fähigkeit, das Potenzial von digitalen Technologien zur Lösung von Problemen zu nutzen. Dazu gehört überdies, die eigenen Fähigkeiten und Defizite zu reflektieren und geeignete Maßnahmen zum Schließen der identifizierten Kompetenzlücken zu ergreifen. Damit betont der Kompetenzbereich die Bedeutsamkeit lebenslangen Lernens.
Für den Dialog über Digitalkompetenzen im Kontext der DGUV wurde das Modell um einen sechsten Kompetenzbereich „Agiles Denken und Handeln“ ergänzt, um dessen große Bedeutung für die gelungene Gestaltung des digitalen Wandels hervorzuheben. Dabei handelt es sich nicht nur um eine bestimmte Methode wie „Scrum“, sondern um eine umfassende Veränderung der Organisation durch Etablierung agiler Werte, Prinzipien, Praktiken und Methoden.
Grundprinzipien sind hier zum Beispiel die Selbstorganisation in Projektteams und das zyklische Vorgehen in sogenannten Sprints mit dem Ziel, schnell eine erste funktionsfähige Version eines Produkts oder einer Dienstleistung zu entwickeln. Kommunikation, Feedback und Flexibilität sind weitere zentrale Merkmale agilen Denkens und Handelns.
Wie digital kompetent sind Beschäftigte?
Spätestens mit der Corona-Pandemie hat die Entwicklung von Digitalkompetenzen in vielen Branchen einen enormen Schub erfahren. Mit der Einführung von Homeoffice, Videokonferenzen, neuen digitalen Tools und veränderten Arbeitsweisen sind zumeist die grundlegenden Anwendungskompetenzen – also: Wie richte ich eine Videokonferenz ein? Wie teile ich eine Datei mit Kolleginnen und Kollegen? Wie recherchiere ich im Internet? – gestiegen. Für komplexere Aufgaben, in denen etwa Problemlöse- und Gestaltungskompetenzen gefragt sind, bescheinigt eine Studie zum „Digital Skills Gap“[6] jedoch eine Diskrepanz zwischen den zukünftig benötigten und aktuell vorhandenen Digitalkompetenzen der Bevölkerung. Besonders große Nachholbedarfe bestehen demnach bei der Kompetenz zur Prüfung des Wahrheitsgehalts von Informationen[7] („Fake News“ erkennen), bei der Einhaltung des Urheber- und Lizenzrechts[8] sowie in der Fähigkeit, sich unter Nutzung digitaler Medien Wissen selbst anzueignen[9] [10].
Dies verdeutlicht: Im Kontext der Entwicklung von Digitalkompetenzen gilt es, nicht nur zwischen verschiedenen Kompetenzbereichen zu unterscheiden, sondern als Organisation spezifische Kompetenzprofile für konkrete Aufgaben zu formulieren und dabei das jeweils erforderliche Kompetenzlevel[11] zu definieren. Für welche aktuellen und zukünftigen Tätigkeiten und Aufgabenfelder reichen grundlegende digitale Fähigkeiten aus und wo werden fortgeschrittene oder hoch spezialisierte Digitalkompetenzen benötigt, um zum Beispiel neue Geschäftsmodelle zu erschließen?
Ein Abgleich zwischen daraus resultierenden Kompetenzprofilen[12] und den ermittelten[13] vorhandenen Kompetenzen Beschäftigter zeigt den „Digital Skills Gap“ auf und erlaubt die Planung gezielter Qualifizierungsmaßnahmen.
Entwicklung von Digitalkompetenzen unterstützen
Zielgruppenspezifische Weiterbildungsmaßnahmen in Form von Schulungen, Workshops und Seminaren können den Grundstein zur Schließung des „Digital Skills Gap“ legen. Doch um die Entwicklung von Digitalkompetenz nachhaltig zu fördern, reichen punktuelle, formelle Qualifizierungsangebote nicht aus. Doch warum ist das so?
„Kompetenzentwicklung ist ein fortwährender Prozess.“[14] Qualifizierungsangebote können einen Anstoß zur Kompetenzentwicklung geben, indem zum Beispiel neue Informationen vermittelt oder spezifische Fertigkeiten trainiert werden. Idealerweise sind Bildungsangebote praxisnah, problemorientiert, didaktisch durchdacht und fördern die unmittelbare Anwendung von neu erworbenem Wissen und Fertigkeiten. Doch ob der Transfer in den beruflichen Arbeitsalltag gelingt oder ob es bei „trägem Wissen“[15] bleibt, hängt von den situativen Rahmenbedingungen sowie den „individuellen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten“[16] ab.
Zudem führt uns die Digitalisierung jeden Tag vor Augen: Wissen hat eine immer kürzere Halbwertszeit. Technische Innovationen und veränderte Arbeitsweisen erfordern kontinuierlich das Erlernen neuer Fähigkeiten[17] – auch außerhalb von formellen Qualifizierungsmaßnahmen. Dieser Tatsache trägt das Konzept des „lebenslangen Lernens“[18] Rechnung. Ob durch das Anschauen von Lernvideos, das eigenständige Recherchieren von Problemlösungen im Internet, im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen oder aus der Tätigkeit heraus: Informelles Lernen im beruflichen Alltag ist für die Kompetenzentwicklung unerlässlich. Doch lebenslanges Lernen ist voraussetzungsreich und erfordert Reflexions-, Lern- und Selbststeuerungskompetenzen.
Analog zu Digitalkompetenzen gelten diese selbst als „Future Skills“[19] und müssen als Schlüsselkompetenzen in Schule, Ausbildung und Studium gefördert werden[20], damit Beschäftigte lebenslangem Lernen mit einer positiven Haltung und den dafür nötigen Fähigkeiten begegnen können. Darüber hinaus benötigt lebenslanges Lernen passende organisationale Rahmenbedingungen. Dazu gehören beispielsweise ausreichend Zeit, die nötige (technische) Infrastruktur wie der Zugang zu Tools und digitalen Lernumgebungen sowie eine lernförderliche Organisationskultur. Gefragt sind hier insbesondere Führungskräfte:
Als „Digital Leaders“ orientieren sie sich an agilen Werten und Prinzipien, fördern eine positive Feedback- und Fehlerkultur, sind selbst lern- und veränderungsbereit und beziehen ihre Mitarbeitenden in die Gestaltung der digitalen Transformation mit ein.
Zusammenfassung und Ausblick
Digitalkompetenzen sind zentrale Schlüsselkompetenzen für alle Beschäftigten, um in Zeiten des digitalen Wandels handlungsfähig zu bleiben. Während grundlegende Anwendungskompetenzen bei vielen Beschäftigten vorhanden sind, sind andere Kompetenzbereiche – zum Beispiel digitales Problemlösen – bislang unterentwickelt.
Um die Kompetenzentwicklung nachhaltig zu fördern, benötigen Organisationen ein klares Bild der zukünftigen Aufgaben und der dafür benötigten Kompetenzprofile. So können Qualifizierungsangebote gezielt auf diese Bedarfe hin ausgerichtet werden. Eine große Bedeutung kommt dabei der Förderung informellen und lebenslangen Lernens zu – auch durch die Gestaltung einer entsprechenden Lern- und Führungskultur.