Hunde und Brief-/Paketzustellende: mehr als eine sprunghafte Beziehung

Hunde als Haustiere mögen des Menschen bester Freund sein. Post- und Paketbotinnen und -boten erleben aber oft etwas anderes. Wie das Zusammentreffen zwischen ihnen und Hunden mit Gesundheitsverletzungen des Menschen rechtlich bewertet wird, soll anhand einer fallübergreifenden und zugleich für solche Schadensfälle typischen landgerichtlichen Entscheidung dargestellt werden.

§ LG Kempten (Allgäu), Urteil vom 28.07.2023 – 35 O 129/23

Der rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichtes (LG) Kempten (Allgäu) liegt ein durchaus typischer Arbeitsunfall eines sogenannten Verbundzustellers (ein kombinierter Brief- und Paketbote) zugrunde. Das Grundstück der beklagten Hundehalterin war eingefriedet und zum Betreten war es notwendig, durch ein Gartentor zu gehen. Die Briefkästen des Anwesens waren von außen zugänglich, um aber die Klingel beziehungsweise den für Pakete im Ablagevertrag benannten Ablageort Garage zu erreichen, waren ein Betreten des Grundstücks und ein Durchlaufen des Gartens notwendig. Der Verbundzusteller hatte zwei Pakete zuzustellen und betrat daher das Grundstück. Aus einer offenen Haustür sprang sodann der Hund der Beklagten und stürmte auf den Paketboten los. Letzterer ergriff sofort die Flucht, sprang über das Gartentor, um nicht von dem Hund angefallen zu werden, und knickte, ohne dass der Hund ihn gebissen hatte, mit dem Fuß um und verletzte sich dadurch.

Die Hundehalterin verteidigte sich im Prozess damit, dass der Hund nur gebellt habe und sich dadurch ein für Zustellende typisches Risiko verwirklicht habe. Der behauptete Sprung aufgrund des Hundes sei eine freiwillige Entscheidung des Paketboten gewesen und der Sturz sei ein typisches Risiko eines solchen Sprungs. Zudem sei ein Schild „Betreten auf eigene Gefahr“ vorhanden gewesen.

Das LG Kempten hat der Klage aufgrund einer Tierhaltergefährdungshaftung nach § 833 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stattgegeben. Das Gericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Zurechnungszusammenhang zwischen dem tierischen Verhalten (Loslaufen des Hundes und Bellen, das sich zumindest aus der subjektiven Sicht des Briefträgers aggressiv anhörte) und dem entstandenen Schaden bejaht. Denn das Bellen und Losrennen des Hundes stellt eine typische Tiergefahr dar und hat beim Paketboten einen Fluchtreflex ausgelöst. Es genügt für eine Haftung, wenn das tierische Verhalten lediglich psychische Wirkungen, wie auch eine Schreckreaktion, auslöst. In seiner Gesamtheit wurde die Flucht des Paketboten wie auch das Überspringen des Zaunes als nachvollziehbar betrachtet, um eine schnelle Barriere zwischen ihm und dem aggressiv wirkenden Hund zu begründen. Selbst wenn sich eine später geschädigte Person bewusst und freiwillig der normalen Tiergefahr ausgesetzt hätte, was bei Wahrnehmung des Schildes „Frei laufende Hündin, Betreten auf eigene Gefahr“ durchaus angenommen werden kann, würde dies eine Haftung nach § 833 BGB nicht ausschließen. Anders wäre dies nur, wenn die verletzte Person bewusst ungewöhnliche Risiken eingegangen wäre, beispielsweise der Aufenthalt in einer Hundemeute auf einem Hundespielplatz. Nichts davon hat aber mit der normalen Brief- oder Paketzustellung zu tun.

Das LG Kempten lehnte es auch ab, ein Mitverschulden des Geschädigten anzunehmen. Zwar wird ein Mitverschulden in der Regel dann angenommen, wenn sich die geschädigte Person ohne ausreichenden Grund in die Nähe eines gefährlichen Tieres begibt oder wenn sie ein Warnschild, das auf einen bissigen Hund hinweist, nicht beachtet. Ein Schild „Betreten auf eigene Gefahr“ reicht dafür aber nicht aus. Seinem Inhalt nach weist ein solches Schild allenfalls auf die Anwesenheit einer Hündin hin, nicht aber auf eine besondere Aggressivität des Tieres. Unter Berücksichtigung einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes (OLG) Stuttgart vom 24. Juni 2010, Az. 1 U 38/10, war hier entscheidend, dass jeglicher Warncharakter des Schildes angesichts der besonderen Umstände zurücktrat. Denn das nicht sonderlich hohe Gartentor, das der Brief-/Paketbote überspringen konnte, war zwar geschlossen, aber nicht verschlossen. Auch war am Gartentor oder an den Briefkästen gerade keine Klingel angebracht, sondern die Klingeln befanden sich erst an der Haustür. Ein vorsichtiger Mensch darf deshalb davon ausgehen, dass ihm jedenfalls tagsüber durch den auf dem Gelände gehaltenen Hund kein Schaden droht, sei es, weil der Hund gut erzogen oder weil er weggesperrt ist.

Aus welchen Gründen auch immer zwischen Hunden und Personen, die Briefe und Pakete zustellen, eine besonders „sprunghafte Beziehung“ besteht, die reine Gefährdungshaftung gemäß § 833 Satz 1 BGB wird regelmäßig greifen, wenn es zu Verletzungen dieser Personen kommt. Zudem müssen sich Hundehalter und Hundehalterinnen damit abfinden, dass der Nachweis eines Mitverschuldens der später geschädigten Person nicht einfach oder auch gar nicht zu führen ist. 

Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.