Folgen der Pandemie: Psychische Beanspruchungen bei Beschäftigten
Eine IPA-Studie im ersten Jahr der SARS-CoV-2-Pandemie zeigte, dass Beschäftigte auch außerhalb des besonders betroffenen Gesundheitssektors einer erhöhten psychischen Belastung ausgesetzt waren. Dieselben Beschäftigten wurden 22 Monate später erneut befragt, um die langfristigen Folgen der Pandemie zu untersuchen.
Während der Pandemie zielten Arbeitsschutzmaßnahmen hauptsächlich darauf ab, Kontakte zu reduzieren, um das Infektionsrisiko am Arbeitsplatz zu reduzieren. Dies konnte jedoch zu Isolation, Einsamkeit und psychischen Belastungen führen. Studien in der deutschen Allgemeinbevölkerung und bei Beschäftigten aus verschiedenen Berufsgruppen zeigten eine Zunahme von Depressions- und Angstsymptomen.[1] Neben den besonders stark betroffenen Beschäftigten im Gesundheitswesen wurden auch negative Auswirkungen unter anderem bei pädagogischen Fachkräften oder Beschäftigten im Einzelhandel und Finanzsektor festgestellt.[2]
Basis- und Folgebefragung
Zwischen Dezember 2020 und Juni 2021 führte das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA) eine Online-Befragung unter 1.545 Beschäftigten aus den Branchen Industrie, öffentlicher Dienst, Personennahverkehr, Finanzwesen und Einzelhandel durch. Diese wurden mit Unterstützung der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) und der Unfallkasse Hessen rekrutiert. Die Ergebnisse der Basisbefragung zum Zeitpunkt der ersten Welle (t-1, retrospektiv) und zwischen dem Höhepunkt der zweiten Welle und dem Ende der dritten Welle (t-2) zeigten, dass insbesondere Beschäftigte mit einem höheren beruflichen SARS-CoV-2-Infektionsrisiko stärker psychisch belastet waren.[3]
Im November 2022 lud das IPA 563 Teilnehmende, die einer Folgebefragung zugestimmt hatten, per E-Mail erneut ein. Bis Januar 2023 nahmen 260 Personen teil, deren Daten ausgewertet werden konnten. Die Folgebefragung umfasste eine Erhebung zur fünften Welle (t-3, retrospektiv zur Omikron-Welle Anfang 2022) und Ende 2022 (t-4). Beide Umfragen fanden in Kooperation mit dem Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) statt.
Rückgang der psychischen Beanspruchung
Die Daten zeigten, dass die psychische Beanspruchung der Beschäftigten im Verlauf der Pandemie zunächst zunahm, sich jedoch im weiteren Verlauf wieder reduzierte (Abbildung 1). Insbesondere Beschäftigte mit hohem beruflichem SARS-CoV-2-Infektionsrisiko wie etwa pädagogische Fachkräfte, Fachkräfte der sozialen Arbeit oder Beschäftigte im Einzelhandel, aber auch Beschäftigte mit einem potenziell erhöhten beruflichen Risiko wie etwa Personal der öffentlichen Verwaltung, Bankangestellte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit und solche, die bereits vor der Pandemie an einer Angststörung oder Depression litten, wiesen eine höhere psychische Belastung auf.
Zu Pandemiebeginn gaben 89 Prozent der Teilnehmenden reduzierte Kontakte am Arbeitsplatz an. Gegen Ende der Pandemie waren es nur noch 63 Prozent. Der Anteil der Personen, die unter einem mangelnden Austausch mit Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz litten, sank ebenfalls. Auch berichteten die Teilnehmenden im Pandemieverlauf zunehmend seltener über Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben. Dennoch blieb die Häufigkeit von chronischem arbeitsbedingtem Stress bei etwa 60 Prozent konstant. Der Anteil der Beschäftigten, die sich an ihrem Arbeitsplatz ausreichend vor einer Infektion geschützt fühlten, nahm jedoch ab und sank gegen Ende der Pandemie auf 65 Prozent. Insbesondere Beschäftigte mit hohem beruflichem Infektionsrisiko fühlten sich nicht angemessen am Arbeitsplatz geschützt (59 Prozent).
Augenmerk auf besonders gefährdete Gruppen richten
Ein besonderes Augenmerk wurde auf Beschäftigte gelegt, die bereits vor der Pandemie an einer Angststörung oder Depression litten. Bei 42 Teilnehmenden (16 Prozent) war dies der Fall. Diese Gruppe, die zu 71 Prozent aus Frauen bestand, berichtete von einem höheren Maß an Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben und fühlte sich mit 43 Prozent seltener bei der Arbeit ausreichend vor einer Infektion geschützt. Sie litten zudem häufiger unter chronischem arbeitsbedingtem Stress (79 Prozent) und wiesen ein überdurchschnittlich hohes berufliches Engagement auf.
Tendenziell erhöhte Risiken für stärker ausgeprägte Depressions- und Angstsymptome zeigten sich bei Beschäftigten mit hohem oder potenziell erhöhtem beruflichem Infektionsrisiko im Vergleich zu Personen ohne erhöhtes Infektionsrisiko. Ein geringes Maß an Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte und eine möglicherweise damit verbundene Einsamkeit war mit schwereren Symptomen verbunden. Fortbestehende Risikofaktoren für eine höhere Symptomschwere waren Work-Privacy-Konflikte, ein als unzureichend wahrgenommener Schutz vor SARS-CoV-2 am Arbeitsplatz und ein überdurchschnittlich hohes Engagement bei der Arbeit. Als stärkster Risikofaktor erwies sich eine bereits vor der Pandemie diagnostizierte Angststörung oder Depression. Eine umfassende Darstellung der Studienergebnisse wurde international veröffentlicht.[4]
Psychosoziale Risiken berücksichtigen
Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Bedeutung arbeitsbedingter psychosozialer Risiken für das Wohlbefinden der Beschäftigten. Die geringere psychische Belastung in der Folgebefragung im Vergleich zur Basiserhebung deutet darauf hin, dass die Auswirkungen der Pandemie auf Angst- und Depressionssymptome in der Regel vorübergehend waren. Dennoch sollten Unternehmen weiterhin die soziale Interaktion unter den Beschäftigten stärken, um deren psychische Gesundheit zu schützen. Bei Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben sowie bei bekannter Diagnose einer Angststörung oder Depression sollten individuelle Hilfsangebote bereitgestellt werden.