Gewaltprävention in Bildungseinrichtungen am Beispiel des Programms MindMatters

Gewalt tritt in Schulen auf unterschiedlichen Ebenen auf und wird als Belastung wahrgenommen. Die Auswahl eines geeigneten Programms zur Gewaltprävention stellt für Schulen eine Herausforderung dar. MindMatters erfüllt alle Qualitätskriterien und wirkt durch die Förderung der psychischen Gesundheit gewaltpräventiv.

Gewalterleben in Schulen

Gewaltkriminalität ist laut der polizeilichen Kriminalstatistik in Deutschland seit vielen Jahren kontinuierlich rückläufig.[1] Allerdings zeigen aktuelle Studien ein bedeutsames Gewalterleben von Schülerinnen und Schülern sowie von Lehrkräften. So berichten Schulleitungen aller Schulformen über zunehmende Gewalt gegen Lehrkräfte[2] und 30 Prozent aller Schülerinnen und Schüler wurden bereits Ziel von Mobbing[3]. Ob dieses Erleben auf einen tatsächlichen Anstieg der Gewaltvorfälle, eine veränderte Qualität der Gewalt an Schulen beziehungsweise eine generell erhöhte Gewaltbereitschaft oder auf eine zumindest teilweise erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema zurückzuführen ist, lässt sich nur schwer einzuschätzen.

Auch die Anfragen bei den Trägern der gesetzlichen Schülerunfallversicherung nach Angeboten zur Gewaltprävention weisen darauf hin, dass Gewalt in Schulen als relevantes und belastendes Thema erlebt wird. Verstärkt wird dieser Eindruck auch aktuell durch aufsehenerregende Einzelfälle im deutschsprachigen Raum wie Amokdrohungen, Tötungsdelikte gegen eine Lehrerin und Schülerinnen oder Fälle von sexuellem Missbrauch in der Schule. Die Berichterstattung in den Medien sorgt dabei für eine besonders hohe öffentliche Präsenz dieser Fälle.

Gewalt in Schule – was gehört dazu?

Gewalt bezeichnet – kurz gesagt – alle Vorkommnisse, bei denen Personen verbal, physisch oder psychisch angegriffen werden, was zu einer Beeinträchtigung oder Schädigung ihrer Gesundheit, ihrer Sicherheit oder ihres Wohlbefindens führt oder führen kann.

Diese Definition deutet bereits darauf hin, dass es sich bei Gewalt um ein sehr komplexes Phänomen handelt. In Schulen sind zudem ganz unterschiedliche Ebenen zu betrachten (siehe Abbildung 1). Es kann sowohl zu Gewaltvorfällen zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften untereinander kommen, Personen beider Gruppen können aber auch gegeneinander Gewalt ausüben. Als weitere wesentliche Gruppe kommen noch die Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigten hinzu. Bei den Formen der Gewalt spielen auch konkrete Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse eine Rolle. In diesem Zusammenhang ist die institutionalisierte Gewalt von Bedeutung, also Gewalt, die durch schulische Abläufe und Rahmenbedingungen wie zum Beispiel schulische Regeln und deren Durchsetzung oder die Bewertung von Leistung sowie die Gestaltung von Prüfungssituationen ausgeübt wird.

Abbildung 1: Unterschiedliche Ebenen von Gewalt in Schulen mit Beispielen | © Quelle: Unfallkasse NRW / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 1: Unterschiedliche Ebenen von Gewalt in Schulen mit Beispielen ©Quelle: Unfallkasse NRW / Grafik: kleonstudio.com

Gewalt muss daher als vielschichtiges und komplexes Phänomen betrachtet werden, von dem alle Beteiligten in Schulen betroffen sein können. Gewalt tritt auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Formen auf und kann darüber hinaus Teil der schulischen Abläufe sein (siehe oben). Entsprechend hohe Anforderungen gelten an Maßnahmen zur Gewaltprävention.

Gewalt – ein Thema unter vielen

So bedeutsam Gewaltvorfälle im Erleben der Beteiligten sind, stellen sie doch lediglich eines der Phänomene dar, die gemeinsam aktuell und zukünftig herausfordernd und belastend auf Schulen einwirken.

Wie andere Branchen auch sind Schulen aktuell vom Mangel an Fachkräften betroffen.[4]Dies gilt nicht nur für Lehrkräfte, sondern auch für das Personal in den Angeboten des offenen Ganztags und weiteres nicht unterrichtendes Personal wie zum Beispiel Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter oder Schulgesundheitsfachkräfte.

Der Mangel an Fachkräften wirkt sich umso stärker aus, als Schülerinnen und Schüler – infolge der Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie – Lern- und Entwicklungsrückstände aufweisen, sowohl bezogen auf die Unterrichtsinhalte der einzelnen Fächer als auch im Hinblick auf ihre sozial-emotionale Entwicklung.[5][6] Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist infolge der Pandemie deutlich beeinträchtigt.[7] [8]

Die Heterogenität in schulischen Lerngruppen hat mit der Umsetzung der Inklusion und der verstärkten Aufnahme von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren bereits deutlich zugenommen und stellt ebenfalls hohe Anforderungen an alle Beteiligten.

Die übergreifende Entwicklung der zunehmenden Digitalisierung betrifft auch die Schulen. Neben der Herausforderung, Schulen mit adäquaten technischen Mitteln auszustatten, hat diese Entwicklung Folgen für die schulischen Abläufe und auch ganz wesentlich auf das Lehren und Lernen.

Wirksamkeit von (Gewalt-)Präventionsprogrammen

Um wirksame und nachhaltige Präventionsangebote in den schulischen Alltag zu integrieren, sollten diese in Bezug auf die konkrete Zielsetzung und ihre Qualität ausgewählt werden. Hilfreich sind dabei wissenschaftlich erarbeitete und mit der Praxis abgeglichene Kriterien, wie sie unter anderen von Siegfried Preiser[9] von der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB) beschrieben werden. Danach sollte ein (Gewalt-)Präventionsprogramm die konkreten Interventionsziele benennen, die Zielgruppe mit Begründung des Bedarfs und der Erreichbarkeit definieren und die theoretischen Grundlagen des Programms nachvollziehbar erläutern. Mit der Unterstützung von Preiser und Fachleuten aus der schulischen Präventionspraxis ist zu diesem Zweck eine Checkliste[10] für Schulen erstellt worden, mit deren Unterstützung individuelle Präventionsangebote ausgewählt werden können.

Neben den programmatischen Qualitätskriterien erscheint es sinnvoll, Präventionsarbeit in Schulen so auszurichten, dass sie kontinuierlich und langfristig wirken kann – sowohl auf das Verhalten aller schulischen Akteurinnen und Akteure als auch auf die Verhältnisse und Strukturen der Einzelschule. Dabei sollten nach Scheithauer et al.[11] die Maßnahmen und Programme zur Gewaltprävention auf der Ebene der Lernenden entwicklungsorientiert ausgerichtet sein. Diesbezüglich meint entwicklungsorientiert, dass entsprechende Angebote den Einfluss von alterstypischen Entwicklungen und Entwicklungsaufgaben von Kindern und Jugendlichen konzeptionell und inhaltlich berücksichtigen.

„Mit Gesundheit gute Schulen entwickeln“

Vor dem Hintergrund des Spektrums der kontinuierlich wachsenden und sich verändernden Herausforderungen sowie der in der Vergangenheit stetig gestiegenen Präsenzzeiten sowohl von Schülerinnen und Schülern als auch des Personals wird klar, dass Schule sowohl Schutz als auch Risiko für die Gesundheit und das Wohlbefinden aller schulischen Akteurinnen und Akteure darstellen kann. Hinweise und Anregungen zu der Frage, wie Schulen dem augenscheinlichen Anspruch an Gesundheitsförderung, Prävention und Bildungsqualität gerecht werden können, finden sich in der Leitidee der „Guten gesunden Schule“.

Diese beschreibt die wechselseitige Bedingtheit zwischen Prävention, Gesundheitsförderung und Qualitätsentwicklung, wie sie seit vielen Jahren von der Wissenschaft, Präventions-, aber auch Schulentwicklungsfachleuten wie Hans-Günter Rolff [12], dargestellt und formuliert wird.

Die im DGUV-Fachkonzept „Mit Gesundheit gute Schulen entwickeln“[13] beschriebene Leitidee der „Guten gesunden Schule“ versteht Prävention und Gesundheitsförderung nicht nur als Selbstzweck zur Förderung von Sicherheit und Gesundheit, sondern vielmehr auch als Weg, den Kernauftrag von Schule, Kompetenz- und Wissenserwerb angemessen umzusetzen. Die Leitidee der „Guten gesunden Schule“ will Bildungsförderung durch Gesundheit und Gesundheitsförderung durch Bildung gestalten. Gesundheit und Wohlbefinden sind dabei nicht nur Voraussetzungen für gute Bildungs- und Erziehungsprozesse, sondern gleichermaßen deren Ergebnis.

Gute gesunde Schulen verstehen gesundheitsfördernde Schulentwicklung als einen langfristigen, kontinuierlichen und zielorientierten Prozess, der auf systematische, aufeinander abgestimmte Angebote, Maßnahmen und Verfahren setzt.

Die zentrale Ausrichtung der Gestaltung der Schulentwicklungsarbeit liegt dabei, ausgehend von der Forschung, im Wesentlichen auf den Aspekten Kooperation, Partizipation, Heterogenität und Nachhaltigkeit. Gute gesunde Schulen verstehen Gesundheitsförderung und Prävention nicht als eine weitere Zusatzaufgabe, sondern als integrierten Bestandteil ihrer individuellen Schulentwicklungsarbeit. Dabei gehen sie systematisch entsprechend einem Qualitätszirkel (Analyse, Planung, Intervention, Evaluation) und inhaltlich nach einem an Gesundheit ausgerichteten Qualitätstableau[14] vor.  

Die so gestaltete Entwicklung zur „Guten gesunden Schule“ beinhaltet neben Gesundheit, Wohlbefinden und Bildungsqualität die wichtigen Aspekte schulischer Präventionsarbeit, die übergeordnet und unabhängig von thematischen Schubladen wirken: Eine Präventionsarbeit, die nicht in kurzzeitigen Projekten oder punktuellen Angeboten denkt, sondern langfristig und kontinuierlich, wissenschaftlich fundiert, auf möglichst vielen schulischen Ebenen, für möglichst alle Beteiligten, verstehbar, sinnhaft und machbar wirken kann. Aus diesem Grund bildet die Leitidee der „Guten gesunden Schule“ auch das Basiskonzept des Präventionsprogramms MindMatters[15] zur Förderung der psychischen Gesundheit aller schulischen Akteurinnen und Akteure.

MindMatters – das Präventionsprogramm

Neben den benannten Aspekten zur schulischen Gewaltprävention können folgende Maßnahmen wirksam und hilfreich sein:

  • Aufbau und Pflege eines unterstützenden Schulklimas
  • Entwicklung einer tragfähigen und verbindlichen Konfliktkultur
  • Vereinbarung und Kontrolle von Regeln des Zusammenlebens in der Schule
  • Aufbau wirksamer individueller Förderung
  • gute innerschulische Beratungsarbeit
  • Kooperationen mit außerschulischen Unterstützungssystemen
  • wertschätzende und konstruktive Elternzusammenarbeit

Mit Präventionsprogrammen wie MindMatters können diese Punkte im Rahmen der schulischen Präventionsarbeit wirksam und nachhaltig gefördert werden.

MindMatters ist ein bundesweites, wissenschaftlich begleitetes und in der Praxis erprobtes Programm zur Förderung der psychischen Gesundheit in der Schule. Das Programm unterstützt beim Aufbau und Erhalt einer unterstützenden und fürsorglichen Schulkultur. Es fördert die Verbundenheit und Zugehörigkeit zur Schule, Respekt und Akzeptanz und begreift Verschiedenheit als Bereicherung. MindMatters fördert die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der schulischen Akteurinnen und Akteure und ermöglicht den Aufbau und Ausbau von Netzwerken und Partnerschaften inner- und außerhalb der Schule.

Mit seiner inhaltlichen Ausrichtung und den umfassenden Angeboten für die konkrete Schulpraxis wirkt MindMatters auf vielen Ebenen der Schulentwicklung gewaltpräventiv. Die Arbeit mit MindMatters gibt Schulen wichtige Impulse für die Schulentwicklung und ermöglicht damit, das in einigen Schulen anzutreffende Schubladendenken (Unterscheidung von isolierten Maßnahmen zur Prävention von beispielsweise Gewalt, Sucht, Suizid, Radikalisierung) zu überwinden. Die Einbindung der MindMatters-Unterrichtseinheiten zu Themen wie Stresserleben, Mobbing und dem Umgang mit Gefühlen in das schulinterne Curriculum fördert die Resilienz und die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus unterstützt die Arbeit mit MindMatters Lehrerinnen und Lehrer bei der Klärung ihrer eigenen Haltung zu Themen der psychischen Gesundheit. Eigene Schwerpunktmodule helfen Schulen bei der Entwicklung positiver Lösungen beim zentralen Thema der Lehrergesundheit. Auf diese Weise kann die psychische Gesundheit von Lernenden, Lehrkräften und weiterem schulischen Personal nachhaltig mit MindMatters gefördert und geschützt werden.

Das Programm wird seit der erfolgreichen Modellphase 2006 kontinuierlich weiterentwickelt und von mittlerweile mehreren Tausend Schulen[16]] aller Schulformen zur gezielten Präventionsarbeit genutzt.

Abbildung 2: Das Programm MindMatters im Überblick  | © Quelle: 2020 MindMatters Programmzentrum
Abbildung 2: Das Programm MindMatters im Überblick ©Quelle: 2020 MindMatters Programmzentrum

MindMatters besteht aus drei Schulentwicklungsmodulen und sieben Unterrichtsmodulen mit unterschiedlichem Themenschwerpunkt (siehe Abbildung 2). Die Materialien und Unterrichtseinheiten der Module sind kompetenzorientiert aufgebaut und so konzipiert, dass sie anschlussfähig an inklusive Settings sind. Die Module liegen auch als PDF-Dateien vor und richten sich an Schülerinnen und Schüler der Primarstufe sowie der Sekundarstufe I und II aller Schulformen.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.mindmatters-schule.de