Impfschaden als Arbeitsunfall

Bei der Teilnahme an einer Grippeschutzimpfung für Beschäftigte in einer Krankenhausküche kann sich die betriebliche Handlungstendenz auch aus dem allgemeinen personalwirtschaftlichen Ziel ergeben, grippebedingte Fehl- und Ausfallzeiten durch Präventivmaßnahmen zu vermeiden und ferner besonders vulnerable Patientinnen und Patienten keinem Ansteckungsrisiko auszusetzen.

§ BSG, Urteil vom 27.06.2024 – B 2 U 3/22 R

Der Kläger, ein als Gastronomieleiter eines Tochterunternehmens des Krankenhausträgers im Küchenbereich tätiger ehemaliger Koch, beantragte die Anerkennung von Gesundheitsschäden, die er den Folgen einer Grippeschutzimpfung zuschrieb, als Arbeitsunfall. Der Unfallversicherungsträger sowie beide Vorinstanzen lehnten dies ab, da kein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und seiner Beschäftigung als Gastronomieleiter bestehe. Das Angebot der Impfung sei freiwillig gewesen und habe keine rechtliche Verpflichtung zur Teilnahme begründet. Die Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) habe gleichfalls keine aus der Sicht des Klägers nachzukommende Pflicht bedeutet, sich aus Gründen des Ansteckungsrisikos für andere Mitarbeitende oder Patientinnen und Patienten der Impfung zu unterziehen. Damit könne auch dahinstehen, ob ein vom Versicherten getragener und gesteuerter Vorgang wie eine bewusst herbeigeführte Impfung als plötzlich von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis überhaupt den Unfallbegriff erfülle und ob die im Jahr 2013 aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge der im Jahr 2009 erfolgten Grippeimpfung anzusehen sind.

Das Bundessozialgericht (BSG) stellte in seinem Urteil, mit dem es die Sache zur weiteren Verhandlung an das Landessozialgericht (LSG) zurückverwies, zunächst klar, dass eine Impfung grundsätzlich den Unfallbegriff des § 8 Sozialgesetzbuch (SGB) VII erfüllt. Der in der privaten Unfallversicherung (AUB 2020) zu entnehmenden Sichtweise, dass ein vom Versicherten getragener und gesteuerter Vorgang wie eine bewusst herbeigeführte Impfung als kein plötzlich von außen auf den Körper einwirkendes überraschendes Ereignis nicht als Unfall gilt, werde für die gesetzliche Unfallversicherung nicht gefolgt. § 8 SGB VII erfordere weder ein plötzliches noch ein unfreiwilliges, sondern lediglich ein zeitlich begrenztes Ereignis, das in Abgrenzung zur Berufskrankheit nur hinsichtlich der Dauer begrenzt (innerhalb einer Arbeitsschicht) eintreten müsse. Auch schließe eine Vorhersehbarkeit der Schädigung den Versicherungsschutz nicht aus. Zahlreiche Versicherungspflichttatbestände, wie die der Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz und bei der Feuerwehr, ebenso Tätigkeiten, bei denen sich Beschäftigte zur Erfüllung ihrer Pflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis gefährlichen Einwirkungen aussetzten, gehen mit einer bewussten Beeinträchtigung der eigenen Gesundheit einher.

Damit sei auch eine Impfung als planmäßig, freiwillig und mit ausdrücklicher Einwilligung durchgeführter Vorgang ein geeignetes zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Für den Unfallbegriff müsse sie jedoch eine Schädigung des Organismus verursacht haben, die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgeht. Die mit der Impfung schon im Normalfall einhergehenden körperlichen Reaktionen seien keine missbilligten Wirkungen des Eingriffs, sondern gehörten notwendig zu jeder (Schutz-)Impfung. Weil mit der Impfung bereits der Sache nach gewisse körperliche Einwirkungen und übliche Reaktionen verbunden sind, entstehe der Primärschaden erst mit dem Eintritt einer Impfkomplikation. Trete sie erst lange Zeit nach der Impfung auf, sei sie gleichwohl Primär- beziehungsweise Erstschaden.

Da das LSG eine Entscheidung in der Sache wegen eines fehlenden wesentlichen Zusammenhangs zwischen der konkreten Verrichtung (Impfung) und der versicherten Tätigkeit des Klägers abgelehnt hatte, hatte der Senat für die begehrte Anerkennung der vom Kläger behaupteten Impffolgen als Arbeitsunfall zu prüfen, ob die Impfung der Beschäftigung als Gastronomieleiter nach wertenden Gesichtspunkten zuzurechnen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Personal in medizinischen Einrichtungen aufgrund der versicherten Tätigkeit typischerweise einem erhöhten Expositionsrisiko gegenüber bestimmten Infektionserregern ausgesetzt sein könne. Die beruflich indizierte Impfung diene daher einerseits dem eigenen Schutz vor Infektionen, andererseits könne das Personal selbst zu einer Infektionsquelle für Patientinnen und Patienten oder Kolleginnen und Kollegen werden (Drittschutz vor Ansteckungs- und Übertragungsrisiken). Maßstab für die Zurechnung zur betrieblichen Tätigkeit ist die objektivierte Handlungstendenz: Zu prüfen ist, ob das objektiv beobachtbare Verhalten des Verletzten – aus seiner subjektiven Sicht – zumindest auch dem Unternehmen dienen, nutzen oder zugutekommen sollte. Auch wenn wie im konkreten Fall keine objektive Rechtspflicht zur Teilnahme an der Impfung bestanden habe, sei dafür, ob er annehmen durfte, einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, den besonderen Umständen Rechnung zu tragen. Das LSG habe prüfen müssen, ob der Kläger aufgrund seiner konkreten Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht beziehungsweise er komme damit einem Wunsch des Unternehmens nach. Nicht entscheidend sei hierbei, wovon das LSG ausgegangen sei, dass die Impfinitiative nicht von der Arbeitgeberin des Klägers (Catering-GmbH), sondern von deren Schwesterunternehmen (dem Krankenhausträger) ausging. Auch ein in konzernähnlichen Strukturen gegebenenfalls erworbenes Recht gegenüber Mutter-, Tochter- oder Schwesterunternehmen der Arbeitgeberin könne den erforderlichen Unternehmensbezug herstellen.

Das BSG wies die Streitigkeit an das LSG zur erneuten Sachaufklärung darüber zurück, ob der Kläger sich (etwa als Angehöriger einer bestimmten Risikogruppe, für die die Impfung von der STIKO gegen die Neue Influenza A (H1N1) besonders empfohlen wurde) in erster Linie für die eigene Gesundheit oder die von Kontaktpersonen im privaten Bereich habe impfen lassen oder ob er vornehmlich aus Gründen der Minimierung des Ansteckungsrisikos für Dritte gehandelt habe. Dafür genügten die nicht ausreichend als feststehend wiedergegebenen Umstände nicht. Auch wenn das personalwirtschaftliche Ziel, grippebedingte Fehl- und Ausfallzeiten in der Krankenhausküche durch Präventivmaßnahmen zu vermeiden und ferner kein Ansteckungsrisiko für Patientinnen und Patienten zu setzen, für sich allein nicht ausreichend erscheint, die unternehmensdienliche Tendenz zu bejahen, könnte dies jedoch aufgrund besonderer Umstände verantwortungsvolle Mitarbeitende zur Impfung veranlassen. Dazu gehöre, dass die Klinik an der Einsatzfähigkeit von nur begrenzt verfügbarem Personal im Küchenbereich ein besonderes Interesse hat und ebenso das Ansteckungsrisiko besonders vulnerabler Patienten und Patientinnen vermeiden muss, auf deren Gesundheit das Catering-Unternehmen innerhalb einer Unternehmensgruppe in der Gesundheits- und Pflegebranche ebenso Rücksicht zu nehmen hatte.

Die Entscheidung des BSG ist mit Augenmaß ergangen. Die generelle Ablehnung einer unternehmensdienlichen Handlungstendenz, wenn Beschäftigte am Arbeitsplatz dem arbeitgeberseitigen Angebot zu einer Grippeimpfung nachkommen, erscheint hier nicht vertretbar. Insbesondere in dem hier betroffenen Arbeitsfeld der Krankenpflege ist der Rücksichtnahme auf die Gesundheit von Patientinnen und Patienten und Mitarbeitenden (auch vor dem Hintergrund des dort herrschenden dramatischen Arbeitskräftemangels) bei der Entscheidung über eine Impfung ein besonderes Gewicht beizumessen. Die wegen einer besonderen persönlichen gesundheitlichen Disposition bestehende eigenwirtschaftliche Tendenz, Ansteckungen zum Schutz der eigenen Gesundheit zu vermeiden, sollte auch in solchen Fällen – insbesondere, wenn das Ansteckungsrisiko wegen des Arbeitsumfelds mit einem Patientenkontakt besonders hoch erscheint – nicht den Ausschlag geben. 

Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.