Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit im Fokus der Kommissionsarbeit

Ein halbes Jahr nach Amtsantritt der zweiten Kommission von der Leyens ist es an der Zeit, das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission etwas näher zu beleuchten. Für die ersten 100 Tage hatte die Kommissionspräsidentin einige große Initiativen angekündigt. Mit dem Kompass für eine wettbewerbsfähige Europäischen Union (EU), dem Clean Industrial Deal, dem Weißbuch über die Zukunft der europäischen Verteidigung und dem Aktionsplan für die Cybersicherheit von Krankenhäusern und Gesundheitsdienstleistern hat die Europäische Kommission vor allem in den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit und Verteidigung fristgerecht geliefert.

Schon bei Ursula von der Leyens Antrittsrede war klar, dass die Zeichen dieser Amtszeit auf Wettbewerbsfähigkeit stehen werden. Darum war es Mitte Februar auch nicht verwunderlich, dass sich das Arbeitsprogramm für 2025 auf Initiativen konzentriert, die die europäische Wirtschaft stärken und bürokratische Hürden abbauen. Des Weiteren überraschte es auch nicht, dass die soziale Agenda für dieses Jahr mit vier nicht legislativen Initiativen recht überschaubar ist. Auch Initiativen zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit spielen aktuell eine eher untergeordnete Rolle auf der Agenda der Kommission. Zwar wird weiter daran gearbeitet, die Grenzwerte für berufsbedingte Expositionen zu aktualisieren. Die bereits mehrfach angekündigte sechste Änderung der Richtlinie über Karzinogene, Mutagene oder reproduktionstoxische Stoffe (CMRD) fand im Arbeitsprogramm aber keine Erwähnung.

Aufbauend auf dem bereits veröffentlichten Clean Industrial Deal arbeitet die Europäische Kommission an einem Paket für die chemische Industrie. Ziel ist auch hierbei, diesen Wirtschaftszweig wettbewerbsfähiger zu machen. Um dies zu erreichen, sollen vor allem die Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien, die durch die sogenannte REACH-Verordnung geregelt sind, modernisiert und vereinfacht werden. In der Europavertretung begleiten wir diesen Prozess sehr eng, da ein Paradigmenwechsel in der Risikobewertung durch die REACH-Verordnung auch Auswirkungen auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz haben kann.

Viele Organisationen, die sich mit der Sozialpolitik der EU auseinandersetzen, stellen sich seit Monaten die gleiche Frage: Bedeutet die eher schwache Sozialagenda der Europäischen Kommission, dass diese Themen in den nächsten vier Jahren aufgrund der Notwendigkeit, die Industrie und die Sicherheit in Europa zu stärken, in Vergessenheit geraten könnten? Blickt man auf die Personen, die vor Roxana Mînzatu, der Exekutiv-Vizepräsidentin für soziale Rechte und Kompetenzen, hochwertige Arbeitsplätze und Vorsorge, diese Position innehatten, lässt sich diese Sorge entkräften. Auch in den vergangenen beiden Legislaturperioden unter Jean-Claude Juncker und Ursula von der Leyen nahm die Sozialpolitik einen geringen Stellenwert im Arbeitsprogramm ein. Dennoch brachten die zuständigen Kommissionsmitglieder Marianne Thyssen und Nicolas Schmit wichtige Initiativen – wie beispielsweise die Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR) oder die Reform der Entsenderichtlinie – auf den Weg. Daher blicke ich gespannt auf die zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen. Denn bis wir 2029 wieder Bilanz ziehen, kann sich noch vieles entwickeln und verändern.