Wir besichtigen auch unangekündigt!

Damit betrieblicher Arbeitsschutz gelingt, müssen Haltungen, Werte und Handeln in Übereinstimmung mit anerkannten Arbeitsschutzstandards gebracht werden. Um das Verhalten aller Beteiligten nachhaltig zu verändern und eine Arbeitsschutzkultur in den Betrieben zu fördern, besichtigt und berät die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft zu allen Fragen des Arbeitsschutzes.

Wer kennt sie nicht, die guten Vorsätze für den nächsten Tag, die nächste Woche oder das neue Jahr? Nicht nur im Privatleben, sondern auch im Arbeitsschutz mangelt es nicht an ehrgeizigen Absichten, die häufig genauso schnell vergessen werden, wie man sie sich vorgenommen hat. Daher stellt sich die Frage, wie man Beteiligte dazu bewegt, das eigene Verhalten dauerhaft zu ändern. Die Antwort klingt einfach: Die Verhaltensänderung muss für die Person plausibel, lohnend und zu bewältigen sein. So wie jeder Mensch einen individuellen Ansatz braucht, braucht auch jedes erfolgreiche Unternehmen eine passende Methode, um wirksam Arbeitsschutz zu etablieren.

Regelbrüche erfordern Konsequenzen

Bei einer Einwohnerzahl von rund 83 Millionen Menschen, von denen circa 63 Millionen bei den Unfallversicherungsträgern gegen die Folgen von Arbeits-, Wege-, Schul- und Schulwegunfällen sowie Berufskrankheiten versichert sind, erscheint der obige Ansatz zur individuellen Verhaltensänderung kaum umsetzbar. Das wird deutlich, wenn man bewusst einen Betrieb betrachtet, der aus Arbeitsschutzsicht das Worst-Case-Szenario darstellt: In der Phase der Sorg- oder Absichtslosigkeit befindet sich dieses Unternehmen mit seinen Beschäftigten ganz am Anfang der gewollten Verhaltensänderung in Richtung regelkonformen Verhaltens. Es fehlt das Problembewusstsein – den betrieblichen Akteuren und Akteurinnen ist weder klar, was falsch läuft, noch was sich ändern soll. Scheinbar besteht also kein Anlass, irgendetwas zu verändern. Bekommt dieses Unternehmen mit seinen Beschäftigten keine Impulse von außen, besteht die Gefahr, in diesem Verhaltensmuster zu verharren. Erhöhen der Staat oder die Unfallversicherungsträger jedoch den Druck, wird ein bequemes Verharren in der Sorg- beziehungsweise Absichtslosigkeit unmöglich. Wenn Unfallversicherungsträger aus Gründen des Arbeitsschutzes wollen, dass sich das Verhalten bei diesen Beteiligten in eine bestimmte Richtung ändert, müssen diese vor allem auch die zeitnahen Konsequenzen für ihre Regelbrüche – zum Beispiel Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften zum Schutz von Leib und Leben – tragen. Die alternative Übernahme von Konsequenzen aus Arbeitsschutzverstößen, beispielsweise Kosten aus Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und gesundheitlichen Schädigungen durch die Solidargemeinschaft oder die Betroffenen, erscheint aus Sicht einer Gesellschaft, die sich im Artikel 2 Abs. 2 ihres Grundgesetzes (GG) auf das Recht der körperlichen Unversehrtheit für jedermann verpflichtet hat, als die deutlich schlechtere Option.

Präventionsleistung Überwachung und Beratung

Selbstverständlich waren beziehungsweise sind die unter anderem aus dem erweiterten Präventionsauftrag resultierenden veränderten Beratungs- und Unterstützungsleistungen richtig und wichtig, aber eben auch die Überwachung der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften. Gerade die risikobezogene Überwachung und Beratung sowie priorisierte Präventionsprogramme auf der Grundlage von Datenauswertungen lassen begründet annehmen, dass die Prävention effizienter oder wenigstens effektiver wird. Im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) wurde ein großes Maß an abgestimmten Aktivitäten bei der Überwachung und Beratung durch staatliche Stellen und Unfallversicherungsträger erreicht – man zieht nachweislich und spürbar an einem Strang.

Ein verändertes Grundverständnis hinsichtlich der Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger bedeutet jedoch nicht, dass die hoheitlichen Aufgaben (zum Beispiel Überwachung und Beratung) nicht auch mit entsprechenden Sanktionen erfüllt werden, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht. So bleiben unangekündigte Überwachung mit Beratung und bedarfsweise Erzwingung (Anordnung, Bußgelder) der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften die gesetzlichen Kernaufgaben der Aufsichtsdienste. Es geht schließlich um das Leben oder die Gesundheit der Beschäftigten, die unter Umständen sorglos gefährdet werden. Dabei dient die unangekündigte Kontrolle von Arbeitsstätten mit ihren Menschen und Arbeitsmitteln ohne Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr im Sinne der Gefahrenabwehr der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten. In sehr vielen Fällen ist es aber auch ein erster Schritt in Richtung anlassbezogener  Beratung von Unternehmen im Hinblick auf den Arbeitsschutz.

Unangekündigter Baustellenbesuch als Chance

Vergleichbar mit der in den Leitlinien des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) zur Überwachungs- und Beratungstätigkeit niedergelegten Strategie unterscheiden die Unfallversicherungsträger in der Regel zwischen Besichtigungen mit und ohne vorherige Terminvereinbarung. Letztere sind von entscheidender Bedeutung bei der Erkennung von Arbeitsschutzdefiziten unter üblichen Bedingungen – insbesondere bei wechselnden Belegschaften und dem Einsatz von Subunternehmen. So verfügen die Unfallversicherungsträger zwar über alle relevanten Daten zur Einschätzung von Risiken bei einzelnen Mitgliedsunternehmen, nicht aber über Informationen zu Fremdunternehmen, entsandten Unternehmen, neu gegründeten Unternehmen, Eigenbauern und Baustellen mit ihren individuellen Organisationsformen. Auf Baustellen mit ihren ständig wechselnden Rahmenbedingungen müssen auch Best Performer im Arbeitsschutz mit zum Teil überraschenden Gefährdungen aus der Tätigkeit anderer Unternehmen mit unbekannter Arbeitsschutzleistung zurechtkommen. Bei unangekündigter Überwachung von nicht stationären Arbeitsplätzen kennen sich die Beteiligten meist vorher nicht, was auch zu angespannten Situationen aufgrund sprachlicher und kultureller Unterschiede führen kann. Hierauf haben sich die Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger inzwischen vorbereitet und bieten beispielsweise Informationsschriften in diversen Sprachen an. Oftmals ist dieser unangekündigte Kontakt mit den Präventionsdiensten der Unfallversicherung die willkommene Chance für entsandte Unternehmen, sich erstmals über hiesige Arbeitsschutzvorschriften beraten zu lassen und passende Unterstützungsangebote zu nutzen.

Nachhaltiger Arbeitsschutz umfasst Sanktionsmöglichkeiten

Viele Besichtigungen ohne vorherige Terminvereinbarung resultieren aus Meldungen oder dienen der Ermittlung (reaktive Überwachung), andere sind das Ergebnis von datenbasierten Risikobetrachtungen zu Unternehmen, Wirtschaftszweigen oder spezifischen Arbeitsstätten (aktive Überwachung). Reaktive Überwachung erfolgt anlassbezogen und wird durch Beschwerden zur Situation vor Ort oder durch konkrete Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen ausgelöst. Im Sinne einer nachhaltigen Prävention müssen in beiden Fällen (reaktiv, aktiv) angepasste Folgemaßnahmen – wie zum Beispiel eine Systemkontrolle – ergriffen werden, um das Unternehmen am jeweiligen Entwicklungsstand „abzuholen“ und zur individuellen Verbesserung bis zur Compliance im Arbeitsschutz anzuleiten. Arbeitsschutz wirkt nachhaltig, wenn er umfassend in die betriebliche Organisation eingeordnet ist. Hierzu gehört im Bedarfsfall selbstverständlich auch die Nutzung von Sanktionsmöglichkeiten mit Abschreckungswirkung für die Beteiligten.

Unangekündigte Überwachung inkludiert Beratung

Bei der unangekündigten Überwachung kommt es immer zur Beratung hinsichtlich der Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie der Ersten Hilfe. In begründeten Fällen löst es auch Kommunikation sowie Kooperation mit anderen Stellen wie staatlichen Stellen im Arbeitsschutz, Behörden für Produktsicherheit, Gesundheitsbehörden und -einrichtungen, Behörden des Inneren, des Zolls und für Beschäftigung und mit anderen Sozialversicherungsträgern aus.

Der Einwand, unangekündigte Besichtigungen würden die Verantwortlichen der Gelegenheit berauben, Arbeitsstätten und Tätigkeiten noch rechtzeitig den Arbeitsschutzvorschriften anzupassen, ist haltlos. Es ist gesetzliche Aufgabe der Aufsichtsdienste, ob angekündigt oder nicht, Arbeitsschutzverstöße festzustellen und diesen wirksam entgegenzuwirken. Die nicht akzeptablen Zahlen an schweren und tödlichen Arbeitsunfällen in Deutschland und auf hiesigen Baustellen erklären, warum auf unangekündigte Besichtigungen und konsequentes Revisionshandeln nicht verzichtet werden darf!

Aufsichtspersonen von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen können zu den Betriebs- und Arbeitszeiten die Betriebs-, Geschäftsräume oder Betriebsstätten betreten, besichtigen und prüfen. Die Befugnisse erhalten sie aus dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) (§ 19 „Befugnisse der Aufsichtspersonen“ der Berufsgenossenschaften). Nach dem SGB VII hat der Unternehmer die dort beschriebenen Maßnahmen zu dulden, was bedeutet, dass er eine spontane Begehung nicht ablehnen kann.