Die Entwicklung der Zufriedenheit bei den Trägerinnen und Trägern von Exo-Prothesen
Modern, realistisch, bunt oder unauffällig – die Welt der Exo-Prothetik ist vielseitig und für Außenstehende dementsprechend unübersichtlich. In einer Online-Umfrage gaben Trägerinnen und Träger an, welche Exo-Prothesen sie nutzen und welche Verbesserungen sie sich wünschen.
Ein konzentrierter Anlauf, ein perfekter Absprung und eine optimale Landung: „8,48 Meter!“ – Markus Rehm hätte nicht weiter springen können. Bei der Para-Leichtathletik-Europameisterschaft 2019 in Berlin rollte der 30-jährige Weitspringer nach seinem Sprung beinahe aus der Sandgrube. Mit fast achteinhalb Metern holte sich der Deutsche nicht nur den Sieg bei der Para-Leichtathletik-EM, sondern stellte zudem einen neuen Weltrekord auf – nur er und seine Sportprothese. Mit solch einem Sprung machte er jedem anderen Weitspringer Konkurrenz.[1]
An Beispielen wie diesem wird deutlich, wie weit sich die prothetische Versorgung in den vergangenen Jahrzehnten entwickeln konnte. Nicht nur im Bereich der Sportprothesen, auch im alltäglichen Leben werden Exo-Prothesen immer lebensechter und konkurrieren zunehmend mit den natürlichen Extremitäten. Doch wie zufrieden sind die Trägerinnen und Träger solcher Körperersatzstücke wirklich und was könnte verändert werden, um deren Zufriedenheit noch zu steigern?
Die Historie der Exo-Prothese
Betrachtet man eine moderne Exo-Prothese wie die von Markus Rehm, vergisst man leicht, wie sich die Prothetik im Laufe der Jahre entwickelt hat.
Ohne wirkliche Funktion begann die Geschichte der Prothetik bereits 600 vor Christus mit den ersten Schmuckprothesen. Heute noch vereinzelt genutzt, dienten die damals zumeist aus Holz gefertigten Schmuckprothesen lediglich der optischen Vervollständigung.[2]
Dem Wunsch nach einer beweglichen Extremität folgend, entstanden ab dem 16. Jahrhundert nach Christus die ersten passiven Exo-Prothesen. Wie es der Name bereits ausdrückt, konnten diese Exo-Prothesen nur passiv, mit der noch verbliebenen Extremität, bewegt werden; sie verfügten jedoch über höhere Mobilität. Bewegliche Fingergelenke erlaubten es den Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträgern, Schilde und Schwerter zu ergreifen oder Zügel zu halten. Komplexere Bewegungen, beispielsweise das Schütteln einer Hand, erlaubte diese Exo-Prothesenart jedoch nicht.[3]
Menschen, die nicht in der Lage waren, passive Exo-Prothesen zu nutzen, verlangten nach einer Exo-Prothese mit aktiver Steuerung. Eine „aktiv“ gesteuerte Exo-Prothese benötigte zum Beispiel keine gesunde Hand, sondern ließ sich durch die körpereigene Muskulatur des Bi- und Trizepses „willkürlich“ bewegen.[4]
Diese Form der Exo-Prothese wurde bis zum Jahre 1918 genutzt. Danach wurden die sogenannten „Fremdkraftprothesen“ entwickelt. Sie galten lange als Standard der Exo-Prothesenversorgung. Zu den „Fremdkraftprothesen“ zählen auch die myoelektrischen und bionischen Exo-Prothesen. Sie erlauben präzise Bewegungen unter Einsatz von elektronischen Mechanismen. Durch die Anbindung der Exo-Prothese an die noch vorhandene Muskulatur können bereits kleinste – bei den Muskelkontraktionen entstehende – elektrische Impulse eingelesen und in passende Prothesenbewegungen umgewandelt werden. Dies geschieht häufig mittels auf der Haut angebrachter Muskelmess-Sensoren.[5]
Der Wunsch nach einer möglichst realistischen und natürlich reagierenden Exo-Prothese besteht bereits seit Anbeginn der Geschichte.
Die Prothese von heute – zwischen natürlich und technisch
War es in der Vergangenheit ausreichend, die körperliche Vollständigkeit zu imitieren oder simple Gegenstände zu ergreifen, verfügen die in den vergangenen Jahren entwickelten Exo-Prothesen über vielfache Bewegungsmuster, bessere Optik und höheren Tragekomfort. Es ist dementsprechend nicht verwunderlich, dass sich im Laufe der Zeit auch die Wünsche, Ansprüche und Zukunftsvorstellungen der Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträger verändert haben.
Um einen Überblick über die Wünsche und Vorstellungen zu erhalten, wurden die Betroffenen anhand einer quantitativen Erhebung gebeten, ihre Exo-Prothese zu benennen und in festgelegten Punkten zu evaluieren. Bei der genutzten Erhebungsmethode handelte es sich um eine Online-Umfrage auf mehreren, von Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträgern häufig frequentierten Internetseiten. Dort bestand die Möglichkeit, den Fragebogen nach Belieben zu öffnen und auszufüllen. Die Namen, die IP-Adressen oder andere Erkennungsmerkmale der Teilnehmenden wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erhoben.
Insgesamt verzeichnete die Online-Umfrage 74 Aufrufe. Unter den befragten Personen befanden sich 58 Teilnehmende, die den Fragebogen komplett ausfüllten und 16 Teilnehmende, die frühzeitig abbrachen. Von den 58 vollständigen Datensätzen gaben elf Personen an, keine Exo-Prothese zu tragen.
Nach Bereinigung der Datensätze verblieben 46 Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträger, die den Fragebogen online öffneten und vollständig ausfüllten. Nur diese vollständig ausgefüllten und bereinigten Datensätze bildeten die Grundlage der Auswertung. Aus dieser Stichprobenmenge gaben 71 Prozent an, lediglich über eine einzige Exo-Prothese zu verfügen.[6] Der Gruppe der „Fremdkraftprothesen“ konnten 34 der insgesamt 64 angegebenen Exo-Prothesen zugeordnet werden. Reduziert man die Gesamtmenge um die Anzahl der Sportprothesen – die zumeist als sekundäre Prothese getragen werden – und um die Anzahl der in der Befragung nicht erfassten „sonstigen“ Exo-Prothesen, so nehmen die Fremdkraftprothesen 68 Prozent der Gesamtmenge ein.[7]
Auf die direkte Frage nach der allgemeinen Prothesenzufriedenheit antworteten 92 Prozent der befragten Personen, „zufrieden“ oder „eher zufrieden“ mit ihrer Prothese zu sein.[8]
Ein starkes Augenmerk legen die Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträger auf die Qualität der ihnen verordneten Prothese. Die Optik der Prothese spielte für die Nutzerinnen und Nutzer nur eine untergeordnete Rolle. Sie wurde mit durchschnittlich 3,7 Sternen von insgesamt 5 Sternen bewertet. Die übrigen Prothesenmerkmale, wie die Eingewöhnungszeit (3,9 Sterne), die Bequemlichkeit (4 Sterne), die Handhabung (4,1 Sterne) und die Passform (4,2 Sterne), erhielten weitaus höhere Bewertungen.[9]
Nach Auswertung des individuellen Verbesserungsbedarfes liegen sowohl die „technische Ausstattung“ – mit einer Verbesserungsquote von etwa 47 Prozent – als auch die „Optik“ mit etwa 36 Prozent deutlich hinter den übrigen Protheseneigenschaften. Mit einer Verbesserungsquote zwischen 23 und 29 Prozent ist anzunehmen, dass die Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträger die übrigen Eigenschaften ihrer Exo-Prothese – hier: die Handhabung, die Reaktionsgeschwindigkeit und die Instandsetzungsintervalle – als unproblematisch erachten.[10]
Im Verlauf der Geschichte standen die Nöte der Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträger in einem kausalen Zusammenhang mit den Veränderungen an den zukünftigen Exo-Prothesen. Umso wichtiger ist es daher, die Meinungen der Betroffenen nicht zu ignorieren, sondern stattdessen genauer hinzuhören.
Die Prothese von morgen: Wünsche, Risiken und Chancen
Sei es der Wunsch nach Vollständigkeit, Funktion oder Individualität: Alle Wünsche führen zu einem weiteren Schritt vorwärts auf dem Weg zu einer „modernen Prothese“. Die Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträger wurden gebeten, einige Exo-Prothesenmerkmale hinsichtlich ihrer Relevanz für die Zukunft zu bewerten.
Während alle Fragen nach dem Aussehen und der Freizeittauglichkeit größtenteils ausgeglichen bewertet wurden, stach der Wunsch nach intuitiven Bewegungsmustern[11] und einer einfachen Bedienbarkeit[12] hervor.
Circa 89 Prozent der Befragten gaben an, intuitive Bewegungsmuster und einfache Bedienbarkeit für wichtig zu erachten.
Der Wunsch nach einer möglichst realistischen und natürlich reagierenden Exo-Prothese besteht bereits seit Anbeginn der Geschichte. Was vor mehreren Tausend Jahren noch unvorstellbar war, ist heute Realität: Die moderne Exo-Prothese wird der natürlichen Extremität immer ähnlicher. Aktuelle Forschungsprojekte arbeiten an einer direkten Übertragung der Befehle des Gehirns an die Exo-Prothese mittels einer direkten Verbindung zwischen Nervenbahnen und Elektroden[13] oder über die Imitation der menschlichen Haut durch mikroskopisch kleine Drucksensoren[14].
Im Gegensatz dazu gab es deutliche Unterschiede bei der Frage nach der freien Farb- und Mustergestaltung und dem natürlichen Aussehen einer Exo-Prothese. Die prothesenherstellende Firmen reagieren auf das Spektrum unterschiedlicher Wünsche, indem sie Möglichkeiten anbieten, die verordneten Prothesen individuell zu gestalten oder mittels neuer Technologien, wie dem 3-D-Druck oder dem 3-D-Scan, nach Belieben zu verändern.
Ein 3-D-Scan dient dazu, den noch bestehenden Arm oder das noch bestehende Bein der Exo-Prothesenträgerin beziehungsweise des Exo-Prothesenträgers zu scannen, zu drehen und dreidimensional in ein Programm einzupflegen. Das so eingepflegte Modell kann daraufhin nach Belieben verändert und beispielsweise von der rechten auf die linke Hand gespiegelt werden. Die im 3-D-Druck erstellte Exo-Prothese ähnelt dem noch bestehenden Arm im Detail. Angelegt fallen diese Exo-Prothesen kaum auf und sind insbesondere für Menschen geeignet, die ein natürlicheres Prothesenaussehen bevorzugen.[15]
Der 3-D-Druck ermöglicht es jedoch nicht nur, eine natürlich aussehende Exo-Prothese herzustellen. Umfassend anpassbar eröffnet diese Technik Möglichkeiten, die der Fantasie keine Grenzen mehr setzen. Basierend auf der eigenen Vorstellungskraft oder inspiriert von Figuren aus einem Computerspiel, einem Film oder dem Lieblingsbuch, können die sogenannten „Covers“ – auswechselbare Außenhüllen der Exo-Prothesen aus 3-D-gedrucktem Hartplastik – so gut wie jede Form und Farbe annehmen.[16] Verfügt eine Exo-Prothesenträgerin oder ein Exo-Prothesenträger über mehrere „Cover“, ist es möglich, diese passend zur Kleidung oder einem speziellen Anlass auszutauschen.[17]
Diese Art der Exo-Prothese ist auffälliger als ihr natürlicher Gegenpol, erlaubt es jedoch den Trägerinnen und Trägern, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen und eine individuell für sie gefertigte Prothese zu entwerfen.
Unabhängig davon, ob natürlich oder modern, die Zukunft der Prothetik entfernt sich zunehmend vom einheitlichen Prothesenmodell hin zu einem Unikat.
Fazit
Unabhängig davon, ob natürlich oder modern, die Zukunft der Prothetik entfernt sich zunehmend vom einheitlichen Prothesenmodell hin zu einem Unikat. Es sind nicht länger die Exo-Prothesenträgerinnen und Exo-Prothesenträger, die sich an die Prothese gewöhnen müssen, fehlende Beweglichkeit in Kauf nehmen oder die eigenen Wünsche hintanstellen. Stattdessen eröffnet ihnen der technische Fortschritt die Möglichkeit, eine Exo-Prothese nach individueller Vorstellung zu gestalten. Wenn auch bis jetzt größtenteils auf die Optik fokussiert, ist es nicht auszuschließen, dass der technische Fortschritt auf diesem Sektor die Grenze zwischen moderner Prothese und natürlicher Extremität schließen wird.
Die Exo-Prothese
Der Duden bezeichnet das Wort „Prothese“ als „künstliche[n] Ersatz eines fehlenden, amputierten oder unvollständig ausgebildeten Körperteils, besonders der Gliedmaßen oder der Zähne“. Obwohl grundsätzlich richtig, werden bei solchen – zumeist allgemeineren – Definitionen die unterschiedlichen Prothesenarten vollständig vernachlässigt. Aufgeteilt in die sogenannten Exo-Prothesen und Endo-Prothesen besteht der Unterschied vor allem in der prothetischen Verortung am Körper. Während Endo-Prothesen in den Körper eingebracht werden und dort verbleiben (zum Beispiel Hüftprothesen), gelten Exo-Prothesen als Körperersatzstücke und können von außen an den Körper angelegt und nach Belieben abgenommen werden. Selbst Hybridprothesen, wie die sogenannten Endo-Exo-Prothesen, besitzen eine in den Knochen eingebrachte Prothesenhalterung mit auswechselbaren Beinteilen.
Bewertungskriterien der Exo-Prothesenmerkmale
- intuitive Bewegungsmuster
- einfache Bedienbarkeit
- Badetauglichkeit
- Sporteignung
- freie Farb- und Mustergestaltung
- natürliches Aussehen