Globale Lieferketten und die europäische Verantwortung
Die Durchsetzung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen und der Schutz von Menschenrechten entlang globaler Lieferketten ist ein Schwerpunktthema des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Im Vordergrund steht hier das übergeordnete Ziel eines neuen EU-Aktionsplans, der Menschenrechte, soziale und ökologische Standards sowie Erfahrungen und Erkenntnisse aus der COVID-19-Krise berücksichtigt. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen über die gesamte Lieferkette sicherzustellen ist auch ein Anliegen, das die gesetzliche Unfallversicherung seit vielen Jahren verfolgt.
Weltweite Lieferketten sind für die globale Wirtschaftstätigkeit und für den Welthandel von zentraler Bedeutung. Unternehmen sind in zunehmendem Maße grenzübergreifend tätig; Wertschöpfungs- und Lieferketten können sich inzwischen über mehrere Länder und Kontinente erstrecken. Die Krise verdeutlichte nicht nur, wie fragil stark fragmentierte und nicht diversifizierte Lieferketten sind, sondern auch welchen Risiken Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgesetzt sind. In den vergangenen Jahren wurden menschenunwürdige Arbeitsbedingungen entlang der Wertschöpfungskette, wie beispielweise bei der Herstellung von Smartphones oder die Arbeitssicherheit in der Textilindustrie, immer wieder medial thematisiert.
Seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes in Bangladesch im Jahr 2013 mit mehr als 1.100 Toten steht gerade der Textilsektor unter besonderer Beobachtung – in dem Fabrikkomplex wurde auch für deutsche Hersteller und deren Konsumenten produziert. Das Unglück hatte bereits für eine verstärkte Wahrnehmung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit gesorgt. Im Zuge der COVID-19-Pandemie hat das öffentliche Interesse an globalen Lieferketten erneut zugenommen. So führten krankheitsbedingtes Fernbleiben von Arbeitskräften und Schließungen von Produktionsstätten in China, gefolgt von anderen asiatischen Ländern, auch in Europa zu Produktionsausfällen. Aufgrund der Aktualität der Thematik bietet sich nun eine gute Gelegenheit, globale Lieferketten zukünftig nicht nur widerstandsfähiger, sondern auch verantwortungsvoller zu gestalten.
Freiwillige Bündnisse und Initiativen konnten bisher zu keinen entscheidenden Veränderungen beitragen. Es besteht daher ein Bedarf an der Entwicklung und der Implementierung stärkerer Instrumente. In diesem Zusammenhang hat der deutsche EU-Ratsvorsitz den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) aufgefordert, eine Reihe von Initiativen vorzuschlagen, welche die Nachhaltigkeit, die Achtung der Menschenrechte und menschenwürdige Arbeit in weltweiten Lieferketten gewährleisten. In seiner aktuellen Stellungnahme fordert der EWSA die EU nun auf, zunächst mehr Daten über gefährdete Lieferketten zu erfassen, insbesondere zu drohenden Unterbrechungen der Wirtschaftstätigkeit und der Erkennung von Menschenrechtsverletzungen.[1] Zudem fordert der EWSA „politische“ und „echte“ Investitionen in Nachhaltigkeit. Diese Maßnahmen sollen mit internationalen und europäischen Grundsätzen im Einklang stehen. Ebenso sollen, aktuelle Rahmenvereinbarungen wie der europäische Grüne Deal und die europäische Säule sozialer Rechte berücksichtigt werden. Dieser allgemeine Rahmen und die damit verfolgten Ziele sollen dann in nationalen Aktionsplänen umgesetzt werden. Der EWSA empfiehlt im Rahmen des neuen Aufbauinstruments „Next Generation EU“ und anderer EU-Finanzierungsmittel die Ziele im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte, menschenwürdiger Arbeit und Nachhaltigkeit in den Lieferketten von Unternehmen über entsprechende Anreize zu verankern. Ob die deutsche Ratspräsidentschaft auf politischer Ebene nicht nur mehr Bewusstsein durch das Hervorheben der Thematik schaffen kann, sondern auch tatsächliche Änderungen bewirken wird, bleibt abzuwarten.