Wie viel zusätzliche Regelung braucht das Homeoffice?
Corona hat gezeigt, dass etwa 85 Prozent der Bürobeschäftigten potenziell von zu Hause aus arbeiten können. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will einen entsprechenden Rechtsanspruch für Beschäftigte durchsetzen. Wie geht es weiter mit dem Homeoffice? Ein Gespräch mit Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), und Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Die Coronapandemie hat die Arbeit im Homeoffice befördert. Ist das Homeoffice für Sie ein oder gar das Arbeitsmodell für die Zukunft?
Piel: Die Pandemie hat das mobile Arbeiten und das Arbeiten von zu Hause aus definitiv befördert, auf diese Entwicklung hätten wir ansonsten womöglich noch Jahre gewartet. Für die Beschäftigten erfüllt sich damit endlich der Wunsch nach Flexibilität, um Arbeiten und Leben besser miteinander in Einklang zu bringen. Viele Beschäftigte haben schon jetzt gesagt, dass sie das auch nach der Pandemie beibehalten wollen – und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die bis zum Frühjahr noch blockiert haben, haben gesehen, wie gut das funktionieren kann. Insofern bietet die Pandemie hier eine echte Chance, von der Präsenzkultur wegzukommen.
Kampeter: Mobile Arbeit und Homeoffice sind in vielen Unternehmen nichts Neues. Die aktuelle Entwicklung verstärkt aber natürlich die schon zuvor bestehende Bereitschaft von Unternehmen und Beschäftigten, mobiles Arbeiten und Homeoffice intensiv zu nutzen, wo dies möglich und gewünscht ist. Hier kommt es immer auf individuelle Vereinbarungen an, denn die Möglichkeiten sind je nach Tätigkeit sehr unterschiedlich. Und deshalb sind passgenaue Lösungen auch stets individuell und praxisnah. Ein Rechtsanspruch würde in die völlig falsche Richtung gehen und könnte die Realität nicht gerecht abbilden.
Homeoffice, wie es derzeit praktiziert wird, ist keine Dauerlösung – wir brauchen dafür unbedingt Regeln. Freiwillig und selbstbestimmt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das ist für uns die Zauberformel.
Gibt es aus der Arbeit während der Coronakrise Erfahrungen, von denen man lernen kann – im positiven wie im negativen Sinn?
Kampeter: Viele Betriebe haben auf mobile Arbeit zurückgegriffen, wo das betrieblich möglich war, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Das ist durch die technologischen Entwicklungen unterstützt worden, an vielen Stellen wurden Digitalisierungsprozesse beschleunigt. Davon werden wir in der Zeit nach der Pandemie profitieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich längst nicht jede Tätigkeit für mobile Arbeit anbietet. Wer am Fließband arbeitet oder auf dem Bau, der kann das nicht von zu Hause aus. Die Wirtschaft lässt sich allein mit mobiler Arbeit nicht am Laufen halten.
Piel: Im Großen und Ganzen ist der Trend zu mehr Flexibilisierung ein Fortschritt. Die Gewerkschaften haben schon lange gefordert, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sich in dieser Frage bewegen. Das neue Arbeiten hat aber auch erhebliche Risiken: unbezahlte Überstunden, ständige Erreichbarkeit, Stress und Entgrenzung. Besonders für Eltern, die daneben auch noch Homeschooling und Kinderbetreuung leisten mussten, ist diese Situation eine echte Grenzerfahrung. Deswegen muss klar sein: Mobil zu arbeiten bedeutet nicht, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen haben. Für diejenigen, bei denen Homeoffice und mobiles Arbeiten nicht in einer Betriebsvereinbarung geregelt sind, muss der Gesetzgeber aktiv werden und Leitplanken setzen. Außerdem sind mobiles Arbeiten und Homeoffice definitiv kein Ersatz für Kinderbetreuung. Wir wollen jedenfalls nicht, dass es am Ende wieder die Frauen sind, die im Homeoffice unsichtbar werden und mit einer überfordernden Mischung aus Erwerbs- und Care-Arbeit alleine dastehen. Die Pandemie birgt die Gefahr, in alte Rollenmuster zurückzufallen. Das darf auf keinen Fall passieren.
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen braucht das Homeoffice? Bislang gibt es ja eine deutliche Unterscheidung zwischen Telearbeit und mobiler Arbeit.
Kampeter: Regelungen im Betriebsverfassungs- und im Datenschutzrecht sollten Telearbeit, Homeoffice und mobile Arbeit nicht unnötig verkomplizieren. Diese Gefahr besteht allerdings und das würde diesen Arbeitsformen einen regelrechten Bärendienst erweisen. Generell sollte das Arbeitsschutzrecht keine Hindernisse für mobile Arbeit errichten.
Piel: Homeoffice, wie es derzeit praktiziert wird, ist keine Dauerlösung – wir brauchen dafür unbedingt Regeln. Freiwillig und selbstbestimmt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das ist für uns die Zauberformel. Die neuen Möglichkeiten dürfen kein Freibrief für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sein, Büroarbeitsplätze einfach wegzurationalisieren. Es muss für Beschäftigte immer auch die Möglichkeit geben, an den Büroarbeitsplatz zurück zu wechseln. Außerdem müssen Arbeitspausen und Ruhezeiten auch im Homeoffice eingehalten werden. Dazu muss die Arbeitszeit vollständig erfasst werden, wie das auch der Europäische Gerichtshof unlängst gefordert hat. Wir brauchen ein Recht auf Abschalten.
Regelungen im Betriebsverfassungs- und im Datenschutzrecht sollten Telearbeit, Homeoffice und mobile Arbeit nicht unnötig verkomplizieren. Diese Gefahr besteht allerdings und das würde diesen Arbeitsformen einen regelrechten Bärendienst erweisen.
Wie kann der hohe Arbeitsschutzstandard zum Beispiel in Bezug auf Ergonomie oder die Einhaltung von Arbeits- und Pausenzeiten auch ins Homeoffice übertragen werden? Wie können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Beschäftigte daran mitwirken?
Piel: Die spontan entstandenen Arbeitsplätze zu Hause sind natürlich überhaupt nicht gleichzusetzen mit einem ergonomisch eingerichteten Arbeitsplatz, der den arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen entsprechen muss. Aber auch wenn der heimische Küchentisch im Moment der Arbeitsplatz ist, können Beschäftigte die Arbeit sicher und entspannt gestalten, wenn sie ein paar Regeln zu Ergonomie berücksichtigen. Mittelfristig werden wir auch darüber sprechen müssen, wie die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen im Homeoffice kontrolliert werden kann. Was die Arbeits- und Pausenzeiten angeht: Diese gelten natürlich auch beim mobilen Arbeiten. Deshalb fordern wir eine lückenlose Erfassung, damit diese Grenzen nicht ständig übertreten werden.
Kampeter: Das Arbeitsschutzrecht gilt auch für mobile Arbeit, so ist zum Beispiel eine Gefährdungsbeurteilung notwendig. Wer mobile Arbeit fördern will, darf aber diese Form der Arbeitsleistung nicht durch übertriebene bürokratische Regelungen gängeln. Das gilt schon deshalb, weil der Arbeitgeber bei mobiler Arbeit kaum Kontrollmöglichkeiten hat. Für Telearbeitsplätze sind in der Arbeitsstättenverordnung Regelungen zur Gestaltung dieser Bildschirmarbeitsplätze getroffen worden. Weitergehende rechtliche Regelungen braucht es nicht. Auch gilt das Arbeitszeitgesetz bei mobiler Arbeit ganz genauso, wie das zum Beispiel bei Büroarbeitsplätzen der Fall ist.
Es gibt auch Handlungshilfen der Unfallversicherungsträger rund um das Thema mobile Arbeit. Bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft zum Beispiel werden im Rahmen der Initiative "Mitdenken 4.0", die von den Sozialpartnern mit angestoßen wurde, Praxishilfen für Arbeitsprozesse in der Büro- und Wissensarbeit entwickelt. Dabei geht es zum Beispiel um indirekte Steuerung, Erreichbarkeit und psychische Gesundheit im Homeoffice – alles Themen, die für das mobile Arbeiten wichtig sind.
Sehen Sie einen politischen Handlungsbedarf, um die Rahmenbedingungen für Beschäftigte beziehungsweise Unternehmen zu verbessern?
Piel: Wir setzen darauf, dass Hubertus Heil wie angekündigt im Herbst ein Gesetz vorschlägt, das die Grundbedingungen für mobiles Arbeiten und Homeoffice festschreibt und im Sinne der Beschäftigten regelt. Da müssen die jüngsten Erfahrungen natürlich einfließen. Wir wollen ein Recht auf freiwilliges, selbstbestimmtes Homeoffice in Kombination mit einer lückenlosen Arbeitszeiterfassung. Dabei gilt: Finger weg von einer Aufweichung des 8-Stunden-Tags. Das Arbeitszeitgesetz ist für das mobile Arbeiten jetzt schon flexibel genug. Beschäftigte müssen ihr Recht auf Abschalten und Nichterreichbarkeit auch wirklich realisieren können.
Kampeter: Das Arbeitszeitgesetz braucht ein Update! Um die Vorteile von mobiler Arbeit optimal nutzen zu können, muss die Politik hier dringend ran. Die starren Regelungen zur Arbeitszeit stammen im Prinzip noch aus den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als der klassische Industriearbeiter die Stechuhr genutzt hat, und passen teilweise nicht mehr in die heutige digitale Welt. Damit das Modell der mobilen Arbeit für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Beschäftigte bestmöglich genutzt werden kann, brauchen wir hier dringend eine Flexibilisierung.
Die BDA setzt sich dafür ein, dass die Ruhezeit unabhängig von der Art der Tätigkeit durch einen Tarifvertrag angepasst werden kann. Auch die Ruhezeit sollte in Blöcken gewährt werden können. Bisher gilt zudem eine tägliche Höchstarbeitszeit – das macht die Einteilung von Arbeitszeit für Betriebe und ihre Beschäftigten sehr unflexibel und erschwert zum Beispiel auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unnötig. Eine Wochenhöchstarbeitszeit wäre deutlich sinnvoller. Dieses Thema steht aus Sicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ganz oben auf der To-do-Liste der Politik.
Das Interview führte Elke Biesel