Einsatz von Wearables im Arbeitsschutz
Wearables erfreuen sich unter Konsumgütern großer Beliebtheit. Was versteht man unter Wearables, wie können sie im Betrieb eingesetzt werden und wie können diese Geräte den Arbeitsschutz unterstützen?
Was sind Wearables?
Generell steht der Begriff „Wearables“ für tragbare Technologie, die bereits im 17. Jahrhundert erfunden wurde und sich seitdem stark weiterentwickelt (siehe Abbildung 1). Inzwischen umfasst der Begriff am Körper getragene Minicomputer, Mess- und Anzeigegeräte, die über integrierte Sensoren den Nutzenden Informationen über sich selbst – zum Beispiel im Sinne eines Biofeedbacks – geben oder Informationen über ihre Umgebung liefern. Die Geräte tauschen zum Beispiel über Bluetooth Daten mit anderen Geräten aus, sind häufig via Smartphones mit dem Internet verbunden und so Teil des „Internet of Things“.
Frühe „tragbare Technologien“ sind der Abakus-Ring, der als mobiles Rechenhilfsmittel in China erfunden wurde, sowie die erste Taschenuhr. Ausgehend von dem ersten tragbaren Computer in einem Schuh, der die Gewinnchancen beim Roulette berechnen sollte, beschleunigte sich die Entwicklung von Wearables im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts. Steve Mann entwickelte 1980 das erste Sensorsystem, das dem heutigen Begriff eines Wearables entspricht und die Sicht des rechten Auges aufzeichnet: die Kamera „Eye Taps“. Bereits 1989 kam das erste Head Mounted Display (HMD) „Private Eye“ auf den Markt. Im 21. Jahrhundert wurden die Wearables kleiner und leistungsfähiger. Bekannte und weitverbreitete Wearables im Konsumgüterbereich sind Fitnesstracker und Smartwatches, wobei die erste Smartwatch von Pebble auf den Markt gebracht wurde. Zu kontroversen Diskussionen führte zunächst die Markteinführung der Datenbrille „Google Glass“, die sich als Konsumgut nicht durchgesetzt hat, für spezifische Anwendungen an Arbeitsplätzen jedoch häufiger genutzt wird. Inzwischen erscheinen immer mehr Wearables für spezielle Anwendungen, in denen Sensoren in Textilien integriert oder nicht nur am Körper getragen werden, sondern zum Beispiel als Mikrochip in den Körper implantiert werden.
Typen von Wearables
Die Entwicklung immer kleinerer und leistungsstärkerer Computerprozessoren sowie die Möglichkeiten der mobilen Datenübertragung haben wesentlich zur Verbreitung von Wearables beigetragen. Heute gibt es eine ganze Bandbreite an Geräten, die sich unter anderem durch die Art und Weise der Anbringung oder der erfassten Daten unterscheiden lassen. Die folgende Einteilung orientiert sich am Anbringungsort der Wearables am Körper:
· Hände/Finger
o Smart-Motion-Ringe
o Touch-Interface-Ringe
o Handheld-Geräte
· Arme/Beine
o Sport- und Fitnesstracker
o Smartwatches
o Projektorarmbänder
o Unterarmcomputer
· Kopf
o Headsets
o Datenbrillen (Smart Glasses)
o Smart Contact Lenses
o Head Mounted Displays (HMD)
o Brain Sensing Headbands (Elektroenzephalogramm – EEG)
· Kleidung wie Smart Clothing/Smart Textiles
o Funktionsshirts
o Einlegesohlen
o Datenhandschuhe
· Implantate
o Chips zur Identifizierung/Schlüsselersatz
Betriebliche Einsatzmöglichkeiten
Der Einsatz von Wearables im Betrieb kann aus ganz verschiedenen Gründen erfolgen: So können sie die Beschäftigten bei ihrer Tätigkeit unterstützen, über ihre Gesundheit informieren, aber auch zur Erfassung und Kontrolle ihrer Produktivität herangezogen werden. Datenbrillen oder HMDs zum Betrachten erweiterter Welten (Augmented Reality, kurz: AR) oder virtueller Welten (Virtual Reality, kurz: VR), „Handheld Devices“ wie Scanner und Tablets sowie Smart Textiles wie Datenhandschuhe werden zu Schulungszwecken in der Ausbildung, zur Wissensvermittlung bei der Wartung und Reparatur von Maschinen, zur Übermittlung von Arbeitsaufträgen in der Kommissionierung und zur Qualitätskontrolle in der Produktion eingesetzt. Smartwatches, Fitnesstracker und Sensorarmbänder werden im betrieblichen Gesundheitsmanagement bei der digitalen Veranstaltung von Fitnesswettbewerben in der Belegschaft genutzt. Auch können verletzte Beschäftigte im Notfall über Wearables Hilfe rufen und geortet werden. Kritisch zu betrachten ist, wenn Wearables zu Kontrollzwecken eingesetzt werden. So kann einerseits die Ortung von Mitarbeitenden und Zuliefernden in einer Just-in-time-Produktion zur Effizienzsteigerung beitragen, andererseits birgt zum Beispiel die Auswertung der Anzahl ausgelieferter Päckchen im Zustellbezirk die Gefahr der persönlichen Leistungsbewertung von Beschäftigten anhand dieser Daten. Die Einführung neuer Geräte sollte daher immer im engen Austausch mit den Beschäftigten erfolgen. Für eine erfolgreiche Umsetzung sind Informationsveranstaltungen und Schulungen im Umgang mit der neuen Technik wichtig. Auch Anforderungen an den Datenschutz müssen beim Einsatz von Wearables berücksichtigt werden.
Wearables im Arbeitsschutz
Obwohl Wearables bereits in Betrieben eingesetzt werden, sind viele Fragen des Arbeitsschutzes zu ihrem Einsatz offen und bedürfen weiterer Forschung. Das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Einsatz verschiedener Wearables im Arbeitsschutz und erforscht deren präventives Potenzial, zum Beispiel als Arbeitsmittel zur Mensch-System-Interaktion.[1]
So werden aktuell in einem von der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) initiierten Projekt von universitären Instituten, dem IFA sowie Partnerinnen und Partnern aus der betrieblichen Praxis die Auswirkungen von Datenbrillen als Arbeitsmittel auf die Sicherheit und Gesundheit der Nutzenden erforscht. Die Ergebnisse der Untersuchung relevanter Faktoren werden als praktische Handlungshilfen für die Gefährdungsbeurteilung durch den Fachbereich Handel und Logistik der DGUV publiziert (siehe Beitrag „Datenbrillen in der Arbeitswelt – Hintergrund, Herausforderungen und Fragestellungen für die Prävention“ von Benno Gross, Marieke Kempf und Marc Rockhoff in dieser Ausgabe, Seite 23ff.).[2]
Die Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen ist nach wie vor ein wichtiges Thema im Arbeitsschutz. Zur Gefährdungsbeurteilung physischer Belastungen werden moderne Sensorsysteme eingesetzt, die an verschiedenen Stellen am Körper der Beschäftigten befestigt werden und während der normalen Tätigkeit der Beschäftigten getragen werden können. So können Wearables nicht nur zur Analyse der Muskel-Skelett-Belastungen eingesetzt werden, sondern auch zur Prävention von bewegungsarmen Verhaltensweisen sowie zur Erfassung der Wirksamkeit von Bewegungsförderungsmaßnahmen am Arbeitsplatz.[3]
Techniken virtueller Realität wie zum Beispiel VR-Brillen können im Arbeitsschutz beispielsweise genutzt werden, um Gefährdungsbeurteilungen an Arbeitsplätzen im virtuellen Raum zu trainieren. Ein noch relativ neues Anwendungsgebiet von Wearables zur Unfallvermeidung ist ihr Einsatz in Sicherheitsunterweisungen. Als Ergänzung zur klassischen Unterweisung im Rahmen einer Präsenzveranstaltung mit einem Vortrag werden zunehmend Schulungen mit Techniken virtueller Realität unterstützt. So beschäftigt sich auch ein von der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) initiiertes Forschungsprojekt am IFA mit der Entwicklung einer Schulung zur Absturzprävention an Arbeitsplätzen in großen Höhen in VR.[4]
In einem Forschungsprojekt, das das IFA gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) bearbeitet, wurden Module eines Seminars zur Risikobeurteilung von Maschinen und technischen Anlagen mit Techniken virtueller Realität erweitert (siehe Abbildung 2).[5] Dazu wurde Fachwissen aus dem Seminar um Erfahrungslernen am virtuellen Modell eines Produktionsabschnittes ergänzt. Trainees erproben mithilfe von VR-Brillen Beurteilungsprozesse, setzen Maßnahmen zur Risikoverringerung um (zum Beispiel Planen und Anbringen von Lichtschranken oder Verriegelungseinrichtungen) und evaluieren Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit im virtuellen Arbeitsprozess.
In einem weiteren Forschungsprojekt werden VR-Brillen als Wearables in der Entwicklung von Trainingsprogrammen zur Prävention von Sturz-, Rutsch- und Stolperunfällen eingesetzt. Die Projektarbeiten dazu finden am Rhein-Ahr-Campus der Hochschule Koblenz in Kooperation mit der London South Bank University und dem IFA statt. Zunächst werden in virtuellen Arbeitsumgebungen Grundlagen zur Körper- und Gangstabilität in Gefahrensituationen untersucht, um sie anschließend in ein Trainingsprogramm für den betriebspraktischen Einsatz zu integrieren.[6]
Wearables zur Gefährdungsbeurteilung physischer Belastungen
Immer häufiger werden auf Wearables basierende Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung physischer Belastungen genutzt. Zum Einsatz kommen dabei körpergetragene Sensoren oder Sensorsysteme zur Messung biomechanischer und physiologischer Kenngrößen. Die Wearables erfassen beispielsweise Körperhaltungen und -bewegungen, Kräfte, Herzfrequenzen oder muskuläre Aktivitäten. Das am IFA entwickelte biomechanische Messsystem CUELA[7] ist ein Beispiel für ein Wearable, das zur Gefährdungsbeurteilung physischer Belastungen eingesetzt wird. Gegenüber beobachtungsbasierten Verfahren zeichnen sich messwertbasierte Verfahren der Gefährdungsbeurteilung durch ihre Objektivität und Genauigkeit aus. Zudem ermöglichen sie die Analyse nicht beobachtbarer Kenngrößen, wie Zeitverläufe von Gelenkwinkeln, Kräften oder physiologischen Parametern. Mittlerweile sind immer mehr körpergetragene Messsysteme verfügbar, mit denen körperliche Belastungen analysiert werden können.
Mit der zunehmenden Verfügbarkeit tragbarer Technologien wird die Auswahl geeigneter Methoden immer schwieriger. Da international bereits unterschiedlich komplexe Wearables zur Analyse beruflicher körperlicher Aktivität und physischer Arbeitsbelastung eingesetzt werden, hat das IFA gemeinsam mit Expertinnen und Experten des Verbundes „Partnership for European Research in Occupational Safety and Health“ (PEROSH) Empfehlungen erarbeitet.[8] [9] [10] Diese Empfehlungen unterstützen Fachleute aus Praxis und Forschung bei der Auswahl geeigneter Wearables für die jeweilige Fragestellung. Darauf basierend können die verfügbaren Sensortechnologien in drei Kategorien eingeteilt werden (siehe Abbildung 3).
Zu Kategorie 1 gehören einfache Systeme mit ein bis zwei Sensoren, die einzelne Belastungsparameter analysieren. In der Regel wird die Bewegung einer Körperregion erfasst, beispielsweise über die in Smartphones integrierten Bewegungssensoren, die per App ausgewertet werden können.[11] Wearables der Kategorie 2 analysieren mit mehr als zwei Sensoreinheiten die Belastungen einer erweiterten Körperregion. Die Sensoreinheiten können in Smart Textiles eingearbeitet oder individuell am Körper angebracht werden. Neben Bewegungen können Vibrationen, Kraft oder physiologische Parameter gemessen werden. Komplexe Wearables der Kategorie 3 bestehen aus unterschiedlichen Sensoren, die an mehreren Körperregionen angebracht werden, zum Beispiel zur Analyse der Kombinationsbelastung aus Körperhaltung und Ganzkörpervibration. Allgemein gilt, dass mit steigender Anzahl an Sensoren und Sensortypen genauere und komplexere Analysen möglich sind. Mit zunehmender Komplexität der Systeme steigt aber auch der Aufwand für die Nutzenden.
Eine zentrale Bedeutung kommt der Beurteilung der ermittelten Exposition hinsichtlich möglicher Gesundheitsgefahren zu. Hier besteht ein großer Bedarf an wissenschaftlich fundierten Standards und Richtlinien.[8] Im Kooperationsprojekt MEGAPHYS (Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastung am Arbeitsplatz) der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und der DGUV entwickelte das IFA Bewertungsverfahren für die messtechnische Analyse arbeitsbezogener Muskel-Skelett-Belastungen.[12] [13] Die Bewertungsansätze wurden in einer groß angelegten Feldstudie überprüft und können zukünftig als Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung mithilfe von Messsystemen der Kategorien 1 bis 3 genutzt werden. Schnittstellen zu geeigneter kommerzieller Sensorik werden derzeit am IFA definiert und implementiert, um den Zugang für die Praxis zu erleichtern.
Wearables zur Prävention von Bewegungsarmut im Büro
Im Rahmen der Evaluierung bewegungsarmer Verhaltensweisen an Büroarbeitsplätzen setzte das IFA Wearables aller drei Kategorien ein und überprüfte diese auf ihre Eignung sowie auf die Akzeptanz durch die Nutzenden. Zur Prävention von Bewegungsarmut können dynamische Büroarbeitsstationen eingesetzt werden, die eine leichte physische Aktivität während der Arbeit im Büro ermöglichen. Mittels der eingesetzten Wearables wurden das generelle Bewegungsverhalten, die Nutzung dieser Stationen sowie physiologische Parameter aufgezeichnet. Für Fitnesstracker (Kategorie 1), Smart Textiles (Kategorie 2) und ein Multisensorsystem (Kategorie 3) wurde die Präzision der Datenerfassung während Bewegungen wie Sitzen, Stehen und Gehen sowie der Nutzung von Schreibtischfahrrädern, Untertischgeräten und einem Laufband überprüft. Die Ergebnisse zeigten, dass alle Messsysteme das generelle Bewegungsverhalten und die Nutzung der Stationen zuverlässig abbildeten.[14] [15] Hinsichtlich der Eignung der Wearables im täglichen Einsatz erhielten die Fitnesstracker, die am Handgelenk getragen wurden, die größte Zustimmung. Daneben wurde das Multisensorsystem als modifizierte Version mit einem einzelnen Sensor am Oberschenkel ebenfalls als geeignet bewertet (siehe Abbildung 5).[16] Daraufhin wurden diese beiden Wearables in dem von der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr) initiierten Kooperationsprojekt „Active Workplace“[17] als Messinstrumente zur Erfassung der Nutzung dynamischer Büroarbeitsstationen sowie physiologischer Parameter (Herzfrequenz und Energieumsatz) in der realen Büroumgebung der Deutschen Telekom AG eingesetzt. Obgleich es einige Datenverzerrungen aufgrund von Anwendungsfehlern gab, die im täglichen Gebrauch der Messsysteme zu erwarten waren, bestätigten sich die Ergebnisse zur Eignung der Messsysteme.
Wearables zur Analyse des Blickverhaltens auf Baumaschinen
Mobile Maschinen wie zum Beispiel Hydraulikbagger oder Fahrzeugkrane bieten beim Führen von Maschinen keine direkte Sicht auf alle Gefahrenbereiche. Seit einigen Jahren werden als Sichthilfen alternativ oder zusätzlich zu Spiegeln sogenannte Kamera-Monitor-Systeme (KMS) eingesetzt, die eine indirekte Sicht auf verdeckte Bereiche ermöglichen sollen. Wie KMS beim Führen von Maschinen im Arbeitsprozess genutzt werden, wurde vom IFA in einem Forschungsprojekt des DGUV-Fachbereichs Bauwesen und der BG BAU untersucht. Auf zehn Großbaustellen wurden Arbeitsprozesse von Maschinenführerinnen und Maschinenführern mit Hydraulikbaggern kontinuierlich beobachtet und dokumentiert. Kopfgetragene Wearables zeichneten gleichzeitig Richtung und Verweildauer von Blicken der Maschinenführenden auf. Anschließend konnten verschiedene Arbeitssituationen mit Gefahrenschwerpunkten ausgewählt und dann dafür die Blickbewegungen genau analysiert werden.[18] Die Ergebnisse zeigten, dass bei mangelnder Direktsicht alle Sichthilfen angeschaut beziehungsweise genutzt werden. Allerdings werden abhängig von den Gefahrenbereichen auch Kombinationen verschiedener Sichthilfen verwendet. Da KMS von Maschinenführerinnen und Maschinenführern als Sichthilfen akzeptiert werden, liegen Anforderungen an die Gestaltung aus Human Factors und Ergonomie im Interesse des Arbeitsschutzes.
Diese und weitere praktische Beispiele zeigen, dass bereits jetzt Wearables vielfach in der Arbeitswelt eingesetzt werden. Zukünftig werden sicher noch weitere Anwendungen erschlossen, zum Beispiel in der Individualprävention, in der Prävention von Stolper-, Rutsch- und Sturzunfällen oder als technische Assistenzsysteme, in denen Wearables in der betrieblichen Praxis genutzt werden und den Arbeitsschutz unterstützen können.