Teilungsabkommen im Spannungsfeld zur gesetzlichen Gesamtgläubigerschaft
Das Oberlandesgericht Schleswig nimmt an, dass die Gesamtgläubigerschaft mehrerer Sozialversicherungsträger gemäß §§ 116, 117 SGB X nicht durch ein Teilungsabkommen einer Unfallversicherungsträgerin mit dem Kfz-Haftpflichtversicherer abbedungen wird. Daher könne nur anteiliger Schadensersatz verlangt werden. Der BGH kann abschließend entscheiden.
OLG Schleswig, Urteil vom 27.05.2025 – 7 U 75/24, BeckRS 2025, 11567 und LG Lübeck, Urteil vom 15.08.2024 – 4 O 151/23, BeckRS 2024, 47007; nachfolgend BGH – VI ZR 175/25
Nach einem schweren Arbeitsunfall, der beim Geschädigten zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 Prozent nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung und zugleich zu einer vollen Erwerbsminderung nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung führt, ist ein Nebeneinander von Rentenleistungen beider Sozialversicherungszweige üblich. In der Regel übersteigt die Rente der gesetzlichen Unfallversicherung (UV-Rente) die Rente aus der Rentenversicherung (RV-Rente) deutlich, zudem wird eine Überversorgung des Geschädigten durch § 96 Sozialgesetzbuch (SGB) VI durch eine Kürzung der RV-Rente sichergestellt.
Ist der Arbeitsunfall fremdverschuldet, ohne dass sich der Schädiger/dessen Kfz-Versicherer auf ein Haftungsprivileg nach den §§ 104 ff. SGB VII berufen kann, gehen die Ansprüche zum Beispiel aus §§ 7, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gemäß § 116 SGB X auf beide leistende Sozialversicherungsträger über. Hinsichtlich der Renten, die häufiger den tatsächlichen Verdienstausfall des Geschädigten aus seiner früheren Berufstätigkeit übersteigen, besteht eine Gesamtgläubigerschaft beider Sozialversicherungsträger gemäß § 117 SGB X analog, sodass beide den Verdienstschadensersatz im Innenverhältnis anteilig untereinander aufteilen müssen, während sie im Außenverhältnis dem Schädiger gegenüber so lange vollen Ersatz ihrer Rente verlangen können, wie der Schädiger noch nicht erfüllungswirkend an den anderen Sozialversicherungsträger geleistet hat. Dies ist die seit Jahrzehnten bestehende Standardkonstellation.
Komplizierter wird die Rechtslage, wenn ein Sozialversicherungsträger hinsichtlich seiner Regressansprüche mit dem Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers ein Teilungsabkommen abgeschlossen hat – der andere Sozialversicherungsträger aber kein solches Teilungsabkommen unterhält. Denn dann tritt neben den reinen Anspruch allein nach Sach- und Rechtslage gemäß §§ 116, 117 SGB X der vertragliche Anspruch des Unfallversicherungsträgers gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer. Beide nebeneinander bestehenden Ansprüche sind der Höhe nach gerade nicht deckungsgleich, weil im Vertrag – dem Teilungsabkommen – Regelungen getroffen wurden, die die Schadensfallabwicklung vereinfachen sollen. Im Sinne eines angemessenen Risikoausgleichs haben die Vertragspartner (Sozialversicherungsträger und Kfz-Haftpflichtversicherer) den gesetzlichen Schadensersatzanspruch derart modifiziert, dass immer vor dem Hintergrund des beschleunigten Regresses durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen eine Verschlankung eintritt.
Im konkreten Fall lag die Summe beider gezahlter Renten oberhalb des Erwerbsschadens des Versicherten aus seiner früheren abhängigen Beschäftigung. Nach reiner Sach- und Rechtslage ohne das Teilungsabkommen müsste daher analog § 117 SGB X eine Anteilsberechnung erfolgen und der Unfallversicherungsträger würde, da der Kfz-Haftpflichtversicherer an den Rentenversicherungsträger dessen Anteil gezahlt hatte beziehungsweise im Laufe des Prozesses nachzahlte, nicht die komplette Verletztenrente erstattet erhalten. Addiert man zum reinen Erwerbsschaden des Geschädigten aber noch einen Haushaltsführungsschaden des Geschädigten, wären die Renten beider Sozialversicherungsträger voll zu erstatten.
Nach dem Teilungsabkommen darf der Unfallversicherungsträger aber nicht auf einen Haushaltsführungsschaden zugreifen – anders als der Rentenversicherungsträger, der das nach Sach- und Rechtslage hinsichtlich des Fremdversorgungsanteils für die Familie des Versicherten als zusätzlichem Erwerbsschaden des Versicherten darf. Gerade weil der Nachweis eines solchen Schadens aber schwieriger ist als der Nachweis des Erwerbsschadens des Versicherten aus seiner früheren abhängigen Beschäftigung, greift der Rentenversicherungsträger verständlicherweise auf letzteren zurück.
Müsste nun der Unfallversicherungsträger, der wegen des Teilungsabkommens rechtlich nicht auf einen Haushaltsführungsschaden zugreifen darf, diesen darlegen und nachweisen, wäre erstens der gesamte Sinn der vereinfachten Schadensfallabwicklung konterkariert. Zweitens würde sich die Frage stellen, wie der Unfallversicherungsträger rechtlich erreichen können sollte, dass der Rentenversicherungsträger entgegen der tatsächlichen Abwicklung eines Erwerbsschadens aus abhängiger Beschäftigung mit dem Kfz-Versicherer des Schädigers fiktiv nicht diesen, sondern den Haushaltsführungsschaden abgerechnet haben soll, den der Unfallversicherungsträger absurderweise darlegen und nachweisen würde – nur um zu erreichen, dass beide Renten an den Versicherten voll erstattungsfähig sind, weil sie den sich aus zwei Komponenten zusammensetzenden Schaden des Versicherten nicht übersteigen.
Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hatte zutreffend erkannt, dass beide Ansprüche der klagenden Unfallversicherungsträgerin – erstens der Schadensersatzanspruch nach Sach- und Rechtslage und zweitens der vertragliche Anspruch nach dem Teilungsabkommen – nebeneinanderstehen. Die insoweit anderweitige Rechtsauffassung des Landgerichts (LG) Lübeck (kein Nebeneinander, sondern allenfalls Modifizierung) wurde als nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) übereinstimmend abgelehnt. Allerdings ist das OLG Schleswig nicht den bei einer Anspruchsnormkonkurrenz sich zwingend ergebenden zweiten Schritt gegangen, nämlich dass sich aus einer zweiten Anspruchsgrundlage ein „Mehr“ ergeben kann im Vergleich zur ersten Anspruchsgrundlage. Dabei ist diese Möglichkeit bei einem Anspruch nach dem StVG, der Haftungshöchstgrenzen unterliegt, im Vergleich zum Anspruch aus unerlaubter Handlung, der keine Haftungshöchstgrenzen kennt, doch der Standard. Insofern hätte das OLG Schleswig anerkennen müssen, dass es neben der nach Sach- und Rechtslage ohne das Teilungsabkommen bestehenden Gesamtgläubigerstellung beider Renten an den Versicherten zahlender Sozialversicherungsträger durchaus einen vertraglichen Anspruch geben kann, bei dem sich die Unfallversicherungsträgerin keine Gesamtgläubigerstellung entgegenhalten lassen muss – und der also der Höhe nach das begehrte „Mehr“ umfasst. Genauso haben schließlich andere Gerichte zu identischen Teilungsabkommensklauseln entschieden (LG Stuttgart, Urteil vom 10.01.2022 – AZ 27 O 226/20, nicht veröffentlicht und nachfolgend OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.01.2023 – AZ 5 U 31/22, nachdem die beklagte Kfz-Versicherung die Berufung zurückgenommen hatte, weil das OLG Stuttgart der erstinstanzlichen Auffassung folgte). Aber das OLG Schleswig traf die entgegengesetzte Entscheidung: Die Gesamtgläubigerstellung könne durch das Teilungsabkommen nicht abbedungen werden. Dies ist aus den genannten Gründen kritisch zu hinterfragen, weil dadurch die Vertragsfreiheit, die § 116 Abs. 9 SGB X gerade einräumt, eingeschränkt würde, ohne dass es dafür überzeugende Gründe gibt. Denn insbesondere kommt es nicht zu einer Mehr- oder gar Überlastung des Abkommenspartners (Kfz-Versicherer), wenn man das Teilungsabkommen in seiner Gesamtheit betrachtet.
Ob der BGH hier eine Entscheidung in der Sache trifft, bleibt abzuwarten. Denn leider hat das OLG die Revision nicht zugelassen, obwohl diese in der Praxis seit fast zehn Jahren umstrittene Rechtsfrage einer höchstrichterlichen Klärung bedarf. Sollte der BGH, wie bei Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beim VI. Zivilsenat des BGH häufig vorkommend, die Revision nicht zulassen, wäre eine wertvolle Chance vertan.
Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.