Arbeitsschutz als Unternehmerpflicht trotz Unterstützung und Beratung durch die Prävention der Unfallversicherungsträger
Grob fahrlässige Verursachung eines Unfalls an einer Maschine mit der Folge eines Regresses gemäß §§ 110, 111 SGB VII.
Urteil des OLG Oldenburg vom 18.11.2020, Az. 4 U 31/19
Die Präventionsabteilungen der Unfallversicherer beraten und unterstützen die Unternehmen beim Arbeitsschutz. Dazu werden die Betriebe besucht und es werden Tipps und Anregungen zum Arbeitsschutz gegeben. Ereignet sich gleichwohl ein Arbeitsunfall wegen Nichtbeachtung von Arbeitssicherheitsbestimmungen und begehrt der Unfallversicherungsträger sodann von den Unternehmen gemäß den §§ 110, 111 Sozialgesetzbuch (SGB) VII Aufwendungsersatz, wenden diese sich immer häufiger mit folgenden Argumenten gegen ihre Inanspruchnahme: Die Präventionsmitarbeitenden der Unfallversicherungsträger hätten die später unfallursächliche Maschine vor dem Arbeitsunfall tatsächlich gesehen und nicht beanstandet oder sie hätten diese Maschine bei ihrem Betriebsrundgang sehen müssen. Wenn dann keine Beratung seitens der Präventionsmitarbeitenden dahingehend erfolgt sei, die Arbeitssicherheitsmängel zu beheben, sei ein Regress gemäß den §§ 110, 111 SGB VII nach Eintritt eines Unfalls ausgeschlossen.
Zunächst das Landgericht und sodann das Oberlandesgericht Oldenburg hatten sich mit einer solchen Argumentation der Arbeitgeberin, des Geschäftsführers und des Betriebsleiters auseinanderzusetzen.
Worum ging es genau? Das in Anspruch genommene Unternehmen hatte eine Walze selbst hergestellt und komplett ohne Sicherheitseinrichtungen betrieben. Ein Tätiger geriet bei dem Betrieb der Walze mit dem linken Arm zwischen die noch nicht mit Schutzvorrichtungen versehenen Walzen, wodurch er eine Amputation erlitt. Er ist zu 40 Prozent erwerbsgemindert.
Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht haben dem klagenden Unfallversicherer einen Aufwendungsersatzanspruch gemäß den §§ 110, 111 SGB VII zugesprochen. Das Oberlandesgericht führte zur Thematik der vermeintlichen Mitverursachung durch die Prävention des Unfallversicherers aus: „Ebenfalls zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beklagten im Hinblick auf die eklatanten Verstöße gegen grundlegende elementare Sicherheitsvorschriften der Vorwurf grober Fahrlässigkeit auch in subjektiver Hinsicht trifft. Die Beklagten dringen nicht mit ihrem Einwand durch, ihnen sei jedenfalls deshalb keine subjektive grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil die von ihnen vorgenommenen Absicherungen bei früheren Untersuchungen durch Mitarbeiter der BG für ausreichend erachtet worden seien. Denn den Beklagten ist schon nicht der Beweis ihrer Behauptung gelungen, dass die Profilwalze vor dem Unfallgeschehen teilweise mehrmals jährlich von Mitarbeitern der BG besichtigt worden sei, ohne dass deren Sicherheit bemängelt worden sei.
Zur Überzeugung des Senats wäre zudem selbst dann von einem groben subjektiven Verstoß der Beklagten gegen ihre Sorgfaltspflichten auszugehen, wenn anlässlich früherer Besichtigungen durch Mitarbeiter der BG keine Beanstandungen gegen die Sicherheit der Profilwalze erhoben worden wären. Denn der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erläutert, dass die von den Beklagten vollständig außer Acht gelassenen Unfallverhütungsvorschriften elementare Sicherungspflichten zum Gegenstand hatten und die von den Beklagten vorgetragenen Absicherungsmaßnahmen so wirkungslos gewesen seien, dass faktisch überhaupt kein Gefahrenschutz bestanden habe. In einem solchen Falle können sich die nach §§ 110, 104 ff. SGB VII haftungsprivilegierten Personen indes nicht mit Erfolg zu ihrer Entlastung darauf berufen, sie seien davon ausgegangen, dass ein etwaiger Regelverstoß nicht besonders schwer sei, weil er bei früheren Begehungen durch die Berufsgenossenschaft nicht gerügt worden sei (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.09.2003, I-15 U 188/02, Versicherungsrecht 2004, 65–68).“
Dieser Argumentation ist voll zuzustimmen. Unternehmerinnen und Unternehmer haben sich die Kenntnisse der erforderlichen Arbeitssicherheitsbestimmungen zu verschaffen, wenn sie sie nicht ohnehin besitzen (BGH, Urteil vom 18.02.2014, VI ZR 51/13). Ignorieren oder umgehen sie diese Pflicht und ereignet sich deswegen ein Arbeitsunfall, kann ein Regress gemäß den §§ 110, 111 SGB VII nicht dadurch abgewendet werden, dass die eigene Verantwortung auf die Prävention der Unfallversicherer überwälzt wird.