Teilhabeorientierte, multimodale Rehabilitation beruflich verursachter Atemwegs- und Lungenerkrankungen in der BG Klinik Bad Reichenhall
Atemwegs- und Lungenerkrankungen zählen zu den häufigsten Berufskrankheiten und können Alltagskompetenzen permanent beeinträchtigen. In der medizinischen Rehabilitation versprechen insbesondere individuell erstellte Konzepte Erfolg, die verschiedene Therapieansätze kombinieren.
Seit vielen Jahren zählen berufsbedingte Atemwegs- und Lungenerkrankungen zu den am häufigsten anerkannten und entschädigten Berufskrankheiten.[1] Diese chronischen Erkrankungen können zu dauerhaften körperlichen, psychischen und sozialen Funktionseinschränkungen mit Auswirkung auf die Alltagskompetenz und die soziale Teilhabe führen. Liegen Berufskrankheiten mit Symptomen und bestehender oder drohender Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten oder der Teilhabe am beruflichen oder sozialen Leben vor, besteht grundsätzlich die Indikation zu rehabilitativen Maßnahmen.[2]
Ziele der Rehabilitation sind Symptomreduzierung und Beseitigung oder Kompensation der somatischen, funktionalen oder psychosozialen Krankheitsfolgen sowie Steigerung der Lebensqualität.
Medizinische Rehabilitation erfordert somit ein umfassendes, multidisziplinäres Behandlungsangebot. Erforderlich ist die Feststellung von Rehabilitationsfähigkeit sowie einer positiven Rehabilitationsprognose.[3] Zumindest sollte nach geeigneter therapeutischer Intervention eine für die Durchführung und Mitwirkung bei den Rehabilitationsleistungen zur Erreichung der Therapieziele ausreichende Belastbarkeit, Motivation und Motivierbarkeit zeitnah mit großer Wahrscheinlichkeit zu erzielen sein.
Liegen Berufskrankheiten mit Symptomen und bestehender oder drohender Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten oder der Teilhabe am beruflichen oder sozialen Leben vor, besteht grundsätzlich die Indikation zu rehabilitativen Maßnahmen.
Ein individuell erstelltes Rehabilitationskonzept basiert auf dem bio-psycho-sozialen Ansatz der ICF (Internationale Klassifikation von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) und berücksichtigt bei Festlegung der Rehabilitationsziele die individuellen Bedürfnisse und das Rehabilitationspotenzial. Die Voraussetzungen für eine möglichst selbstständige und unabhängige Lebensführung sollen geschaffen werden.
Grundsätzlich sollte aktiv hinterfragt werden[4], ob nicht bei allen berufsbedingten Atemwegs- und Lungenerkrankungen ein potenzieller Rehabilitationsbedarf besteht. Zu diesen Erkrankungen zählen zum Beispiel obstruktive Atemwegserkrankungen, Lungenfibrosen/interstitielle Lungenerkrankungen, Pneumokoniosen, maligne Erkrankungen und Folgezustände nach Arbeitsunfällen.
Ziele der Rehabilitation berufsbedingter Atemwegs- und Lungenerkrankungen
Übergeordnetes Rehabilitationsziel für die gesetzliche Unfallversicherung (Sozialgesetzbuch VII) ist die Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit nach Eintritt einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalles mit allen geeigneten Mitteln.[5] Die konkrete Zielsetzung rehabilitativer Leistungen basiert auf dem bio-psycho-sozialen Krankheitsfolgemodell der ICF. Angestrebt werden folgende Therapieziele:
- somatische Therapieziele: Das sind zum Beispiel die Reduktion von Husten, Auswurf und Atemnot, die Besserung von Ventilationsstörungen, die Besserung einer respiratorischen Insuffizienz, die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit
- funktionsbezogene Therapieziele: Das sind zum Beispiel die Sicherung beziehungsweise Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, das Erlernen von Selbsthilfetechniken zum selbstständigen Krankheitsmanagement oder die Verbesserung der Mobilität
- psychosoziale Therapieziele: Das sind zum Beispiel die Verminderung von Ängstlichkeit und Depressivität, die Optimierung der Krankheitsbewältigung, die Verbesserung der beruflichen und sozialen Kontaktmöglichkeiten.[6]
Wesentliche Elemente der Rehabilitation berufsbedingter Atemwegs- und Lungenerkrankungen
Grundlage für die Rehabilitationsbehandlung und die Festlegung der Therapieziele ist eine umfangreiche Rehabilitationsdiagnostik. Diese steht am Anfang des Heilverfahrens mit besonderer Berücksichtigung von Berufs- und Arbeitsplatzanamnese, Überprüfung und Spezifizierung der vorbestehenden Diagnosen und Begleiterkrankungen.
Vor Vereinbarung der Therapieziele erfolgt eine umfangreiche klinische und apparative Diagnostik zur Erfassung der bestehenden Funktionseinschränkungen und Beurteilung des Leistungsvermögens sowie des psychosozialen Status (Lungenfunktionsdiagnostik, Sechs-Minuten-Gehtest, EKG in Ruhe und unter Belastung, Spiroergometrie, Blutgasanalyse, Fragebögen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität).
Am Anfang des Heilverfahrens steht eine umfangreiche Rehabilitationsdiagnostik mit besonderer Berücksichtigung von Berufs- und Arbeitsplatzanamnese, Überprüfung und Spezifizierung der vorbestehenden Diagnosen und Begleiterkrankungen.
Das interdisziplinäre ganzheitlich und am individuellen Rehabilitationsbedarf ausgerichtete Rehabilitationsprogramm wird durch das Zusammenwirken von Fachleuten aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Physio- und Sporttherapie, , Gesundheitspädagogik, Ernährungstherapie/-beratung, Kunsttherapie und Reha-Management im Rehabilitationsteam konzipiert und umgesetzt. Ist es aus psychosozialen Gründen erforderlich, werden Bezugspersonen in die Rehabilitationsleistungen einbezogen.
Pharmakotherapie
Auf Basis der Vorbefunde und der Ergebnisse der Eingangsdiagnostik erfolgt eine optimale medikamentöse Therapie in Form einer Fortschreibung eines geeigneten vorbestehenden Therapieplans beziehungsweise einer gegebenenfalls erforderlichen Abstimmung mit den aktuell erhobenen Befunden. Hierbei werden eine suffiziente Basistherapie sowie eine bedarfsorientierte Therapieintensivierung bei Exazerbationen angestrebt.
Physiotherapie
Dem Krankheitsbild angepasste Physiotherapie ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Rehabilitation berufsbedingter Atemwegs- und Lungenerkrankungen. Erreicht werden sollen eine Stärkung der Atemmuskulatur, eine verbesserte Thoraxbeweglichkeit, das Erlernen spezieller Husten- und Atemtechniken sowie eine verbesserte Sekretdrainage durch spezielle Atemphysiotherapie. Krankheitsfolgen und Begleiterkrankungen zum Beispiel des internistischen oder orthopädischen Formenkreises werden im Sinne der ganzheitlichen Rehabilitation ebenso qualifiziert therapiert.
Sport- und Bewegungstherapie
Durch eine differenzierte Sport- und Bewegungstherapie beziehungsweise medizinische Trainingstherapie wird die körperliche Belastbarkeit gefördert, die Körperwahrnehmung und das Bewegungsverhalten verbessert, Freude an der Bewegung vermittelt, das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl gesteigert sowie Unsicherheit und Angst vor körperlicher Belastung abgebaut. Die Bewegungstherapie soll für ein langfristig angelegtes, regelmäßiges Trainingsprogramm motivieren. Hierzu erfolgt eine enge Abstimmung mit der medizinischen Diagnostik. Ziel ist die Verbesserung von Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit und Koordination. Bei bestehendem altersmedizinischem Versorgungsbedarf wird die Fähigkeit zur Ausübung von Alltagsaktivitäten durch gezielt hierauf ausgerichtete medizinische Trainingstherapie gefördert.
Patientenschulung/Verhaltenstraining
Zur erfolgreichen Therapie berufsbedingter Atemwegs- und Lungenerkrankungen ist eine aktive Beteiligung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden unverzichtbar. Schulungen und Verhaltenstraining führen hierbei zu einer verbesserten Krankheitsbewältigung und zu einem günstigeren Erkrankungsverlauf. Eine verbesserte Selbstwahrnehmung, Selbstkontrolle und ausreichendes Wissen zum Krankheitsmanagement steigern die Lebensqualität. Neben theoretischen Kenntnissen werden praktische Fähigkeiten unter anderem zum Gebrauch von inhalativen Medikamenten vermittelt ("Device-Schulungen"). Spezielle Programme schulen zur Sauerstofflangzeittherapie und zu (allergologisch) empfohlenen Karenzmaßnahmen.
Psychosoziale Betreuung
Die auch bei berufsbedingten Atemwegs- und Lungenerkrankungen häufig bestehenden psychosozialen Belastungen wie zum Beispiel Angst, Depression, Anpassungsstörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen haben großen Einfluss auf die Krankheitsfolgen. Ein dementsprechendes Screening wird bereits bei der Aufnahmediagnostik durchgeführt. Bei festgestelltem Bedarf erfolgt eine psychologische (Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie, Krisenintervention) Mitbetreuung ergänzt durch Kunsttherapie und Ergotherapie.
Ernährungstherapie/-beratung
Der Ernährungszustand steht in enger wechselhafter Beziehung zum Krankheitsverlauf bei Patientinnen und Patienten mit chronisch obstruktiver Atemwegserkrankung. Ergibt die Einschätzung des Ernährungszustandes entsprechenden Bedarf, erfolgt ein ernährungstherapeutisches Konsil mit praxisbezogener Umsetzung in der Lehrküche.
Ein individuell erstelltes Rehabilitationskonzept basiert auf dem bio-psycho-sozialen Ansatz der ICF (Internationale Klassifikation von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) und berücksichtigt bei Festlegung der Ziele die individuellen Bedürfnisse und das Rehabilitationspotenzial.
Tabakentwöhnung
Tabakentwöhnung ist ein unverzichtbares Element in der Rehabilitation berufsbedingter Atemwegs- und Lungenerkrankungen. Multimodale Raucherentwöhnung erfolgt durch Kurzintervention, das Angebot einer pharmakologischen Unterstützung wie der Nikotinersatztherapie und verhaltenstherapeutischer Begleitung.
Rehabilitations- und Hilfsmittelberatung
Geeignete Maßnahmen und konkrete Hilfen zur beruflichen und sozialen Rehabilitation beziehungsweise die Bereitstellung von erforderlichen Hilfsmitteln werden in interdisziplinären Reha-Gesprächen unter Einbeziehung des Reha-Managements der Unfallversicherungsträger festgelegt. Empfehlungen hinsichtlich Leistungen zur Teilhabe orientieren sich am bio-psycho-sozialen Modell beziehungsweise der Fallstrukturierung nach ICF-Komponenten für die Rehabilitationsplanung.
Prüfung der Therapieziel-Erreichung
Zur Evaluierung des Rehabilitationserfolges werden die zu Beginn der Reha-Maßnahmen dokumentierten Befunde und Funktionseinschränkungen im Verlauf und vor Abschluss der Rehabilitation überprüft und hinsichtlich der angestrebten Therapieziele beurteilt. Soweit erforderlich wird der Therapieprozess am Rehabilitationsverlauf orientiert modifiziert. Die Umsetzung des Therapieplans ist grundsätzlich für den Zeitraum der vom jeweiligen Kostenträger genehmigten Reha-Dauer (üblicherweise drei bis vier Wochen) zu planen. Wird aus dem Reha-Verlauf ersichtlich, dass zur Therapieziel-Erreichung – zum Beispiel durch eingetretene Komplikationen – eine Verlängerung erforderlich ist, wird ein entsprechender Antrag gestellt.
Rehabilitationsnachsorge/Nachsorgekonzept
In Abstimmung mit der Rehabilitandin beziehungsweise dem Rehabilitanden und dem zuständigen Reha-Management der Unfallversicherungsträger werden erforderliche Maßnahmen zur Rehabilitationsnachsorge festgelegt. Das kann beispielsweise die Weiterführung ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen oder einer medizinischen Trainingstherapie sein, die Teilnahme am ambulanten Lungensport oder die Anbindung an Selbsthilfegruppen. Darüber hinaus werden auch Empfehlungen zur sozialen und beruflichen Teilhabe gegeben.
Fazit
ICF-bezogene, multimodale, stationäre Rehabilitation ist eine Erfolg versprechende Maßnahme, um für Versicherte mit beruflich verursachten Atemwegs- und Lungenerkrankungen eine Verbesserung der Teilhabe und der Lebensqualität zu erreichen. Rehabilitationsnachsorgeprogramme zur langfristigen Aufrechterhaltung der erreichten Reha-Ziele sind wünschenswert.[7]
Literatur
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: DGUV-Statistiken für die Praxis. DGUV, Berlin 2020, S. 66–74
Kotschy-Lang, N.; Raab, W.; Butz, M.; Drexel, G.; Eigenthaler, J.: Gemeinsamer Erfahrungsbericht der Kliniken für Berufskrankheiten Bad Reichenhall und Falkenstein (Teil 1). die BG, S. 290–296. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2004
Kotschy-Lang, N.; Raab, W.; Butz, M.; Drexel, G.; Eigenthaler, J.: Gemeinsamer Erfahrungsbericht der Kliniken für Berufskrankheiten Bad Reichenhall und Falkenstein (Teil 2). die BG, S. 346–347. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2004
Kotschy-Lang, N.: Arbeitsmedizinische und BG-liche Aspekte der pneumologischen Rehabilitation. In: Schultz, K.; Buhr-Schinner, H.; Vonbank, K.; Zwick, R. H.; Puhan, M.; Frey, M.: Pneumologische Rehabilitation. S. 541–548. Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle, München-Deisenhofen 2019
Ochmann, U.; Kotschy-Lang, N.; Raab, W.; Kellberger, J.; Nowak, D.; Joerres, R. A.: Long-term efficacy of pulmonary rehabilitation in patients with occupational respiratory diseases. Respiration 84 (396–405) 2012
Raab, W.: Asbestoserehabilitation. Trauma und Berufskrankheit 1:419–421. Springer, Berlin, Heidelberg 1999
Viehmeier, S.; Schubert, M.; Thimmel, R.: Vor der Rehabilitation. In: Rehabilitation, hrsg. von Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V., S. 181–195. Springer, Berlin 2018