Grob fahrlässiger Transport mit zwei Hubwagen

Wer Leiharbeitnehmerinnen oder Leiharbeitnehmer unzureichend unterweist und sie Tätigkeiten so verrichten lässt, dass eine Lebensgefahr entsteht, kann in Regress genommen werden, wenn es zum Unfall kommt.

Urteil des Kammergerichtes Berlin vom 1. August 2022 – 20 U 176/21

In diesem zweitinstanzlichen Urteil ging es um den Transport eines Förderbandes mittels zweier Hubwagen durch zwei an ein Entsorgungsunternehmen verliehene Arbeitnehmer. Das 700 bis 800 Kilogramm schwere Förderband, etwa sechs bis sieben Meter lang, auf einer Seite 1,20 Meter, auf der anderen Seite mehr als vier Meter hoch, sollte über die beachtliche Strecke von 50 bis 75 Metern transportiert werden. Da kein ausreichend großer Gabelstapler für den Transport zur Verfügung stand, ordnete der Vorarbeiter an, dass der Transport mittels kleiner Hubwagen stattfinden sollte. Jeder der beiden Leiharbeitnehmer bediente einen der beiden Hubwagen, der vordere Hubwagen wurde gezogen, der hintere geschoben. Das Ständerwerk des Förderbandes lag dabei ungesichert auf den Gabeln der beiden Hubwagen. Während des Transportes fiel das Förderband auf einen Leiharbeitnehmer, der sich dadurch schwere Verletzungen zuzog. Es fielen sechsstellige Kosten für die Unfallentschädigung an.

Die Berufsgenossenschaft nahm unter anderem den Vorarbeiter des Entsorgungsunternehmens in Regress gemäß § 110 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII. Während das Landgericht Berlin die Klage abwies, hat das Kammergericht durch das am 1. August 2022 verkündete Urteil festgestellt, dass der vom Vorarbeiter angeordnete Transport die Voraussetzungen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls des Geschädigten erfüllt und der Regress der Berufsgenossenschaft gemäß § 110 SGB VII zu 75 Prozent berechtigt ist. Denn der wie beschrieben beabsichtigte Transport verstieß eindeutig gegen Unfallverhütungsvorschriften, was auch ohne Sachverständigengutachten festgestellt werden könne. Hubwagen sind nämlich für andere (viel kleinere) Transportvorgänge vorgesehen. Die gleichzeitige Beladung von zwei beabsichtigt synchron zu bedienenden Hubwagen mit einem mehrere Hundert Kilo schweren Gegenstand mit den genannten Ausmaßen ist von keiner Arbeitsschutznorm gedeckt.

Nach Ansicht des Kammergerichtes dienen die für solche Transporte maßgeblichen Arbeitssicherheitsbestimmungen dann dem Schutz vor tödlichen Gefahren, wenn die zu transportierenden Güter im Fall eines Sturzes vom Hubwagen auf dessen Fahrer fallen und ihn aufgrund ihres Gewichtes tödlich verletzen können. Dass ein von Ständerwerken getragenes und den Hubwagen-Bedienenden von der Höhe her deutlich überragendes schweres Teil während eines Transports infolge der Bewegung des Hubwagens selbst in Bewegung geraten, umkippen und damit zu einer tödlichen Gefahr werden kann, ist für jedermann einleuchtend, denn dies entspricht den Regeln der Schwerkraft. Angesichts dessen ist es nachvollziehbar, dass sich ein ungesicherter Transport eines solchen hohen schweren Teils verbietet.

Auch subjektiv seien die Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit erfüllt. Es fehlte jegliche Gefährdungseinschätzung vor dem Transport, um auf dieser Basis zu einer vermeintlichen Ungefährlichkeit zu gelangen. Allein der Aspekt, dass der Vorarbeiter die beiden Leiharbeitnehmer darauf hingewiesen hat, dass sie mit Vorsicht vorgehen müssten, zeigt, dass ihm das Risiko eines Umfallens des Förderbandes während des Transports durchaus bewusst war. Hierbei hätte dem Vorarbeiter gleichzeitig klar werden müssen, dass es durch ein Umfallen des Förderbandes zu schweren oder sogar tödlichen Verletzungen kommen kann. Soweit der Vorarbeiter sich damit zu entlasten versuchte, dass er schon in der Vergangenheit Förderbänder auf diese Weise transportiert habe und es für ihn ein übliches Vorgehen gewesen sei, geht das Kammergericht davon aus, dass er keine Kenntnis von den geltenden Unfallverhütungsvorschriften hatte, was ihn nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 18. Februar 2014, VI ZR 51/13, Rn. 13, aber nicht entlastet.

Über die zutreffende Einschätzung zur groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 110 SGB VII hinaus enthält dieses Urteil auch eine Vielzahl von Ausführungen zur Höhe des Anspruchs der Berufsgenossenschaft, weil sich das Kammergericht auf etwa 35 Seiten des Urteils mit 200 Einzelpositionen beschäftigen musste. Zudem sind in diesem Urteil fallübergreifende Ausführungen zur Zulässigkeit und Begründetheit einer Deckungsschutzklage gegen einen Haftpflichtversicherer enthalten, wenn dieser sich weigert, Auskunft darüber zu geben, ob Schädiger Versicherungsschutz genießen oder nicht.