Mit Rückenwind aus der Pandemie – die Qualifizierung gemeinsam weiterentwickeln
Mit dem Aussetzen der Präsenzseminare aufgrund der Corona-Pandemie mussten diese vielfach innerhalb kurzer Zeit in Online-Formate umgewandelt werden. Das Thema Online-Lernen hat in der Pandemie einen erheblichen Schub erfahren. Nun gilt es, diesen Schwung mitzunehmen und das Qualifizierungsangebot für die Zukunft fit zu machen.
Erfolgsrezept selbstorganisierte Kompetenzentwicklung
Gerade zu Beginn der Pandemie haben sich Mitarbeitende und Teilnehmende in wenigen Wochen selbstorganisiert und selbstgesteuert neue Kompetenzen zum Online-Lehren und -Lernen angeeignet. Dabei wurden sowohl informelle (vor allem „Learning by Doing“) als auch formelle (Fort- und Weiterbildung) Wege beschritten. Dies bestärkt die klare Ausrichtung der Qualifizierung auf die Unterstützung der Kompetenzentwicklung: Kompetenz beinhaltet insbesondere die Fähigkeit, in komplexen Situationen eigenständig und angemessen zu handeln. Folgerichtig sollte die Förderung der individuellen Handlungskompetenzen künftig noch intensiver verfolgt werden.
Bildungsverständnis ist auch online wirksam
Die Unfallversicherungsträger arbeiten in der Qualifizierungsarbeit nach abgestimmten Grundsätzen, die im gemeinsamen Bildungsverständnis „KompetenzBildung für Sicherheit und Gesundheitsschutz (KoSiG)“ festgelegt sind. Demnach wird das Lehren und Lernen als ganzheitlicher, systemischer sowie lebenslanger Prozess verstanden und die Kompetenzorientierung sowie ein aktives und selbstverantwortliches Lernen in den Fokus gestellt. Das gemeinsame Bildungsverständnis bewährt sich auch in Online-Formaten. Seminare, die entsprechend dem Bildungsverständnis vorwiegend interaktiv gestaltet sind, lassen sich lernwirksamer und erfolgreicher auf Online-Formate umstellen als inputorientierte Seminare. Damit gewinnt die vierte didaktische Leitlinie „Auswahl von Methoden und Medien, die das aktive und selbstgesteuerte Lernen durch die Person des Lernenden unterstützen“ bei Online-Formaten nochmals an Bedeutung. Das gemeinsame Bildungsverständnis der Unfallversicherungsträger ist künftig noch besser zu fördern und bei der Entwicklung von Qualifizierungsprodukten konsequent umzusetzen. Für Entwicklerinnen und Entwickler der Produkte und die Lernbegleitenden sollten Handlungshilfen speziell für Online-Formate erstellt werden, die eine professionelle und qualitätsgesicherte Umsetzung unterstützen.
Didaktische Leitlinien
- Kompetenzorientierung bei der Gestaltung der Qualifizierung
- Orientierung an der Ermöglichungsdidaktik
- Arbeitsweltbezogene Vorgehensweise
- Auswahl von Methoden und Medien, die das selbstverantwortliche Lernen unterstützen
Quelle: AAW, Qualifizierung in der Prävention – Didaktische Grundlagen (2010)
Wachsender Bedarf an vielfältigen Angeboten
Lernen ist ein individueller Prozess. Jede und jeder lernt anders. Dies muss sich zukünftig verstärkt in den Lernangeboten niederschlagen: Qualifizierungsangebote müssen vielfältiger gestaltet werden. Online-Formate haben dabei genauso ihren Platz im Portfolio der Qualifizierung wie Präsenzformate. Die Erweiterung des Bildungsangebotes um neue Lernangebote wie zum Beispiel kurze Präsenzworkshops, Online-Vorträge, Online-Seminare, Blended-Learning-Angebote oder Online-Selbstlernangebote macht in organisatorischer Hinsicht veränderte beziehungsweise andere Vorgehensweisen erforderlich.
Die vielfältigere Gestaltung von Qualifizierungsangeboten ermöglicht es aber auch, die Transferorientierung verstärkt in den Blick zu nehmen. Dies fällt mit den Erfahrungen, die während der Pandemie aufseiten der Lernenden, der Lernbegleitenden und der Träger gesammelt wurden, deutlich leichter.
Der Einsatz von zukunftsorientierten Bildungsformaten ist als ein kontinuierlicher Prozess zu verstehen, der regelmäßige Aktualisierungen und Prüfungen der sich ständig verändernden Rahmenbedingungen erforderlich macht. Die zum Beispiel bereits vorliegende, umfangreiche Sammlung von „Steckbriefen“ für verschiedenste Lernformate wird künftig aktualisiert und fortgeschrieben werden müssen (vgl. DGUV Forum 03/2019 „Qualifizierung 4.0 – Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten“).
Freiräume zum Ausprobieren und zum Austausch nutzen
Die Geschwindigkeit der Entwicklung von Formaten, Methoden und Tools beim Online-Learning ist rasant. Um einschätzen und erproben zu können, wie sie sich für bestimmte Angebote und Zielgruppen eignen, sind Freiräume unentbehrlich. Nur so werden Innovationen ermöglicht. Dazu gehört auch, dass Formate, die sich als nicht erfolgversprechend herausgestellt haben, gegebenenfalls wieder eingestellt beziehungsweise zurückgenommen werden müssen.
(Online-)Lernangebote müssen zum Bildungsträger, zu den Lernbegleitenden und den Lernenden passen. Erforderliche Freiräume für den Erfahrungsaustausch sollen künftig noch stärker gefördert werden. Nur so werden Synergien genutzt und die Unfallversicherungsträger können voneinander lernen – sowohl aus positiven Erfahrungen wie auch aus Rückschlägen und Fehlern. In Handlungshilfen für Entwicklerinnen und Entwickler von Qualifizierungsprodukten können Erfahrungen konkretisiert werden.
„Lernräume“ sind auch Online wichtig!
Lernräume und Lernumgebung sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für nachhaltiges Lernen. Dies gilt auch für Lernräume beim Online-Learning. Auch hier ist eine gute Gestaltung unentbehrlich.
Während die Arbeitsgruppe Aus- und Weiterbildung der DGUV (AAW) für Präsenzveranstaltungen bereits konkrete Anforderungen und Empfehlungen zum Beispiel zu Größe, Beleuchtung, Ausstattung und Einrichtung erarbeitet hat, fehlen diese noch für Online-Szenarien. Hier sind die Unfallversicherungsträger gefragt, gemeinsam praxisnahe Kriterien und Empfehlungen für digitale Lernräume zu formulieren.
IT-Infrastruktur ist der Dreh- und Angelpunkt
Um eine anforderungsgerechte und funktionierende IT-Infrastruktur für das Online-Learning aufzubauen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Qualifizierung, IT-Abteilungen, Datenschutz, Datensicherheit und Beschaffung. Dazu müssen in den Qualifizierungsabteilungen grundlegende Kenntnisse zu den genannten Themen vorhanden sein. Hieraus ergibt sich unter Umständen ein Schulungsbedarf.
Im Hinblick auf die Implementierung von IT-Lösungen und digitalen Lernwerkzeugen (zum Beispiel Lernplattformen oder Online-Tools zur Kooperation) können gemeinsam entwickelte Rahmenvorgaben der DGUV eine wesentliche Hilfestellung sein, um Funktionalität, Datenschutz, Lizenzierung und andere Aspekte dieser Werkzeuge besser beurteilen zu können. Zudem müssen die für die Online-Qualifizierung passenden Support-Strukturen aufgebaut werden.
Synergien nutzen, Ressourcen sparen
Nicht jeder Bildungsträger der gesetzlichen Unfallversicherung muss in Bezug auf die IT-Infrastruktur oder die Produktentwicklung alles selbst machen. Innerhalb der Arbeitsgruppe besteht trägerübergreifend der Wunsch, Erfahrungen und Kompetenzen zu nutzen, um gemeinsam innovative Qualifizierungsangebote zu entwickeln und die IT-Infrastruktur zu verbessern.
Ganz konkret könnten künftig die gemeinsame Beschaffung von Online-Learning-Tools, die Entwicklung eigener Tools oder die Entwicklung von gemeinsam nutzbaren Lernmaterialien mit offenen Lizenzen umgesetzt werden.
Professionelle Ausstattung der Lernbegleitenden
Lernbegleitende müssen in synchronen Online-Angeboten gut zu verstehen und bei Nutzung der Kamera auch gut zu sehen sein. Eine passende Ausstattung mit Mikrofon, Kamera und adäquater Beleuchtung sind für synchrone Formate wie zum Beispiel Online-Seminare, Videokonferenzen oder Live-Online-Kommunikation unabdingbar. Erfahrungsgemäß sollten auch für die Gestaltung des Bildhintergrundes Anregungen und Hilfestellungen gegeben werden.
Wissenschaft und Forschung müssen forciert werden
Gerade im Umfeld des Arbeitsbereiches „Sicherheit und Gesundheit“ fehlen fundierte wissenschaftliche Aussagen zu guten Wegen und zur Wirksamkeit des Online-Lernens. Durch Forschung können Erfahrungen und Ergebnisse verglichen, Schlussfolgerungen gezogen und wissenschaftlich fundierte Herangehensweisen entwickelt werden. In der Konsequenz müssen Forschungsvorhaben initiiert und gefördert und der Austausch mit Hochschulen intensiviert werden. Die Forschungsförderung der DGUV könnte hierbei Hilfestellung leisten.
Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen durch die erforderlichen Schutzmaßnahmen haben die Qualifizierungsbereiche der Unfallversicherungsträger vor große Herausforderungen gestellt. Die – oftmals kurzfristige – Entstehung von Online-Learning-Angeboten hat im Rückblick gut funktioniert. Erfolgsgarant waren die Handlungskompetenzen der einzelnen Lehrenden und der jeweiligen Organisation. Der eingeschlagene Weg kann die Bildungslandschaft zu Sicherheit und Gesundheit nachhaltig verändern. Die Verantwortlichen für die Qualifizierung bei den Unfallversicherungsträgern sind sich einig, dass Online-Angebote das Portfolio künftig ergänzen und erweitern werden. Mit den neun formulierten Thesen (siehe Infokasten) haben sie die Segel gesetzt in Richtung Zukunft.
Qualifizierung für betriebliche Zielgruppen – Thesen der AAW UA I zu den Erfahrungen aus der Pandemie:
Die „Unterarbeitsgruppe Qualifizierungsmaßnahmen betrieblicher Zielgruppen“ der DGUV-Arbeitsgruppe Aus- und Weiterbildung (AAW UA I) hat im März 2021 neun Thesen erarbeitet, die die Erfahrungen aus der Pandemie wiedergeben und konkrete Schlussfolgerungen für die Gestaltung der Qualifizierung in der Zukunft formulieren.
- Kompetenzen für die Umsetzung von Online-Lernangeboten wurden zügig aufgebaut.
- Unser gemeinsames Bildungsverständnis hat sich bewährt und sollte noch besser gelebt werden.
- Der Bedarf an differenzierteren und vielfältigeren Qualifizierungsangeboten wächst.
- Für die Fortentwicklung und Umsetzung von Online-Lernangeboten werden Freiräume zum Ausprobieren sowie Foren für den Austausch benötigt.
- Lernräume beim Online-Learning haben die gleiche Bedeutung wie Lernräume bei Präsenzseminaren.
- Wir nutzen Synergien, um Ressourcen zu sparen.
- Online-Learning benötigt eine leistungsfähige IT-Infrastruktur.
- Online-Seminare erfordern eine professionelle Ausstattung der Lernbegleitenden.
Wissenschaftlich fundierte Aussagen über gute Wege des Online-Lernens zu Sicherheit und Gesundheit sind erforderlich.