Einsatz von Virtual Reality im Arbeitsschutz

Die Arbeit mit Strom ist immer gefährlich, auch in Schulungen. Mit Virtual Reality (VR) dagegen können Schulungen und Unterweisungen gefahrlos durchgeführt werden. Sie sind eine Ergänzung zur Praxis und lassen sich beliebig oft einsetzen. Lernen mit VR wird zum Erlebnis und führt zu hoher Motivation der Teilnehmenden und Wirksamkeit des Gelernten.

RheinEnergie setzt auf VR-Trainings in der Ausbildung

„Die Gesundheit der Mitarbeitenden und die Arbeitssicherheit sind der RheinEnergie wichtig. Alle Mitarbeitenden sollen so gesund nach Hause gehen, wie sie gekommen sind.“ Dies ist nicht nur eine grundsätzliche Leitlinie der RheinEnergie, sondern auch der Grundstein und die generelle Idee für die geplante VR-Academy-Welt des Energieversorgers.

Seit 2019 setzt die RheinEnergie gemeinsam mit World of VR zunehmend auf Virtual-Reality-Trainings in der Arbeitssicherheit und integriert die innovative Form des Trainings in das interne Schulungskonzept. Dabei wurde mit Trainings zum Schalten im Bereich der Mittel- und Hochspannungsnetze begonnen, da hier ein hohes Gefährdungspotenzial besteht.

Abbildung 1: Virtual-Reality-Arbeitssicherheitsschulung bei der RheinEnergie | © World of VR GmbH
Abbildung 1: Virtual-Reality-Arbeitssicherheitsschulung bei der RheinEnergie ©World of VR GmbH

Zahl der Stromunfälle steigt

Die Zahl der Stromunfälle ist laut der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) in den Jahren von 2015 bis 2019 um rund 20 Prozent gestiegen.[1] Im Jahr 2019 wurden mehr als 4.000 Stromunfälle gemeldet. Die Hälfte der Stromunfälle ist auf die Missachtung der fundamentalen fünf Sicherheitsregeln zurückzuführen. 2020 war ein rückläufiger Trend sowohl der gemeldeten Stromunfälle, der meldepflichtigen Stromunfälle als auch der tödlichen Stromunfälle zu verzeichnen.

Allen, die im Strombereich arbeiten, sind die fünf Sicherheitsregeln bekannt (siehe Infokasten "Die fünf Sicherheitsregeln im Umgang mit Strom").

Jedoch werden diese Regeln nicht immer korrekt angewendet. Dies liegt häufig an mangelnder Erfahrung; aber auch bei erfahrenen Beschäftigten kann Routine zu Unvorsichtigkeit und Fehlern führen. Unerfahrenheit und Routine können im schlimmsten Fall tödlich enden.

Im Jahr 2016 gab es bei der RheinEnergie einen Stromunfall. Im Rahmen einer Schalthandlung in einem Umspannwerk wurde ein Mitarbeiter durch einen Störlichtbogen tödlich verletzt, ein weiterer Mitarbeiter erlitt schwerste Brandverletzungen.

Bei der Untersuchung des Unfalls wurde noch einmal deutlich, wie wichtig die korrekte Anwendung der fünf Sicherheitsregeln beim Schalten ist. Ebenso sind gute Anlagenkenntnisse unabdingbar. Außerdem erfordern unterschiedliche und immer neue und komplexere Techniken ein weites und fundiertes Spektrum an Wissen, wie Anlagen zu betreiben sind.

Um Unfälle im Allgemeinen und tödliche Unfälle im Besonderen zu verhindern, ist es immer wieder erforderlich, die Mitarbeitenden stärker zu sensibilisieren. Der Einsatz von VR soll hierbei unterstützen.

Die fünf Sicherheitsregeln im Umgang mit Strom

  1. Freischalten.
  2. Gegen Wiedereinschalten sichern.
  3. Spannungsfreiheit feststellen.
  4. Erden und kurzschließen.
  5. Benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken.

VR als innovative Lösung

Um die Achtsamkeit zu erhöhen und somit Unfälle zu vermeiden, wird bei der RheinEnergie seit 2019 auf den Einsatz von VR-Trainings gesetzt. Gemeinsam mit der World of VR GmbH werden seit Anfang 2019 VR-Trainings entwickelt und erfolgreich für Schulungen von Mitarbeitenden eingesetzt. Durch diese VR-Trainings soll die Qualität der Ausbildung verbessert, das Niveau der Arbeitssicherheit weiter erhöht und damit auch das Risiko von Beinahe-Unfällen reduziert werden. Besonders junge Mitarbeitende, die weiterhin mit klassischen Medien und in der Praxis gut ausgebildet sind, werden durch den Einsatz von VR motiviert, häufiger zu trainieren. Doch auch für erfahrene Mitarbeitende sind die VR-Trainings interessant und bieten die Möglichkeit, zu üben, ohne sich dabei in Gefahr zu begeben. Fehler, die in der Realität schwere Unfälle verursachen können, stellen in der virtuellen Welt keine Gefahr dar. Durch visuelle und auditive Elemente werden Fehler dennoch deutlich – deutlicher als auf einem Bild. Somit bieten VR-Trainings eine ideale Ergänzung zu klassischen Online- oder Präsenzschulungen.

Abbildung 2: Arbeitssicherheitsschulungsprozess der RheinEnergie | © RheinEnergie AG
Abbildung 2: Arbeitssicherheitsschulungsprozess der RheinEnergie ©RheinEnergie AG

Virtual Reality – mehr als eine Spielerei

Ablenkung und Unaufmerksamkeit lassen sich in konventionellen, analogen Schulungen bei den Teilnehmenden immer wieder feststellen. Der Einsatz von VR-Trainings hilft dabei, die Aufmerksamkeit zu erhöhen und den Lerneffekt zu steigern. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, dass VR für viele noch ein recht neues und daher interessantes Medium ist. VR bietet eine hohe Immersion, das heißt, dass die Teilnehmenden durch die VR-Brille von der Außenwelt „abgeschottet“ sind und sich voll und ganz auf den Trainingsinhalt fokussieren. Sie tauchen wortwörtlich in die VR-Welt ein und bekommen das Wissen hier nicht nur passiv vermittelt, sondern haben die Möglichkeit, Handlungen in der virtuellen Welt auszuführen. Praktisches Tun trägt dazu bei, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich die Arbeitsschritte und Abläufe im Vergleich zu einer Vermittlung der Schritte durch einen Vortrag deutlich besser einprägen. Etwas „gemacht“ zu haben, hat meist einen anderen Lerneffekt, als etwas „gehört“ zu haben.

Abbildung 3: Lernpyramide | © World of VR GmbH in Anlehnung an NTL (National Training Laboratories), Bethel, Maine
Abbildung 3: Lernpyramide ©World of VR GmbH in Anlehnung an NTL (National Training Laboratories), Bethel, Maine

Didaktischer Aufbau von VR-Trainings

Die VR-Trainings der RheinEnergie verfügen über drei unterschiedliche Modi: den Lern-, den Übungs- und den Prüfungsmodus. Im Lernmodus werden den Teilnehmenden Informationen in der virtuellen Welt angezeigt, so wird Wissen vermittelt. Im Übungsmodus sind Aufgaben eigenständig zu erfüllen. Je nach Training kann es sich dabei um das Aufdecken von Fehlern oder die Ausführung bestimmter Schritte handeln. So können Abläufe trainiert und verinnerlicht werden. Im Prüfungsmodus wird das Gelernte abgefragt und dokumentiert.

Abbildung 4: Verschiedene Lernmodi am Beispiel des VR-Trainings „Baustellensicherheit“ | © VR-Training „Baustellensicherheit“ der RheinEnergie
Abbildung 4: Verschiedene Lernmodi am Beispiel des VR-Trainings „Baustellensicherheit“ ©VR-Training „Baustellensicherheit“ der RheinEnergie

Anwendungsgebiet 1: Umspannwerk

VR-Trainings ersetzen nicht die bisherigen Grundschulungen zur Schaltberechtigung im Umspannwerk und die reale Durchführung von Schalthandlungen. Sie sind eine Ergänzung in der zweijährigen Praxisphase bei neuen Beschäftigten, durch die ein intensiveres Training und eine individuelle Betreuung durch Trainer oder Trainerinnen beziehungsweise Ausbilderinnen oder Ausbilder ermöglicht werden. Im Prüfungsmodus des VR-Trainings besteht die Möglichkeit, verschiedene Daten zu erfassen und Lernerfolge zu dokumentieren. Über Schnittstellen zu bestehenden Arbeitssicherheitssystemen können zukünftig Ergebnisse der Prüfung automatisiert und personenbezogen archiviert werden.

Abbildung 5: VR-Training zur Schalthandlung in Umspannwerken | © RheinEnergie
Abbildung 5: VR-Training zur Schalthandlung in Umspannwerken ©RheinEnergie

Anwendungsgebiet 2: Baustellensicherheit

In diesem Training werden der korrekte Aufbau und die Sicherung von Baustellen vermittelt.

Im Lernmodus sind signifikante Bereiche der Baustelle mit Informationen versehen. Die Beschäftigten lernen so, warum bestimmte Maßnahmen erforderlich sind. Im Übungsmodus wird ein Baustellenszenario gezeigt, bei dem Fehler erkannt werden müssen. Die Mitarbeitenden haben dann die Möglichkeit, unsichere Stellen auf der virtuellen Baustelle auszuwählen. Auch in diesem Training müssen die Mitarbeitenden im Prüfungsmodus Fehler eigenständig finden und die richtige Option der Schutzmaßnahme auswählen. Eine falsche Auswahl führt in diesem Training zum Nichtbestehen der Prüfung.

Abbildung 6: VR-Training zur Sicherheit auf Baustellen | © RheinEnergie
Abbildung 6: VR-Training zur Sicherheit auf Baustellen ©RheinEnergie

Anwendungsgebiet 3: Gefahrstoffe

In diesem VR-Training befinden sich die Mitarbeitenden in einem virtuellen Lager, in dem sie Gefahren erkennen und beseitigen müssen. So gibt es beispielsweise einen Brand in einer Tonne, der mithilfe eines Feuerlöschers gelöscht werden muss. Gefahrstoff- und Ölpfützen oder etwa unsachgemäß gelagerte Gefahrstoffe müssen ebenfalls erkannt und beseitigt werden.

Im Übungsmodus werden den Beschäftigten die Gefahren in einem Infofeld angezeigt. Im Prüfungsmodus müssen die Fehler eigenständig erkannt werden. Der Anreiz bei diesem Training ist das Auffinden von bestimmten Schlüsseln, um so in den nächsten Raum zu gelangen oder etwa den Gefahrstoffschrank zu öffnen. Sind alle Gefahren beseitigt und die richtigen Schlüssel gefunden, war das Training erfolgreich und das Lager kann verlassen werden.

Abbildung 7: VR-Training zum Umgang mit Gefahrstoffen | © RheinEnergie
Abbildung 7: VR-Training zum Umgang mit Gefahrstoffen ©RheinEnergie

Bereitstellung der VR-Trainings

Geplant ist, den Mitarbeitenden alle VR-Trainings auf der Plattform Possibl bereitzustellen. Sie loggen sich auf der Lernplattform mit ihrem Benutzernamen und Kennwort ein und haben so Zugriff auf die VR-Trainings. Die Plattform hat den Vorteil, dass die Mitarbeitenden Trainings auch zusammen und/oder mit einem Coach oder einer Coachin absolvieren und besprechen können. Dadurch, dass einzelne Aufgaben in einem Training gemeinsam bearbeitet und besprochen werden können, werden die Inhalte weiter vertieft. Trainerinnen und Trainer können in einem VR-Training also genau erklären, warum welche Schritte in welcher Reihenfolge auszuführen sind. Ein weiterer Vorteil von Possibl ist, dass dort nicht mehr nur die eigenen, speziell für die RheinEnergie entwickelten VR-Trainings zur Verfügung stehen, sondern auch weitere Trainings zur Arbeitssicherheit oder Soft Skills.

Fazit und Ausblick

Das Feedback der Beschäftigten ist durchweg positiv und die Erfolge der VR-Trainings sind vielversprechend. Die Integration von VR-Trainings bei den Grundschulungen für Schalthandlungen haben gezeigt, dass mehr als 90 Prozent der Anwendenden sich anschließend sicherer und besser vorbereitet gefühlt haben. Über 95 Prozent konnten das theoretisch erworbene Wissen direkt, unter Aufsicht, in der Praxis anwenden. Die regelmäßige Nutzung der VR-Anwendungen und die vermehrte Sensibilisierung im Bereich der Arbeitssicherheit zeigen, dass die RheinEnergie auf dem richtigen Weg ist, um das Niveau der Arbeitssicherheit und der Qualifizierungen der Beschäftigten weiter zu erhöhen und somit auch Beinahe-Unfälle zu reduzieren. Daher werden die VR-Anwendungen um weitere Tätigkeiten erweitert, so soll eine VR-Arbeitssicherheits-Akademie entstehen.

QR-Code zum Einsatz von VR bei RheinEnergie
Neben interaktiven 3D-Trainings, in denen die Mitarbeitenden Aufgaben erfüllen müssen, gibt es auch Überlegungen und erste Ansätze, mithilfe von weiteren Technologien, etwa in Laserscans, virtuelle Einweisungen in „echten“ Anlagen durchzuführen.

Über die RheinEnergie AG

  • 2002 gegründet (Vorgängerunternehmen von 1872)
  • deutschlandweiter Vertrieb und Verkauf von Energiedienstleistungen
  • Mitarbeitende: 3.050
  • Stadtwerke und Regionalversorger für rd. 2,5 Mio. Menschen
  • Netze Strom: rd. 10.000 km
  • Netze Gas: rd. 2.600 km
  • Netze Wasser: rd. 4.000 km
  • Netze Fernwärme: rd. 340 km

Über World of VR GmbH

  • 2015 gegründet in Köln
  • Mitarbeitende: 23
  • individuelle Entwicklung von Virtual- und Augmented-Reality-Lösungen
  • Fokus auf eigener VR-Trainingsplattform Possibl für Arbeitssicherheit und Mitarbeitercoaching