Videosprechstunden in der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung

Spätestens seit Corona ist der Austausch über Video ganz normal – privat und noch mehr im beruflichen Kontext. Das Projekt „Tele-Arbeitsschutz“ untersuchte daher die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation per Videosprechstunde in der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung von Unternehmen.

Das Pilotprojekt „Tele-Arbeitsschutz“

Die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung benötigt gute Kommunikationsstrukturen zum Betrieb. Eine qualitativ hochwertige Betreuung ist für die Betriebe erreichbar, kann aktuelle Informationen beisteuern und setzt sich mit den konkreten Bedingungen und Fragestellungen im Betrieb auseinander. Vor allem die flächendeckende Betreuung durch arbeitsmedizinische Fachkräfte wurde in den vergangenen Jahren immer wieder problematisiert. Besonders die Fahrten zum Betrieb und wieder zurück verbrauchen wichtige zeitliche Ressourcen, die an anderer Stelle dringend benötigt werden.[1]

Das Projekt „Tele-Arbeitsschutz“ wollte deswegen mehr darüber erfahren, wie die digitale Kommunikation per Videosprechstunde die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung von Unternehmen verändern kann. Eine Reihe von Gesprächen kann in der Beratung von Betrieben theoretisch auch digital durchgeführt werden: Der zuständige Arbeitsmediziner oder die Arbeitsmedizinerin könnte zu einer Sitzung des Arbeitsschutzausschusses (ASA) eingeladen werden, um einige wichtige Fragen zu klären, oder eine Führungskraft hat eine Frage zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) oder auch zur Auswahl des richtigen Sicherheitsschuhs für die Beschäftigten. Ein flexibler Austausch per Video zwischen den Verantwortlichen im Unternehmen und externen Fachleuten in der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung sollte Aufwände auf beiden Seiten reduzieren und Ressourcen schonen. Die entscheidende Frage für die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) lautete Anfang 2019: Klappt das in der Praxis und wird ein solches Angebot von den Mitgliedsbetrieben genutzt?

Das Pilotprojekt sollte hierzu Antworten liefern. Es wurde von 2019 bis 2021 von der  BGN, dem Arbeitsmedizinischen und Sicherheitstechnischen Dienst der BGN (ASD*BGN) gemeinsam mit der B·A·D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH durchgeführt. Videosprechstunden, so war die Hoffnung, könnten Zeit und Aufwand für alle Beteiligten reduzieren. Schließlich ermöglichen sie eine persönliche, individuelle und qualifizierte Beratung zu flexiblen Zeiten an einem beliebigen Ort. Über eine verschlüsselte Internetverbindung sollte das Know-how von Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern sowie von Fachkräften für Arbeitssicherheit effektiv genutzt werden. Außerdem sollte geprüft werden, ob die Option, den Expertinnen und Experten vor Ort per Videofunktion einen visuellen Eindruck von Geräten oder baulichen Gegebenheiten zu vermitteln, Vorteile gegenüber einem Telefonat hat.

Vielfältiges inhaltliches Angebot

Die Videosprechstunde wurde in bestimmten Projektregionen für verschiedene Beratungsanlässe angeboten, zum Beispiel zur Teilnahme an Sitzungen des ASA, zur Beratung von Unternehmern und Unternehmerinnen sowie Beschäftigten, zur Teilnahme am BEM, zur Nachbesprechung, zur Umsetzung konkreter Maßnahmen, zur Verlaufskontrolle – etwa bei beruflich bedingten Hautproblemen – oder zur Konsultation unter Fachkollegen und Fachkolleginnen.

Das Ergebnis: Während des Projektzeitraumes von 2019 bis 2021 wurden insgesamt 386 Telearbeitsschutz-Beratungen durchgeführt und ausgewertet. Davon wurden 115 Beratungen (30 Prozent) von Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern, 271 Beratungen (70 Prozent) von Fachkräften für Arbeitssicherheit durchgeführt.

Tabelle 1: Häufigkeit der Beratungsanlässe  | © Eigene Berechnungen, ein Eintrag konnte nicht zugeordnet werden
Tabelle 1: Häufigkeit der Beratungsanlässe ©Eigene Berechnungen, ein Eintrag konnte nicht zugeordnet werden

Bewertung des Angebots durch Experten und Expertinnen

Im Rahmen des Projekts wurden die beteiligten Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner sowie die Fachkräfte für Arbeitssicherheit befragt, wie sie mit den Videosprechstunden zurechtgekommen sind. Fast 90 Prozent der Fachleute, die sich an einer Direktevaluation unmittelbar nach der Videosprechstunde beteiligten, bewerteten das Angebot als eine geeignete Methode, um ihren Beratungsauftrag zu erfüllen. Ebenso waren fast 90 Prozent der Personen der Meinung, dass die Videosprechstunde für die Lösung der konkreten Anfrage genauso gut geeignet war wie ein Termin vor Ort. In qualitativen Interviews, die zum Projektabschluss mit den Beteiligten geführt wurden, erwies sich vor allem die Zeitersparnis durch lange Anfahrten oder Wartezeiten in den Betrieben als Grund für diese positive Bilanz.

Bewertung des Angebots durch Mitgliedsbetriebe

Um eine Videosprechstunde zu realisieren, braucht man eine stabile, ausreichend schnelle und sichere Internetverbindung. Die Datensicherheit wurde durch die Nutzung einer zertifizierten Videosoftware gewährleistet. Im Projekt sollte die Frage geklärt werden, ob die BGN-Mitgliedsbetriebe die Teilnahme an Videosprechstunden als aufwendig empfinden. Die deutliche Mehrheit der Befragten bewertete das Angebot als einfach zu realisieren und als eine Entlastung im Arbeitsalltag. Diese Ergebnisse stammen aus der Direktevaluation unmittelbar nach Durchführung einer Videosprechstunde.

Und wie stand es um die Zufriedenheit bezüglich der Qualität, mit der das Beratungsanliegen bearbeitet wurde? Die Nutzerinnen und Nutzer stellten der Methode gute Noten aus und auch den Vergleich zu einem Angebot vor Ort oder per Telefon muss die Videosprechstunde nicht scheuen. Für die gewählten Beratungsanlässe bewerteten die Betriebe die Videosprechstunde als gut geeignet.

Das Projektteam wollte h ebenfalls wissen, ob die Betriebe Videosprechstunden  auch in Zukunft nutzen würden. 80 Prozent der beteiligten Pilotbetriebe sagte dazu eindeutig „Ja“.

Zukunft der Videosprechstunde

Das Pilotprojekt wurde Ende 2021 abgeschlossen. Der ASD*BGN und auch die Betreuung durch das Kompetenzzentrenmodell der BGN werden Videosprechstunden weiterhin ermöglichen. Die beauftragten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Zentren wurden über die Ergebnisse des Pilotprojektes informiert und ihnen steht in Zukunft die Möglichkeit offen, Videosprechstunden in ihr Produktportfolio zu integrieren. Geeignete Softwarelösungen und Beratungsanlässe vorausgesetzt, ist die Videosprechstunde eine sinnvolle Ergänzung der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung vor Ort. Weite Anfahrtswege können eingespart und zeitnahe Rückmeldungen realisiert werden, ohne dass die Qualität der Beratung beeinträchtigt wäre.

Weitere Informationen

Weitere Informationen zum Projekt und Handlungshilfen in Form von Faktenblättern werden auf der BGN-Homepage angeboten unter: www.bgn.de/asd-bgn/unsere-leistungen/projekte/asdbgn-videosprechstunde/