Personentransport in Gitterbox – grob fahrlässige Herbeiführung eines Arbeitsunfalls
Jeder Sturz aus einer Gitterbox ist ein Arbeitsunfall zu viel. Wer meint, gleichwohl Personen damit transportieren zu können oder zu müssen, wird im Fall eines Arbeitsunfalls zu Recht vom Unfallversicherungsträger in Regress genommen werden.
Beschluss des BGH vom 11.01.2021, VI ZR 1264/20, zuvor Beschlüsse des OLG München vom 18.08.2020 und 17.09.2020, 23 U 177/20, UVR 12/2020, 697 ff. und Urteil des LG Ingolstadt vom 09.12.2019
Diesem Rechtsstreit über einen zivilrechtlich geltend gemachten Regress, der zur Haftung dem Grunde nach bis zum Bundesgerichtshof (BGH) geführt wurde, liegt ein Arbeitsunfall zugrunde, bei dem der Versicherte des klagenden Unfallversicherungsträgers aus einem provisorisch an einem Kran befestigten Gitterkorb zu Boden stürzte und sich schwer verletzte. Zunächst wurde ein Gerüst abgebaut. Nachdem das Gerüst vollständig abgebaut war, stellte man fest, dass man eine sich in rund vier Meter Höhe befindliche Laterne, die wegen des Gerüstes zuvor versetzt worden war, nicht wieder ordnungsgemäß angebracht hatte. Da das Gerüst bereits abgebaut war, kam der Arbeitgeber des ungelernten Bauhelfers auf die Idee, eine Gitterbox an einem Kran zu befestigen und diese mitsamt dem darin befindlichen Arbeiter auf eine Höhe von vier Metern anzuheben. Allerdings wurde die Gitterbox statt an den vier zur Befestigung möglichen Punkten nur an zwei Punkten befestigt. Der Arbeiter versuchte erfolglos, die etwa 50 Kilogramm schwere Straßenlaterne aus massivem Metall umzusetzen, stürzte dabei aus der Gitterbox und wird unter den schweren gesundheitlichen Folgen lebenslang leiden müssen.
Die maßgeblichen Unfallverhütungsvorschriften verbieten eine solche Vorgehensweise eindeutig. Gleichwohl kommt es regelmäßig vor, dass Gitterboxen mit darin befindlichen Personen angehoben werden, sei es – wie hier – durch einen Kran oder gegebenenfalls auch durch Gabelstapler. Immer wieder kommt es dabei zu Stürzen aus Gitterboxen und erheblichen Verletzungen der nur vermeintlich „sicher“ transportierten Personen.
Zu Recht hat das Landgericht (LG) Ingolstadt, bestätigt vom Oberlandesgericht (OLG) München und nach Zurücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH zum Haftungsgrund rechtskräftig entschieden, dass diese Vorgehensweise einen Rückgriff der Berufsgenossenschaft gegen den handelnden Unternehmer gemäß § 110 SGB VII rechtfertigt. Zur näheren Begründung sei auf die Urteils- und Beschlussgründe verwiesen, die in den Ausgaben 3/2020 und 12/2020 der von der DGUV herausgegebenen Online-Zeitschrift der UV Recht & Reha Aktuell (UVR) veröffentlicht wurden.
Erstmals in dieser Deutlichkeit haben die genannten Gerichte entschieden, dass trotz einer Gesamtgläubigerschaft des Unfallversicherungsträgers und des Rentenversicherungsträgers analog § 117 Abs. 1 SGB X (beide zahlen zum Ausgleich des Erwerbsschadens eine Rente) die Klage auch nur eines Sozialversicherungsträgers zulässig ist. Ein gemeinsames Vorgehen mehrerer Sozialversicherungsträger anlässlich desselben Schadensfalls mag viele Vorteile haben. Zwingend erforderlich ist dies nicht; jeder Sozialversicherungsträger darf auch allein klagen.
Zudem haben die Gerichte dem Vortrag des Beklagten, ein „branchentypischer Schlendrian“ schließe eine subjektive grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 110 SGB VII aus, zu Recht eine Absage erteilt. Erstens gibt es keine höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach eine branchenübliche Nachlässigkeit stets eine subjektive grobe Fahrlässigkeit ausschließt. Zweitens würde eine solche typische Nachlässigkeit, wenn es sie gäbe, den Schädiger deswegen nicht entlasten, weil ein Arbeitgeber die maßgeblichen Unfallverhütungsvorschriften zu kennen hat und daher die Risiken bestimmter Vorgehensweisen besser einschätzen kann als ungelernte Arbeiter.
Jeder Sturz aus einer Gitterbox ist ein Arbeitsunfall zu viel. Wer meint, gleichwohl Personen damit transportieren zu können oder zu müssen, wird im Fall eines Arbeitsunfalls zu Recht vom Unfallversicherungsträger in Regress genommen werden.