Versicherungsschutz eines Chormitglieds auf dem Weg zum Konzert einer Kirchengemeinde

Ein ehrenamtlich tätiges Chormitglied eines privaten Frauenchors, der im Rahmen eines Adventskonzerts in einer evangelischen Kirchengemeinde auftritt, steht nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung; zuständig ist bei einem Unfall im Sinne von § 8 SGB VII die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft.

BSG, Urteil vom 08.12.2022, Az. B 2 U 19/20 R

Die Klägerin verunglückte auf dem Weg zu einem von einer Kirchengemeinde veranstalteten öffentlichen „Adventssingen“ schwer, an dem sie als Mitglied eines privaten Frauenchors unentgeltlich teilnehmen wollte. Die Teilnahme des Chors basierte auf einer Vereinbarung zwischen dem Chor und dem Pfarrer der Kirchengemeinde, die das Konzert unter der Rubrik „Kirchliche Nachrichten“ als „Weihnachtskonzert“ in ihren Räumlichkeiten angekündigt hatte. Die später im Verfahren beigeladene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) prüfte ihre Zuständigkeit, lehnte aber ein Tätigwerden im Auftrag einer Religionsgemeinschaft ab, weil die Initiative vom Chor ausgegangen sei.

Die zunächst beklagte Unfallkasse lehnte den Versicherungsschutz auf der Grundlage ihrer Satzung für ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte, soweit diese nicht schon nach § 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VII gesetzlich oder freiwillig versichert sind, ab. Demgegenüber bejahte das Sozialgericht (SG) eine (durch die Satzung der Unfallkasse versicherte) dem Gemeinwohl dienende unentgeltliche Tätigkeit, die für eine Organisation erfolgt sei, die ohne Gewinnerzielungsabsicht Aufgaben ausführt, die im öffentlichen Interesse liegen oder gemeinnützige beziehungsweise mildtätige Zwecke förderte: Der Amateurchor sei im Sinne von § 52 Abgabenordnung (AO) gemeinnützig, indem er selbstlos tätig werde und der Pflege des Chorgesangs und damit der Förderung der Allgemeinheit im Sinne der Förderung von Kunst und Kultur diene. Ein vorrangiger Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a SGB VII entfiele, weil der privatrechtlich organisierte Chor keine Einrichtung des öffentlichen Rechts sei. Auch das Tätigwerden für eine kirchliche Einrichtung (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b SGB VII) habe mangels Auftrags der Gemeinde nicht bestanden, die lediglich ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt habe. Im Berufungsverfahren wurde eine ehrenamtliche, im Wesentlichen dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit der Klägerin hingegen abgelehnt und stattdessen von einer Tätigkeit mit gespaltener Handlungstendenz ausgegangen, bei der eigenwirtschaftliche Zwecke überwogen: Das Singen im Chor sei vorrangig zur Freizeitgestaltung und Befriedigung persönlicher Interessen (Freude am Singen und der Gemeinschaft) bestimmt gewesen (LSG, Urteil vom 24.09.2020, Az. L 6 U 14/20, UV Recht & Reha Aktuell [UVR] 04/2021 vom 30.04.2021, S. 145).  Im Übrigen reiche eine einfache Mitgliedschaft in dem nachträglich als gemeinnützig anerkannten Verein auch nicht aus, um als ehrenamtliche Tätigkeit im Sinne öffentlicher Aufgabenwahrnehmung gelten zu können.

Das Bundessozialgericht (BSG) folgte dem nicht: Vielmehr sei mit der Neufassung des § 2 Nr. 10 SGB VII durch das Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen (UVSchVerbG) vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3299) der Versicherungsschutz für ehrenamtliche Tätigkeiten in diesem Bereich ausgeweitet worden. Die Neufassung des § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b SGB VII habe dabei insbesondere der Entwicklung Rechnung getragen, dass auch im kirchlichen Bereich religionsgemeinschaftliche Aufgaben verstärkt durch Ehrenamtliche oder privatrechtliche Organisationen unentgeltlich erfüllt werden, um die vielfältigen und sehr unterschiedlich ausgestalteten Formen ehrenamtlichen Engagements breit zu erfassen. Das Singen im Laienchor gehöre dem weiten Verständnis ehrenamtlicher Tätigkeit folgend zu dem Kreis von anerkannten Tätigkeiten, da es unter anderem im bundesweiten Verzeichnis „Immaterielles Kulturerbe“ der Deutschen UNESCO Kommission e. V. unter der Rubrik „Chormusik in Amateurchören“ aufgeführt ist. Der Ausübung eines konkret-funktionalen „Amtes“ im Sinne der Übertragung eines bestimmten Aufgabenbereichs oder Pflichtenkreises an einen „Amtswalter“ bedürfe es seit Inkrafttreten des UVSchVerbG nicht mehr, da es Ämter im eigentlichen Sinne in privatrechtlichen Organisationen über die organschaftlichen Vertreter hinaus nicht gebe. Damit seien das gemeinsame Besorgen eines Kreises von Geschäften, das arbeitsteilige Mitwirken in einer gemeinwohlorientierten Einrichtung oder die Wahrnehmung eines vorher festgelegten Aufgabenkreises ausreichend. Dem sei die Klägerin mit der mitgliedschaftlich übernommenen Verpflichtung, an den Veranstaltungen, Auftritten und Darbietungen des Amateurchors in der Stimmgruppe mitzuwirken, die ihr die Chorleiterin jeweils zugewiesen hatte, nachgekommen.

Damit sei die Klägerin am Unfalltag im Sinne von § 2 Nr. 10 Buchst. b SGB VII als Mitglied des Frauenchors für eine privatrechtliche Organisation mit ausdrücklicher Einwilligung einer Religionsgemeinschaft ehrenamtlich tätig geworden. Der ablehnende Bescheid der beigeladenen VBG konnte angesichts der unbeschränkten Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht als Teil des Berufungsverfahrens, in dem vonseiten der Klägerin hilfsweise die Aufhebung des Ablehnungsbescheids beantragt worden war, im anhängigen Revisionsverfahren (erstmals) aufgehoben werden. Diese für die beigeladene Trägerin sicherlich überraschende Wendung des Verfahrens, nachdem zuvor von keiner Tätigkeit im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung der Kirchengemeinde ausgegangen worden war, lässt die Tragfähigkeit der diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen, auf deren Grundlage das BSG entschieden hat, etwas dünn erscheinen. Jedoch ist von einer ausdrücklichen Einwilligung auszugehen, denn sonst hätte der Chor nicht in den Räumlichkeiten der Kirchengemeinde auftreten können, was tatsächlich auch geschah. Selbst wenn die Zurverfügungstellung der Räume für die private Organisation noch nicht ausreicht für eine Einwilligung in deren ehrenamtliches Tätigwerden, so ist das BSG letztlich zu Recht davon ausgegangen, dass hier eine Zuordnung zum eigenen Aufgabenbereich mit dem Einvernehmen der Nutzung für das „Adventssingen“ und der Ankündigung im eigenen Publikationsorgan gegeben war.

Mithin bedurfte es einer rechtlichen Bewertung des Chorsingens als ehrenamtlicher Betätigung, nachdem das Landessozialgericht (LSG) hier eine durch eigenwirtschaftliche Motive geprägte unversicherte Tätigkeit (im Sinne von Hobby, Freude am gemeinschaftlichen Singen und damit Freizeitgestaltung) angenommen hatte. Beim unvoreingenommenen Lesen des Urteils mutet die Heraushebung unter Referenz zur Deutschen UNESCO-Kommission eines Laienchors, der „dieses immaterielle Kulturerbe fördern und dem Gemeinwohl dienen“ wollte, eher pathetisch an – eine Deutung des Chorsingens als Hobby oder Liebhaberei wird dem natürlichen Empfinden dieser Betätigung selbst mit guter alter Tradition eher gerecht. Wenn es nunmehr im Kern nur noch darauf ankommt, dass eine Tätigkeit unentgeltlich ausgeübt wird und immateriellen Werten, ideellen Zwecken oder dem Gemeinwohl dient (so das BSG unter II. 3 der Gründe), wird die ehrenamtliche Betätigung sehr weit gefasst: Sie könnte nicht nur auf Teilnehmende an Pfadfindergruppen oder gar karnevalistischen Brauchtumsveranstaltungen, sondern auch auf neuere Betätigungen zivilgesellschaftlichen Engagements wie Teilnehmende an Food-Charing-Initiativen oder Aktionen von Klimaschutzaktivisten und Klimaschutzaktivistinnen erstreckt werden. Ob das weitere vom BSG genannte Indiz für eine ehrenamtliche Tätigkeit, dass sie „[…] – jenseits pflichtiger Ehrenämter – freiwillig aufgenommen und im Rahmen einer gemeinwohlorientierten Organisation erfolgt, die ohne Gewinnerzielungsabsicht Aufgaben erfüllt, die im öffentlichen Interesse liegen oder gemeinnützige, mildtätige, kirchliche oder soziale Zwecke fördern“, für Abgrenzungen geeignet ist, erscheint schon im Hinblick auf die nur abgeschwächte indizielle Bedeutung zweifelhaft. So erfüllen auch die genannten Beispiele bei privatrechtlich organisierter gemeinschaftlicher Betätigung im Zweifel dieses Erfordernis. Für Grenzziehungen wird häufig auch nicht die in § 2 Nr. 10 Buchst. b SGB VII geforderte Anbindung an eine einvernehmliche Tätigkeit mit Religionsgemeinschaften sorgen, denn diese sind, worauf das BSG zum Ende (unter II. 4 der Gründe) selbst hinweist, bei der Bestimmung des eigenen Aufgabenbereichs frei und entscheiden selbst, welche Tätigkeiten und Zielsetzungen sie sich zu eigen machen. Daher erscheint eine gewisse Sorge vor einer weiteren Ausdehnung des Versicherungsschutzes (auch und gerade im Rahmen der Versicherung kraft Satzung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII) angebracht.

Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.