Freizügigkeit in Zeiten von COVID-19: EU-Empfehlung soll Klarheit schaffen

Nachrichten aus Brüssel | © Adobe Stock/somartin
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Das Recht, sich in der Europäischen Union (EU) frei zu bewegen, überall zu leben, zu arbeiten und zu studieren, ist eine der größten Errungenschaften der EU. Mit der Ausbreitung der ersten COVID-19-Welle waren europäische Bürgerinnen und Bürger plötzlich nicht nur mit Reisebeschränkungen, sondern auch mit vereinzelten Grenzkontrollen wie an der deutsch-polnischen oder der deutsch-österreichischen Grenze innerhalb der Union konfrontiert. Kilometerlange Staus, langes Warten, genervte Auto- und Lkw-Fahrerinnen und -fahrer sowie Fragen nach einem Passierschein waren Bilder, die wir innerhalb Europas schon lange nicht mehr kannten. Viele Menschen waren davon betroffen, mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Saisonbeschäftigte, Geschäftsreisende, aber auch privat Reisende. Auch der freie Warenverkehr war beeinträchtigt.

Schnell wurden die Mitgliedstaaten für diese Situation kritisiert. Vor allem die europaweit sehr unterschiedlichen und teils komplexen Regelungen für pendelnde Beschäftigte stießen auf Unverständnis. Dennoch: Man sollte sich hier die Frage stellen, ob Freizügigkeitsbeschränkungen innerhalb der EU nicht doch berechtigt sein können, wenn sie aufgrund von Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung unbedingt notwendig erscheinen. Wünschenswert wären dann allerdings koordinierte, verhältnismäßige und diskriminierungsfreie Maßnahmen.

Europa hat auf die Kritik reagiert. Auf Vorschlag der Europäischen Kommission haben sich die Mitgliedstaaten im Oktober auf eine einheitliche, koordinierte Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit während der COVID‑19-Pandemie verständigt.

Eine gemeinsame Datenbasis für entsprechende Maßnahmen und die Einführung einer Karte mit Ampelsystem wurden beschlossen. Bürgerinnen und Bürger sollen schnell und einfach eine Übersicht bekommen, wohin und wie sie innerhalb von Europa reisen können. Die Mitgliedstaaten sollen hierzu dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) wöchentlich eine Reihe ausgewählter Daten melden, beispielsweise die Zahl der neu gemeldeten Fälle im Verhältnis zu der Anzahl durchgeführter Tests in einer Woche sowie den prozentualen Anteil der positiven Tests. Auf Basis dieser Daten erstellt das ECDC eine nach Regionen aufgeschlüsselte Karte der EU-Mitgliedstaaten, die die Gebiete grün, orange, rot oder grau (nicht ausreichende Informationen vorhanden) kennzeichnet.[1] Während die Freizügigkeit von Personen, die in „grüne“ Gebiete oder aus „grünen“ Gebieten reisen, nicht beschränkt werden soll, sind bei Reisen zwischen „orangen“ und „roten“ Gebieten die epidemiologische Lage sowie die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen zu berücksichtigen. Die Maßnahmen sollen dabei nach der Empfehlung der Mitgliedstaaten auf Quarantäne oder Testung vor beziehungsweise nach Ankunft beschränkt bleiben. Von der grundsätzlichen Verweigerung der Einreise soll abgesehen werden. Außerdem soll ein einheitliches europäisches Reiseformular erarbeitet werden, dessen Vorlage die Mitgliedstaaten bei Einreisen in ihr Hoheitsgebiet einfordern können.

Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich das System in der Praxis bewährt. Die Notwendigkeit einer Koordination wurde in den vergangenen Monaten offensichtlich. Dennoch fallen die Entscheidungen über die Umsetzung der Inhalte ebenso wie über die Einführung von Beschränkungen der Freizügigkeit zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nach wie vor in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Die im Oktober 2020 getroffene Vereinbarung hat insoweit nur empfehlenden Charakter und ist rechtlich nicht verbindlich. Die vorliegende Einigung dürfte dennoch einen Einstieg in die EU-Koordination zu Aspekten der Freizügigkeit darstellen. Deutschland wird sich weiter für eine noch bessere und engere Abstimmung in der EU einsetzen, um die Reisefreiheit innerhalb des Schengenraums trotz Pandemie auch künftig zu gewährleisten.