Unfallversicherungsschutz im Homeoffice – Gestern ist nicht heute

„Ein Arbeitsunfall [im Homeoffice] liegt mangels Unfallkausalität nicht vor, wenn sich im rein persönlichen Wohnbereich des Versicherten ein Unfall ereignet, dessen wesentliche Ursache eine spezifische Gefahr der eigenen Häuslichkeit ist.“

§ Landesozialgericht München, Urteil vom 12.05.2021 – L 3 U 373/18 – juris

Im Homeoffice arbeitend bemerkte der (spätere) Kläger einen Temperaturabfall im ganzen Haus. Bei seinem Versuch, die Raumtemperatur zu regeln, kam es zu einer Explosion der häuslichen Heizungsanlage, wodurch er erheblich verletzt wurde. Nachdem der zuständige Unfallversicherungsträger und das Sozialgericht München einen Arbeitsunfall ablehnten, kam die Angelegenheit zum Landessozialgericht (LSG) München. Dieses sah den Kläger im Unfallzeitpunkt zwar im Rahmen einer sogenannten gemischten Motivationslage (eine Handlung mit zwei Zielrichtungen; einmal dienstlich, einmal privat) bei versicherter Tätigkeit; es verneinte jedoch einen Arbeitsunfall, weil die Unfallkausalität fehle; wesentliche Ursache für den Unfall sei nicht die versicherte Tätigkeit des Klägers gewesen, sondern eine Gefahr der eigenen Häuslichkeit; die Realisierung einer solchen Gefahr stehe nicht unter Unfallversicherungsschutz. Damit bewegt sich das LSG München durchaus im Fahrwasser der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Insofern dürfte die vom Kläger eingelegte Revision wenig Aussicht auf Erfolg haben; dabei dürfte es auch keine Rolle spielen, dass der Vorsitz im zweiten (Unfall-)Senat des BSG gerade gewechselt hat. Aber darum soll es hier gar nicht gehen; etwas anderes ist interessant.

Das LSG München hat in seinem Urteil auch die Frage aufgeworfen, ob seiner Rechtsauffassung in Zukunft durch die Neufassung des § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) die gesetzliche Grundlage entzogen worden ist. Mit Wirkung zum 18. Juni 2021 hat der Gesetzgeber den Unfallversicherungsschutz von Homeoffice neu geregelt; diesbezüglich sieht nun unter anderem § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII eine Gleichstellungsklausel von Homeoffice und der Arbeit auf der Unternehmensstätte: „Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“ Anlass für diese Gesetzesänderung war insbesondere die Rechtsprechung des BSG, die einigen Tätigkeiten, die auf der Unternehmensstätte als versicherte Tätigkeiten gehandelt wurden, den Versicherungsschutz im Homeoffice versagte. Das sollte uns Anlass geben, über die Dinge nachzudenken.

Wenn wir § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII mit der Forderung „Versicherungsschutz in gleichem Umfang“ unbefangen lesen, dann ist es offensichtlich, dass der Gesetzgeber die Örtlichkeit als Entscheidungsparameter für Unfallversicherungsschutz aufgegeben hat, womit das Abstellen auf häusliche Risiken als K.-o.-Kriterium für Arbeitsunfälle ausscheiden muss. Hinsichtlich der Gleichstellung der Arbeit im Homeoffice mit der Arbeit auf der Unternehmensstätte ist es nun nur noch entscheidend, „dass“ gearbeitet wird, nicht aber „wo“. Wenn die Gleichstellungsklausel des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII klar zu Ende gedacht wird, dann sind „spezifische Umgebungsrisiken“ im Homeoffice nunmehr zu tätigkeitsbezogenen Risiken am Arbeitsplatz geworden, die ihren Charakter als ein einen Versicherungsfall ausschließendes Merkmal verloren haben. Damit zeigen sich häusliche Gefahren im Grundsatz (gegebenenfalls abgesehen von „Extremfällen“) als „normale“ Gefahren am Arbeitsplatz, bei denen sich jetzt entsprechend der Gleichstellungsklausel des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII der Blick auf die Unternehmensstätte richtet: Wenn sich die gleiche Gefahr auf der Unternehmensstätte zeigt und dort unter Unfallversicherungsschutz steht, dann ist das auch im Homeoffice so. Auf unseren Fall bezogen: Natürlich besteht auf der Unternehmensstätte Unfallversicherungsschutz, wenn ein Beschäftigter im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit versucht, die Raumtemperatur zu regeln, und dabei die dortige Heizungsanlage explodiert.

Aktuell diskutiert innerhalb der DGUV der Ausschuss „Rechtsfragen“ der Geschäftsführerkonferenz die Auswirkungen der Gleichstellungsklausel, um eine einheitliche Position zu formulieren. Das ist sehr wichtig, weil die hier problematisierte Ausweitung von Unfallversicherungsschutz bei Homeoffice auf häusliche Gefahren vor dem Hintergrund tradierter Denkmuster gegebenenfalls schwer akzeptabel sein mag, ja einen Tabubruch darstellen könnte. Wir müssen allerdings eins beachten: Gestern ist nicht heute.