Ein stimmiges Gesamtgefüge: das Regelwerk des Staates, der Unfallversicherungsträger sowie Normung

Ein praktikables Vorschriften- und Regelwerk im dualen Arbeitsschutzsystem setzt gute Abstimmung voraus. Vorschriften und Regeln des Staates und der Unfallversicherungsträger stehen nicht zusammenhanglos nebeneinander, sondern ergänzen sich und verweisen aufeinander. Wie die Abstimmung – auch mit der Normung – gelingt, zeigen konkrete Praxisbeispiele.

Das Kooperationsmodell wurde im Jahr 2001[1] als Beschluss des Ausschusses für Gefahrstoffe (AGS) und des Ausschusses für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) veröffentlicht und legt fest, wie bei einer vorgesehenen staatlichen Regelung zu verfahren ist, wenn bereits eine vorhandene Schrift im Regelwerk der gesetzlichen Unfallversicherungsträger vorliegt.

Kooperationsmodell vermeidet Doppelregelungen

Das Kooperationsmodell wurde in den „Leitlinien zur künftigen Gestaltung des Vorschriften- und Regelwerks im Arbeitsschutz“ vom April 2003 übernommen und damit für alle Technischen Ausschüsse des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) bindend.[2] Das Modell wurde in einigen Detailfragen im „Leitlinienpapier zur Neuordnung des Vorschriften- und Regelwerks im Arbeitsschutz“ vom August 2011 fortgeschrieben.

Nach dem Kooperationsmodell entwickelt im Wesentlichen das zuständige Präventionsfachgremium der Unfallversicherungsträger auf Basis der bisherigen Schrift der Unfallversicherungsträger die neue Technische Regel. Übernimmt der staatliche Ausschuss eine Schrift der Unfallversicherungsträger ganz oder teilweise in sein Regelwerk, so werden in diesem Fall die Urheberschaft der den Arbeiten zugrunde liegenden Schrift der Unfallversicherungsträger und die inhaltliche Mitgestaltung durch das jeweilige Präventionsfachgremium der Unfallversicherungsträger (in der Regel ein DGUV-Fachbereich) in der Präambel der staatlichen Regel hervorgehoben. Die Schrift der Unfallversicherungsträger wird dann zur Vermeidung von Doppelregelungen hinsichtlich der übernommenen Teile zurückgezogen.

Kooperationsmodell in staatlichen Ausschüssen

Im Gefahr- und Biostoffbereich wird das Kooperationsmodell bereits seit längerer Zeit erfolgreich angewendet. Beispiele hierfür sind Technische Regeln zu den Themen „Laboratorien“[3] und „Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege“[4]:

Im Hinblick auf das Kooperationsmodell gilt die Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 526 „Laboratorien“ als erstes Umsetzungsbeispiel im Gefahrstoffbereich. Die „Richtlinien für Laboratorien“[5] des Fachausschusses „Chemie“ waren seit Jahrzehnten das bewährte Standardregelwerk für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Laboratorien. Im Rahmen des Kooperationsmodells übernahm der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) im Jahr 2001 den Bestimmungstext der „Richtlinien für Laboratorien“ als TRGS 526 „Laboratorien“ in das staatliche Regelwerk zu Gefahrstoffen. Die Sacharbeit hierzu wurde vom damaligen Arbeitskreis „Laboratorien“ im Fachausschuss „Chemie“ (jetzt Sachgebiet „Laboratorien“ im Fachbereich „Rohstoffe und chemische Industrie“) geleistet. Die TRGS 526 findet Anwendung auf Laboratorien, in denen nach chemischen, physikalischen oder physikalisch-chemischen Methoden präparativ, analytisch oder anwendungstechnisch mit Gefahrstoffen gearbeitet wird.[6] Die TRGS 526 wird inhaltlich insbesondere durch die DGUV Information 213-850 „Sicheres Arbeiten in Laboratorien – Grundlagen und Handlungshilfen“, DGUV Information 213-853 „Nanomaterialien im Labor – Hilfestellungen für den Umgang“, DGUV Information 213-855 „Gefährdungsbeurteilung im Labor“ und DGUV Information 213-857 „Laborabzüge – Bauarten und sicherer Betrieb“ ergänzt.[7]

Die Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 250 „Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege“ wurde im Kooperationsmodell in Zusammenarbeit zwischen dem Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) und dem damaligen Fachausschuss „Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege" (jetzt Fachbereich „Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege“) im Jahr 2003 veröffentlicht und dann wortgleich auch als BGR/GUV-R 250 übernommen. Die BGR/GUV-R 250 wurde im Jahr 2010 zurückgezogen. Die TRBA 250 findet Anwendung auf Tätigkeiten mit Biostoffen in Bereichen des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege, in denen Menschen medizinisch untersucht, behandelt oder gepflegt werden, also insbesondere Krankenhäuser/Kliniken, Arzt- und Zahnarztpraxen, Rettungsdienste, Krankentransport und sanitätsdienstliche Versorgung. Die TRBA 250 wird von zahlreichen DGUV-Schriften ergänzt, zum Beispiel von der DGUV Information 203-021 „Zahntechnische Laboratorien – Schutz vor Infektionsgefahren“ und der DGUV Information 203-084 „Umgang mit Wäsche aus Bereichen mit erhöhter Infektionsgefährdung.[8]

 

Abstimmung jenseits des Kooperationsmodells

Ein Beispiel guter Abstimmung auch ohne Anwendung des Kooperationsmodells stellt die DGUV Regel 110-010 „Verwendung von Flüssiggas“ dar. Eine Regelung auf staatlicher Seite als Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS) beziehungsweise TRGS für die Verwendung von Flüssiggas wurde seitens der staatlichen Ausschüsse sowie des BMAS für nicht erforderlich erachtet, sodass diese die Erstellung einer DGUV Regel befürworteten. Die DGUV Regel 110-010 „Verwendung von Flüssiggas“ wurde vom Fachbereich „Nahrungsmittel und Gastgewerbe" mit seinem Sachgebiet „Flüssiggas" erarbeitet und im Fachbereich beschlossen. Die Inhalte der DGUV Regel 110-010 sind darauf ausgerichtet, die Regelungen der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) mit bespielhaften Lösungen für die Mitgliedsbetriebe zu unterstützen. Für die betroffenen Mitgliedsbetriebe werden keine neuen Anforderungen hinsichtlich Montage und Benutzung von Flüssiggasanlagen formuliert. Bereits bestehende Anforderungen staatlicher Vorschriften sind unter besonderer Beachtung der Betriebssicherheitsverordnung und der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) berücksichtigt.

Die branchenübergreifende DGUV Regel 110-010 ermöglicht es nach Veröffentlichung und in Verbindung mit der TRBS 1201 „Prüfungen und Kontrollen von Arbeitsmitteln und überwachungsbedürftigen Anlagen“ sowie der TRBS 1203 „Zur Prüfung befähigte Personen“ die beiden DGUV Vorschriften 79 und 80 „Verwendung von Flüssiggas" zurückzuziehen.

Rolle der gesetzlichen Unfallversicherung in staatlichen Ausschüssen

§§ 18 Abs. 2 Nr. 5, 24a Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ermächtigen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zur Einrichtung sogenannter „staatlicher Ausschüsse“. Deren Aufgabe ist es, das BMAS in allen Belangen des Arbeitsschutzes zu beraten. Solche beim BMAS angesiedelten Ausschüsse sind beispielsweise der Ausschuss für Betriebssicherheit (ABS) und der Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (ASGA). Neben der Beratung des BMAS stellt die Erarbeitung von Technischen Regeln eine weitere wesentliche Aufgabe der Ausschüsse dar. Technische Regeln sind Empfehlungen zur Umsetzung der rechtlich verbindlichen Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes und seiner Verordnungen. Gemeinsam mit Vertretungen der Sozialpartner, der Länder, der Wissenschaft und Sachverständigen arbeiten Fachleute der gesetzlichen Unfallversicherung in den Ausschüssen aktiv an der Beratung und Ausgestaltung des technischen Regelwerkes mit. Hierbei bringen sie ihre Expertise und praktischen Erfahrungswerte aus dem betrieblichen Alltag der Unternehmen ihrer Branche in die Konzipierung der Regeln mit ein.

DGUV Branchenregeln nach Kombinationsmodell

Gemäß „Leitlinienpapier zur Neuordnung des Vorschriften- und Regelwerks im Arbeitsschutz“ wird das Verhältnis von staatlichen Regeln und den Regeln der Unfallversicherungsträger nicht nur mithilfe des Kooperationsmodells, sondern auch über das Kombinationsmodell geregelt.

Das Kombinationsmodell ist das Mittel der Wahl, um Unternehmerinnen und Unternehmern  einen kompakten, systematischen Überblick über das für sie geltende Vorschriften- und Regelwerk zu geben. Um das zu erreichen, verfassen die Unfallversicherungsträger Branchenregeln, die als Gesamtkompendium für einzelne Branchen angelegt sind.

In Branchenregeln wird die Vielzahl der existierenden gefährdungsbezogen ausgestalteten Vorschriften und Regeln des Staates und der Unfallversicherungsträger für bestimmte Sparten von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen zusammengetragen und als gefährdungsübergreifendes Gesamtkompendium gestaltet. Insofern stellen Branchenregeln keine Doppelregelungen dar, es handelt sich vielmehr um ein gefährdungsübergreifendes und branchenspezifisches Querschnittsinstrument. In Branchenregeln werden darüber hinaus weitere Informationen integriert, beispielsweise Hinweise auf andere relevante Schriften der Unfallversicherungsträger sowie relevante Normen. Ein wesentlicher Bestandteil von Branchenregeln besteht darin, dass die Unfallversicherungsträger zudem praxisnahe Erkenntnisse aus ihrem Erfahrungswissen darstellen. Branchenregeln haben nicht zuletzt einen weiteren Vorteil: Die Kombination von Vorschriften und Regeln zu einem übersichtlichen Gesamtkompendium bewirkt eine Reduzierung der Schriften insgesamt und trägt somit zu einem schlanken Vorschriften- und Regelwerk bei.

Die Branchenregeln „Ausbau“ und „Backbetriebe“

In der Branchenregel „Ausbau“ erhalten Unternehmerinnen und Unternehmer einen Überblick über Gefährdungen und Maßnahmen in wesentlichen Gewerken der Branche, beispielsweise bei Boden- und Parkettarbeiten, Glas- und Fensterbauarbeiten, Installateur- und Heizungsbauarbeiten oder Maler- und Lackierarbeiten. Darüber hinaus werden übergreifende Themen, wie die Verwendung von in der Branche häufig genutzten Arbeitsmitteln, behandelt. Mit kurzen, gut verständlichen Texten und anschaulichen Bildern sollen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen angesprochen werden, die ein umfassendes und gleichzeitig übersichtliches Werk als Grundlage für ihre Arbeitsschutzaktivitäten benötigen.

Die Autorin dieses Beitrags hat Anwender nach ihren Erfahrungen mit der Branchenregel befragt. André Büschkes, Geschäftsführer eines Dachdeckerbetriebes in Euskirchen sieht einen besonderen Mehrwert der „Branchenregel Ausbau“ unter anderem in der Abstimmung mit anderen Gewerken: „Bei den Schnittstellen zwischen den Gewerken unterstützt die Branchenregel, um miteinander über Sicherheit bei der Arbeit zu sprechen.“ Die Branchenregel bietet aus seiner Sicht auch eine Orientierung für junge Ingenieure und Planer. Vielleicht könne die Branchenregel sogar als Argument dafür dienen, dass sich private Bauherren für seinen Betrieb entscheiden: „Die Regel gibt auch Laien einen Überblick zum Arbeitsschutz. Unserem Betrieb sind Sicherheit und Gesundheit besonders wichtig – Kunden wissen das zu schätzen.“

Branchenregeln werden in der Praxis auch zur Unterstützung bei der Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen genutzt. Den praktischen Nutzen der Branchenregel „Backbetriebe“ bestätigt ein weiterer Interviewpartner: Rainer Könsgen betreibt eine Bäckerei in Sankt Augustin: „Hier kann ich mich gut an den einzelnen Kapiteln der Branchenregeln entlang orientieren“, sagt Könsgen und lobt insbesondere die Systematik, nach der Branchenregeln aufgebaut sind. Denn die Branchenregel Backbetriebe enthält die relevanten Darstellungen zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in Bäckereien, Konditoreien sowie sonstigen betroffenen Betrieben. Hierbei handelt es sich insbesondere um Regelungen zur Errichtung und Betrieb von Arbeitsstätten sowie zur Bereitstellung und zum Betrieb von Arbeitsmitteln – und zwar von der Warenannahme, Lagerung und vorbereitenden Tätigkeiten über den Verkauf bis hin zur Reinigung, Entsorgung und Schädlingsbekämpfung sowie Themen zur Instandhaltung und Prüfung. Zudem werden insbesondere die Bereiche Herstellung und Aufarbeiten von Teigen und Massen, Teigverarbeitung Brot sowie Kleingebäck und Feingebäck, Belaugung, Gären, Kühlen, Backen, Backwarenbearbeitung und Gebäckveredelung dargestellt. Die Branchenregel „Backbetriebe“ entstand auf Grundlage der DGUV Regel „Arbeiten in Backbetrieben“, die mit dem Erscheinen der Branchenregel zurückgezogen wurde. Bäckermeister Könsgen holt einen dicken Aktenordner aus dem Regal, in dem er die für seinen Betrieb geltenden Vorschriften, Regeln und sonstigen Veröffentlichungen gesammelt hat, legt die Branchenregel daneben und fasst zusammen: „Die Beispiele, Bilder und Erläuterungen in der Branchenregel bieten einen guten und ansprechenden Gesamtüberblick über Sicherheit und Gesundheit in Backbetrieben.“

Praxisnaher Überblick für 60 Branchen

Seit der Veröffentlichung der ersten Branchenregel „Gewinnung und Aufbereitung von mineralischen Rohstoffen“ im Jahr 2016 hat die gesetzliche Unfallversicherung 35 Branchenregeln veröffentlicht. Darunter sind die Branchenregeln „Abfallwirtschaft“, „Hochschulen“, „Gebäudereinigung“, „Schiffbau“ oder „Küchenbetriebe“ – und das nicht nur in deutscher, sondern manchmal auch in englischer Sprache wie im Fall der Branchenregel „Bürobetriebe/Office businesses sector“ oder „Wärmebehandlung von Metallen/Metals heat treatment sector“. Momentan erarbeiten die Fachleute der Unfallversicherungsträger 25 weitere Branchenregeln, zum Beispiel für die Branchen Bergbau, Fleischwirtschaft, Telekommunikation oder Kunststoffindustrie. In den nächsten Jahren werden kontinuierlich weitere Branchenregeln hinzukommen.

Allein auf der Publikationsseite der DGUV im Internet wurden einzelne Branchenregeln wie „Kindertageseinrichtungen“ oder „Schule“ seit ihrer Veröffentlichung im Sommer 2019 jeweils knapp 90.000-mal heruntergeladen. Insgesamt ist bei der DGUV eine hohe Nachfrage bei Branchenregeln in Form von Downloads (mehr als 700.000) und Bestellungen von Printausgaben (rund 95.000 seit September 2019) zu verzeichnen. Ein weiterer Verbreitungsweg besteht insbesondere über die Internetseiten der Unfallversicherungsträger oder im direkten Kontakt der Unfallversicherungsträger mit den Unternehmen und Einrichtungen.

Die Rolle von Normen in einem kohärenten Regelwerk

Nach dem Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz hat das Regelwerk des Staates und der gesetzlichen Unfallversicherung Vorrang vor Normen. Normen sind auf die Regelwerke so abzustimmen, dass sie diese widerspruchsfrei und anwendungsfreundlich ergänzen.

Um dies zu erreichen, kommen die in Deutschland für den Arbeitsschutz relevanten Institutionen in der Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) zusammen. Sie bringt die gemeinsamen Interessen des Arbeitsschutzes gegenüber der Normung zur Geltung. Weitere Informationen zu Normungsfragen und zur KAN enthält der Artikel „Beitrag und Grenzen von Normung im betrieblichen Arbeitsschutz“.

Beispiele für Themen der KAN sind Leitern für den besonderen beruflichen Gebrauch, Therapieliegen, Infektionsschutzmasken oder nicht-visuelle Wirkungen von Licht.

Abstürze von Leitern sind häufige Arbeitsunfälle auf dem Bau und bei der Gebäude- und Glasreinigung. Die TRBS 2121 Teil 2 fordert daher, Leitern nur unter bestimmten Bedingungen als Verkehrsweg oder Arbeitsplatz zu nutzen. In Abstimmung mit dem staatlichen Ausschuss für Betriebssicherheit und unterstützt durch Fachleute der Unfallversicherungsträger setzt sich die KAN dafür ein, dass die Festlegungen der Normenreihe DIN 4567 „Leitern für den besonderen beruflichen Gebrauch“ kohärent mit den Regeln dieser TRBS sind. Ihre Anforderungen an die Beschaffenheit von Leitern und an die Gebrauchsanleitung müssen es bei der Verwendung der Leitern erleichtern, die Anwendungsregeln der TRBS möglichst problemlos umzusetzen. Das gilt besonders für die Festlegungen zur Verwendung von Stufen (anstelle von unsicheren Sprossen), zur maximalen Arbeits-(Stand)höhe oder maximalen Länge.

In der Vergangenheit kam es durch die elektrische Höhenverstellung von Therapieliegen zu Quetschungen, Frakturen und bei zwei Beschäftigten sogar zum Tod. Die KAN brachte daher Unfallversicherungsträger und das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA), das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Länder, Hersteller, Betreiber, Sozialpartner und Normung in zwei Fachgesprächen zusammen. Als ein Ergebnis wurden verschiedene Informationen veröffentlicht oder vorbereitet. Dazu gehören eine Mustergefährdungsbeurteilung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), eine Mustererklärung für neue Liegen und Nachrüstungen (BGW), eine Praxishilfe, um mögliche technische Lösungen zu bewerten (IFA) und eine FAQ-Liste, die die wichtigsten Fragen aus Sicht von Herstellern und Betreibern beantwortet. Als weiteres Ergebnis der Fachgespräche hat die KAN die Erarbeitung einer DIN/VDE-Vornorm zu elektrisch betriebenen Therapieliegen angestoßen. Sie hat die Arbeiten zusammen mit der BGW und dem IFA eng begleitet und die Inhalte mit den übrigen Arbeitsschutzkreisen abgestimmt. Das nächste Ziel ist eine europäisch harmonisierte Norm unter der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte und der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG.

Auf europäischer Ebene wird eine Norm für Masken zum Schutz vor luftübertragbaren Infektionen erarbeitet. Die neue Norm soll Anforderungen an den Eigen- und Fremdschutz mit den erforderlichen Prüfverfahren enthalten und die Anforderungen der Medizinprodukteverordnung und der PSA-Benutzungsverordnung (PSA-BV) erfüllen. Die KAN-Geschäftsstelle hat die Diskussionen zwischen den Arbeitsschutzkreisen zum Normungsvorhaben moderiert und eine KAN-Position zu den Inhalten des Normprojekts abgestimmt. Nicht zuletzt soll die Norm sich in das untergesetzliche Regelwerk zur Pandemiebekämpfung einfügen.

Die erst seit gut 20 Jahren bekannten nichtvisuellen Wirkungen von Licht können akut oder langfristig über den Wach-Schlaf-Rhythmus die Aufmerksamkeit und Wachheit beeinflussen, was wiederum Folgen für das Unfallgeschehen haben kann. Dies trifft vor allem auf die Beleuchtung von Arbeitsplätzen für die Schichtarbeit zu. Bereits 2013 wurde der DIN SPEC (Fachbericht) „Biologisch wirksame Beleuchtung – Planungsempfehlungen“ mit Anforderungen an die Beleuchtung von Arbeitsstätten veröffentlicht. Die gezielte Planung nichtvisuell wirksamer Beleuchtungskonzepte fällt allerdings unter den betrieblichen Arbeitsschutz. Dabei wird die Beleuchtung am Arbeitsplatz bereits durch die Technische Regel für Arbeitsstätten (ASR) A 3.4 geregelt. Auch waren die wissenschaftlichen Grundlagen für detaillierte Planungsempfehlungen noch unzureichend. 2015 hat die KAN dazu ein Positionspapier veröffentlicht und dieses seitdem immer wieder an aktuelle Entwicklungen angepasst. Sie organisierte zudem zwei Workshops, um mit Wissenschaft, Industrieverbänden und Sozialpartnern eine gemeinsame Strategie zum Umgang mit nichtvisuellen Wirkungen von Licht zu ermitteln. Nicht zuletzt führten die Initiativen der KAN dazu, dass der damalige Fachbericht nun als DIN/TS 67600 „Ergänzende Kriterien für die Lichtplanung und Lichtanwendung im Hinblick auf nichtvisuelle Wirkungen von Licht“ ohne detaillierte Planungsempfehlungen, sondern als Beschreibung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen neu herausgegeben wurde und daher aus Sicht des Arbeitsschutzes als Informationsquelle genutzt werden kann.

Fazit: Abgestimmtes System dank Leitlinien und Grundsätzen

Die Verpflichtung von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern liegt in einem verständlichen, überschaubaren und abgestimmten Vorschriften- und Regelwerk als Bestandteil der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA). Das 2011 verabschiedete „Leitlinienpapier zur Neuordnung des Vorschriften- und Regelwerks“ ist die Grundlage für dieses abgestimmte Miteinander der Vorschriften- und Regelwerke im dualen Arbeitsschutz. Da es nicht auf Normung eingeht, wird die Rolle der Normen im betrieblichen Arbeitsschutz im gleichnamigen Grundsatzpapier aus dem Jahr 2014 (überarbeitet 2021) geregelt.

Dass die praktische Umsetzung des Leitlinienpapiers widerspruchsfrei und anwendungsfreundlich funktioniert, zeigen die Beispiele zur Umsetzung des Kooperationsmodells, die gute Abstimmung auch jenseits des Kooperationsmodells sowie die Beispiele zum Kombinationsmodell. Außerdem machen die Beispiele für Arbeitsschutzthemen in der Normung deutlich, dass Normung die Vorschriften- und Regelwerke unter bestimmten Voraussetzungen unterstützt.

Das Erfolgsrezept des bestehenden stimmigen Gesamtgefüges aus den Vorschriften- und Regelwerken des Staates, der Unfallversicherungsträger sowie der Normung liegt in der guten Abstimmung der Arbeitsschutzakteure untereinander und in der konsequenten Umsetzung der Leitlinien und Grundsätze.