Sicherheit und Gesundheit für eine vielfältige Erwerbsbevölkerung
Der Ausdruck „Vielfalt in der Erwerbsbevölkerung“ bezieht sich auf die heterogene Zusammensetzung der Belegschaft in Bezug auf soziodemografische und physische Merkmale der Arbeitskräfte. Diese geht häufig mit schlechteren Arbeitsbedingungen und einer erhöhten Gefährdung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz einher.
Die Erwerbsbevölkerung in Europa wird immer vielfältiger: Der Zustrom von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen, die wachsende Zahl von Arbeitsmigrantinnen und -migranten der zweiten Generation, die höhere Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die Politik des aktiven Alterns, die die Zahl älterer Arbeitskräfte erhöht hat, die stärkere Beteiligung und Sichtbarkeit von LGBTI-Arbeitskräften (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle) sowie von Beschäftigten mit Behinderungen – all dies sind Phänomene, die zur Vielfalt der europäischen Erwerbsbevölkerung beigetragen haben.
Auf EU-Ebene wurden im Laufe der Zeit Rechtsvorschriften erlassen, die die Gleichstellung und Nichtdiskriminierung von Arbeitskräften beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Gesundheitsdienstleistungen durchsetzen, gleiche Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen gewährleisten sowie gleichwertigen Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz garantieren sollen.
Trotz dieser gesetzlichen Bestimmungen zeigt sich, dass die Barrierefreiheit, die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit sowie die Gesundheit bei der Arbeit einiger Gruppen von Arbeitskräften im Vergleich zum Durchschnitt der gesamten Erwerbsbevölkerung schlechter sind. Diese Segregation kommt bei diesen Gruppen offenbar häufiger vor.
Mit dem Ziel, das Wissen über die Risiken zu erweitern, denen diese Gruppen im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit ausgesetzt sind, hat die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) Untersuchungen durchgeführt, die sich auf drei spezifische Gruppen von Arbeitskräften (Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie LGBTI-Personen), ihre Exposition gegenüber diesen Risiken sowie deren Prävalenz von Gesundheitsproblemen konzentrieren. Die Untersuchung umfasste Literaturrecherchen, die Analyse vorhandener Daten, Fokusgruppen mit Arbeitskräften aus den drei untersuchten Gruppen, mehrere Interviews mit Arbeitskräften und verschiedenen Interessenvertretungen sowie die Identifizierung und Analyse von Praktiken und Initiativen zur Vermeidung von Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten sind in dem EU-OSHA-Bericht „Prävention von Muskel- und Skeletterkrankungen in einer vielfältigen Erwerbsbevölkerung: Risikofaktoren für Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie LGBTI-Personen“ enthalten und werden im Folgenden kurz zusammengefasst.[1]
Mehr Gesundheitsprobleme bei den untersuchten Gruppen
Die vorliegenden Erkenntnisse und Ergebnisse der EU-OSHA-Studie zeigen, dass Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie LGBTI-Arbeitskräfte häufiger über arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme klagen.
Frauen machen etwas mehr als die Hälfte der EU-Bevölkerung aus, sind aber unter den Erwerbstätigen weniger präsent. Die Daten der Eurostat-Arbeitskräfteerhebung zeigen, dass im Jahr 2020 nur 66,2 Prozent der europäischen Frauen im Alter von 20 bis 64 Jahren erwerbstätig waren, verglichen mit 77,2 Prozent der Männer. Trotz dieser geringeren Erwerbsbeteiligung haben Frauen häufiger als Männer arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Frauen im Allgemeinen einen schlechteren Gesundheitszustand haben als Männer. Die Daten der sechsten Befragungswelle der Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen (EWCS)[2] haben gezeigt, dass im Jahr 2015 rund 60 Prozent der Arbeitnehmerinnen der EU über eine oder mehrere Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) berichteten (im Vergleich zu 56 Prozent der Männer). Die am häufigsten genannten Beschwerden sind Rückenschmerzen (45 Prozent), gefolgt von Muskelschmerzen in den Schultern, im Nacken und/oder in den oberen Gliedmaßen (44 Prozent) und Muskelschmerzen in den unteren Gliedmaßen (30 Prozent). Die Prävalenz von Beschwerden im Zusammenhang mit MSE ist bei Frauen höher als bei Männern. Das gilt für alle Arten von Erkrankungen.
Wanderarbeitskräfte weisen einen schlechteren Gesundheitszustand auf, einschließlich Infektions- und Stoffwechselkrankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychischer Probleme, sowie über mehr Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Verletzungen. Eine Reihe von Studien zeigt auch eine höhere Prävalenz von MSE bei Wanderarbeitskräften. Die EWCS-Daten legen dar, dass Wanderarbeitskräfte (insbesondere Arbeitskräfte der ersten Generation) bei allen drei berücksichtigten Arten von Erkrankungen (Rückenschmerzen, Muskelschmerzen in den Schultern, im Nacken und/oder in den oberen Gliedmaßen und Muskelschmerzen in den unteren Gliedmaßen) häufiger über MSE berichten als einheimische Arbeitskräfte. Obwohl es sich bei vielen Wanderarbeitskräften der ersten Generation um junge Menschen mit einem relativ guten Gesundheitszustand handelt und sie daher eine geringere Prävalenz von MSE aufweisen, ändert sich dies im Laufe der Jahre rapide, da sie weiterhin beruflichen Risiken ausgesetzt sind – insbesondere körperlichen Risiken.
Wanderarbeitskräfte berichten auch häufiger über psychische Erkrankungen. Die vorhandenen Erkenntnisse über die psychische Gesundheit von Wanderarbeitskräften zeigen, dass diese häufiger über depressive Syndrome (Konzentrationsschwäche bei der Arbeit, Niedergeschlagenheit oder Wut und Somatisierung), Angstzustände, Alkohol- oder Drogenmissbrauch und schlechte Schlafqualität haben, was wiederum zu schlechten Lebensbedingungen führt. Diese Ergebnisse werden durch Daten aus der sechsten Befragungswelle der EWCS im Jahr 2015 ergänzt: Etwa 30 Prozent der Wanderarbeitskräfte der ersten und zweiten Generation erleben am Arbeitsplatz immer oder meistens Stress.
LGBTI-Arbeitskräfte sind laut den vorhandenen Erkenntnissen und Feldforschungsergebnissen einem höheren Risiko ausgesetzt, unter einer schlechten psychischen Gesundheit zu leiden, als die Allgemeinbevölkerung, einschließlich einer höheren Prävalenz von Depressionen, Selbstmordgedanken, Angstzuständen und Selbstverletzungen. LGBTI-Arbeitskräfte berichten häufiger über eine schlechtere körperliche Gesundheit als die Allgemeinbevölkerung. Sie leiden häufiger an langfristigen Gesundheitsproblemen wie MSE, Arthritis, Wirbelsäulenproblemen und chronischem Müdigkeitssyndrom, die ihre täglichen Aktivitäten einschränken. Nach Angaben der Agentur für Grundrechte[3] klagen bis zu vier Prozent der LGBTI-Arbeitskräfte über einen schlechten oder sehr schlechten Gesundheitszustand. Die Quote ist bei intersexuellen und transsexuellen Befragten höher (zehn Prozent in jeder der beiden Gruppen) als bei Lesben (vier Prozent) oder Schwulen und bisexuellen Männern (jeweils drei Prozent). Außerdem gaben bis zu 34 Prozent der Befragten an, dass sie an einer langjährigen Krankheit oder einem langjährigen Gesundheitsproblem leiden. Auch hier variierten die Prozentsätze zwischen den verschiedenen Gruppen, und wieder waren die beiden Gruppen, die am häufigsten über lang anhaltende Gesundheitsprobleme oder Krankheiten berichteten, intersexuelle und transsexuelle Befragte (45 Prozent beziehungsweise 46 Prozent), wobei die Raten deutlich höher waren als bei anderen Gruppen wie bisexuellen Männern (29 Prozent) oder Schwulen und Lesben (in beiden Fällen 31 Prozent).
Arbeitskräfte, die zu den drei untersuchten Gruppen gehören, sind demnach häufiger erhöhten Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit ausgesetzt.
Arbeitsbedingte Gesundheitsrisiken für Arbeitnehmerinnen
Arbeitnehmerinnen sind besonders vielen arbeitsbedingten körperlichen Risikofaktoren ausgesetzt. Arbeitsschritte, die eindeutig mit dem Risiko der Entwicklung von MSE verbunden sind, wie zum Beispiel dem Heben von Menschen, repetitiven Bewegungen und ungünstigen Körperhaltungen, finden sich oft in Branchen und Berufen, in denen Frauen besonders häufig vertreten sind. Dazu gehören Branchen wie Bildungswesen, Sozialarbeit, Handel und Gewerbe, Gastgewerbe und Gastronomie, Haushalts- und Reinigungsdienste, Einrichtungen, Friseurgewerbe und öffentlicher Sektor sowie Berufe wie Pflegekraft, Reinigungskraft und Hausangestellte, Büroangestellte und Schreibkraft, Fachkraft im Gesundheitswesen und Lehrkraft.
Die jüngsten öffentlich zugänglichen EWCS-Daten für 2015 zeigen, dass ein umfangreicher Anteil der weiblichen Arbeitskräfte angab, bei ihrer Berufsausübung mindestens ein Viertel ihrer Arbeitszeit mit langem Sitzen (62 Prozent), Computernutzung (62 Prozent) und repetitiven Hand- oder Armbewegungen (61 Prozent) zu verbringen. Darüber hinaus geben etwa 42 Prozent der Frauen an, mindestens ein Viertel ihrer Arbeitszeit in ermüdenden oder schmerzhaften Positionen zu arbeiten, obwohl dieser körperliche Risikofaktor offenbar einen etwas höheren Anteil von Männern betrifft. Zudem üben etwa 15 Prozent der Frauen eine Tätigkeit aus, bei der sie Personen heben oder bewegen müssen (im Vergleich zu fünf Prozent bei Männern).
Neben den körperlichen Risikofaktoren sind weibliche Arbeitskräfte insbesondere organisatorischen und psychosozialen Risikofaktoren ausgesetzt, die zu einem höheren Risiko für Beschwerden in Zusammenhang mit MSE führen können. Im Einklang mit den vorhandenen Erkenntnissen wurde im Rahmen der EU-OSHA-Studie festgestellt, dass Frauen einer Reihe von Risiken stärker ausgesetzt sind, darunter:
- Diskriminierung,
- Belästigung und unerwünschte sexuelle Zuwendung,
- Konflikte zwischen Beruf und Privatleben im Zusammenhang mit der „Doppelrolle“ von Frauen als Arbeitnehmerin und Hauptfürsorgerin in der Familie,
- arbeitsbedingte psychische Belastung und Stress,
- emotionale Anforderungen,
- unregelmäßige Beschäftigungsformen und fehlende Karrieremöglichkeiten,
- geschlechtsspezifische Lohnunterschiede,
- eine vorherrschende männliche Sichtweise auf Berufskrankheiten und Aspekte der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz.
Die Ergebnisse der Feldforschung in der erwähnten EU-OSHA-Studie zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitnehmerinnen über arbeitsbedingte Gesundheitsrisiken sprechen und dazu angehört werden, aus einer Reihe von Gründen geringer ist als bei Männern. Frauen sind häufiger in Branchen und Berufen beschäftigt, in denen Betriebsräte oder Gewerkschaften unzureichend vertreten oder nicht besonders stark sind, sodass sie nur ein begrenztes Mitspracherecht und daher nur wenige Möglichkeiten haben, arbeitsbezogene Risiken zu melden. Außerdem sind Frauen zurückhaltender als Männer, wenn es darum geht, ihre gesetzlichen oder tarifvertraglichen Rechte einzufordern, sowohl einzeln als auch im Kollektiv. Des Weiteren sind Frauen in den Lenkungsausschüssen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in den Unternehmen in der Regel weniger stark vertreten als Männer, was dazu führen kann, dass die verabschiedeten Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit weniger auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Unsere Fokusgruppe mit weiblichen Arbeitskräften in der Textilindustrie ist ein gutes Beispiel dafür. Einige Teilnehmende berichteten, dass ihr Arbeitgeber Arbeitsgeräte ohne vorherige Rücksprache mit den Arbeitskräften bestellt hatte und dadurch Geräte erwarb, die sie nicht brauchten und die nicht die von ihnen gewünschte Entlastung boten.
Risikofaktoren für die Gesundheit von Wanderarbeitskräften
Auch Wanderarbeitskräfte sind häufiger sowohl physischen als auch psychosozialen Risiken ausgesetzt. Nach den EWCS-Daten von 2015 verbringen 40 Prozent der Wanderarbeitskräfte der ersten Generation mindestens ein Viertel ihrer Zeit mit dem Tragen oder Bewegen schwerer Lasten (31 Prozent im Falle einheimischer Arbeitskräfte) und 51 Prozent verbringen mindestens ein Viertel ihrer Zeit in ermüdenden oder schmerzhaften Positionen (43 Prozent im Falle einheimischer Arbeitskräfte). Andere Studien (zum Beispiel Moyce und Schenker[4]; Sterud et al.[5]) zeigen, dass Wanderarbeitskräfte auch anderen Risiken wie Vibrationen, Umweltgefahren wie Giftstoffen, extremen Temperaturen, Pestiziden und Chemikalien sowie Arbeitsunfällen stärker ausgesetzt sind. Es zeigt sich, dass die höhere Prävalenz von MSE bei Wanderarbeitskräften mit physischen, organisatorischen und psychosozialen Risikofaktoren zusammenhängt. In verschiedenen Studien (siehe zum Beispiel Eurofound[6] und Hargreaves et al.[7]) wurde festgestellt, dass Migrantinnen und Migranten eine Reihe von körperlichen und psychiatrischen Komorbiditäten aufweisen, die mit Arbeitsunfällen und MSE in Verbindung gebracht werden. Es wird auch vermutet, dass MSE häufig mit anderen psychosozialen Faktoren wie Depressionen und Stress verbunden sind.
Wanderarbeitskräfte arbeiten eher in Berufen, die oft als schmutzig, gefährlich und anspruchsvoll eingestuft werden, weil sie mit schlechten Arbeitsbedingungen und erhöhten Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit verbunden sind. Sie sind häufig in der Landwirtschaft, in der verarbeitenden Industrie, im Bergbau und in der Energiewirtschaft, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Baugewerbe beschäftigt und werden häufiger für geringfügige oder ungelernte Tätigkeiten angestellt.
Im Rahmen der EU-OSHA-Studie wurde eine Reihe von organisatorischen und psychosozialen Risikofaktoren ermittelt, denen Wanderarbeitskräfte ausgesetzt sind. Dazu gehören
- Mobbing,
- Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz,
- das Gefühl der Isolation und mangelnder Unterstützung,
- lange Arbeitszeiten und Überstunden,
- unsoziale Arbeitszeiten,
- prekäre Arbeit und mangelnde Karrieremöglichkeiten,
- niedrige Löhne,
- eine begrenzte Beteiligung an Schulungen und Aktivitäten zum Thema Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit
- sowie eine geringere Verhandlungsmacht gegenüber den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen.
Arbeitsrisiken für die Gesundheit von LGBTI-Arbeitskräften
Die Feldforschung hat gezeigt, dass LGBTI-Arbeitskräfte organisatorischen und psychosozialen Risikofaktoren am Arbeitsplatz unverhältnismäßig stark ausgesetzt zu sein scheinen. LGBTI-Arbeitskräfte sind insbesondere der Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung ausgesetzt und haben daher größere Schwierigkeiten, einen Job zu bekommen. Sie haben außerdem ein höheres Risiko, wegen ihrer sexuellen Orientierung und/oder Genderidentität entlassen zu werden. Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko, von Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten belästigt, gemobbt und beschimpft zu werden, was LGBTI-Beschäftigte dazu bringen kann, sich zu isolieren. Ebenso besteht eine erhöhte Gefahr unerwünschter sexueller Aufmerksamkeit, subtiler zwischenmenschlicher Diskriminierung und verbaler Mikroaggressionen, wie zum Beispiel beleidigende Witze, Spott und negative Kommentare. LGBTI-Arbeitskräfte sind offenbar auch einer größeren Arbeitsplatzunsicherheit ausgesetzt, die mit der höheren Prävalenz von (unfreiwilligen) möglicherweise irregulären Vertragsformen zusammenhängt. Sie erhalten mit größerer Wahrscheinlichkeit niedrigere Gehälter und haben nur begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten und Karrierechancen.
Das Verschweigen der sexuellen Orientierung und der Genderidentität am Arbeitsplatz als Schutzstrategie ist ebenfalls häufig und wird mit erhöhtem Stress und Ängsten in Verbindung gebracht. In mehreren Studien wurde ein Zusammenhang zwischen Verheimlichungsstrategien, Diskriminierung und Stigmatisierung einerseits und negativen Auswirkungen in Form von schlechterer Gesundheit am Arbeitsplatz und schlechterer psychischer Gesundheit andererseits festgestellt, die zu einer geringeren Produktivität und Zufriedenheit am Arbeitsplatz und sogar zu Arbeitsunfähigkeit führen können. Auf diese Weise können diskriminierende Einstellungen, Vorurteile oder erniedrigendes Verhalten gegenüber LGBTI-Arbeitskräften nicht nur zu Stress und psychischen Gesundheitsproblemen führen, sondern auch zu einem erhöhten Auftreten von körperlichen Gesundheitsproblemen, einschließlich Beschwerden in Zusammenhang mit MSE wie Rückenschmerzen und Hexenschuss. Das berichteten Arbeitskräfte, die an Feldforschungsaktivitäten beteiligt waren.
LGBTI-Arbeitskräfte sind häufiger in Sektoren und Berufen beschäftigt, in denen sie erwarten, sich sicherer zu fühlen und weniger Intoleranz und Diskriminierung zu erfahren, entsprechend der sogenannten „vorurteilsbasierten Segregation“. Einige Studien (zum Beispiel Meyer[8]; Tilcsik et al.[9]) haben ergeben, dass die Notwendigkeit, ihre sexuelle Orientierung oder Genderidentität zu verbergen, ein wichtiger Faktor bei der Berufswahl von LGBTI-Arbeitskräften ist, da sie möglicherweise Berufe meiden, in denen das Verbergen schwierig ist und die Offenlegung ihrer Sexualität eine potenziell hohe Strafe nach sich ziehen würde. Der öffentliche Sektor gilt als einer der sichersten Sektoren – große und multinationale Unternehmen fördern zunehmend Vielfalt, Inklusion und Antidiskriminierungspraktiken und ziehen daher mit größerer Wahrscheinlichkeit LGBTI-Arbeitskräfte an.
Prävention von Risiken
Die Forschungsergebnisse zeigten eine erhöhte Exposition gegenüber psychosozialen und organisatorischen Risiken am Arbeitsplatz, schlechte Arbeitsbedingungen und gesundheitliche Probleme bei allen drei untersuchten Gruppen von Arbeitskräften.
Auf Grundlage dieser Forschungsergebnisse wurde im Rahmen der Studie eine Reihe von Beispielen für Initiativen und Praktiken ermittelt und für eine eingehende Analyse ausgewählt. Dabei handelte es sich um Beispiele, die auf Unternehmensebene zur Vermeidung von Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in einer vielfältigen Erwerbsbevölkerung durchgeführt wurden.
Die Gewährleistung eines sicheren und gesunden Arbeitsplatzes für alle Arbeitskräfte ist gemäß der Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit[10] gesetzlich verankert. Demnach sind Unternehmen verpflichtet, Risikobewertungen durchzuführen. Es wird ein besonderes Augenmerk auf den „Faktor ‚Mensch‘ bei der Arbeit“ gelegt und es muss eine Gefahrenevaluierung auch „hinsichtlich der besonders gefährdeten Arbeitnehmergruppen“[11] durchgeführt werden.
Die Berücksichtigung von Gender- und Diversitätsfragen bei der Risikobewertung[12] ist der Schlüssel zu gesunden und produktiven Arbeitsplätzen. Die Arbeit, ihre Organisation und die verwendete Ausrüstung müssen so gestaltet sein, dass sie den Merkmalen und Bedürfnissen der Arbeitskräfte bei der Arbeit entsprechen – und nicht andersherum.[13]
Beispiele für Initiativen und Unternehmenspraktiken zur Vermeidung von Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit bei LGBTI-Arbeitskräften sind REDI[14] (Red Empresarial por la Diversidad e Inclusión LGBTI), das Business-Netzwerk für Vielfalt und Inklusion von LGBTI-Personen in Spanien, und der Leitfaden zur Unterstützung von Transgender am Arbeitsplatz (Transgender Workplace Support Guide) in Schottland.
REDI ist ein gemeinnütziger Netzwerkverband, zu dessen Mitgliedern einige der größten spanischen Unternehmen und multinationalen Konzerne mit Sitz in Spanien gehören. REDI hat eine Reihe von Aktivitäten entwickelt, um ein inklusives und respektvolles Umfeld in Organisationen zu fördern und dabei zu helfen, soziokulturelle Vorurteile und diskriminierende Praktiken zu beseitigen, die die berufliche Entwicklung und Leistung von LGBTI-Arbeitskräften behindern, und ein sicheres Arbeitsumfeld mit geringeren psychosozialen Risiken zu schaffen.
Der Leitfaden zur Unterstützung von Transgender am Arbeitsplatz[15] wurde vom NHS Lothian Health Promotion Service und der Organisation LGBT Health and Wellbeing entwickelt und profitierte von den Beiträgen anderer regionaler Akteure, darunter Midlothian und East Lothian Councils, der Organisation Healthy Working Lives und dem Royal Edinburgh Hospital. Der Leitfaden enthält Informationen über Genderfragen und entsprechende Definitionen und nennt die wichtigsten Rechtsvorschriften und Beispiele für Maßnahmen, die für transsexuelle Angestellte und Personen im Management beziehungsweise Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen von transsexuellen Angestellten relevant sind, um ein für Transsexuelle inklusives und gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen.
Beispiele für Initiativen und Praktiken zur Vorbeugung von Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit bei Frauen sind das Toolkit für die Integration der Genderperspektive bei der Arbeit im Baskenland in Spanien und das Zentrum für arbeitende Frauen in Schweden.
Das Toolkit „Guidelines for the integration of the gender perspective in the prevention of occupational risks“[16] (Leitlinien für die Integration der Genderperspektive in die Prävention berufsbedingter Risiken) wurde 2017 von Osalan, dem baskischen Institut für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, und dem baskischen Fraueninstitut Emakunde mit dem Ziel entwickelt, alle Arbeitskräfte, Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sowie Fachleute von Präventionsdiensten für die geschlechtlichen (biologischen) und genderspezifischen (kulturellen) Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu sensibilisieren, damit diese bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Prävention berufsbedingter Risiken berücksichtigt werden können.
Die schwedische Initiative Zentrum für arbeitende Frauen[17] wurde 2011 von der Schwedischen Behörde für das Arbeitsumfeld (SWEA), einer öffentlichen Einrichtung der schwedischen Regierung, ins Leben gerufen. Offiziell endete die Initiative 2014 , aber eine große Anzahl der Aktivitäten wurde in die tägliche Arbeit der SWEA integriert. Die Initiative umfasste Untersuchungen zu Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit von Frauen, neue Wege zur Durchführung von Arbeitsinspektionen und eine Reihe von verschiedenen Instrumenten für Arbeitsplätze. Insbesondere wurden mehrere Instrumente entwickelt, die sowohl Arbeitsinspektorinnen und Arbeitsinspektoren als auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern dabei helfen sollen, die verschiedenen spezifischen arbeitsbezogenen Risiken, denen Frauen in ihrem Arbeitsleben ausgesetzt sind, besser zu erkennen und zu bewerten.
Das von der Gesundheitsbehörde in Brescia in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern in der italienischen Region Lombardei[18] entwickelte Toolkit ist ein gutes Beispiel für eine Initiative zur Vermeidung von Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit von Wanderarbeitskräften ist. Die Initiative „Valutazione dei rischi per la sicurezza e la salute con riferimento alla provenienza da altri paesi“ (Bewertung der Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz für Wanderarbeitskräfte) wurde 2009 ins Leben gerufen, um Unternehmen dabei zu unterstützen, Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit mit Wanderarbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern in ihren Risikobewertungsprozess einzubeziehen und spezifische Aktivitäten zu fördern. Im Rahmen der Initiative wurde das Toolkit entwickelt, um die persönlichen, sozialen und arbeitsbezogenen Risikofaktoren zu bewerten, die zu einer erhöhten Gefährdung von Migrantinnen und Migranten am Arbeitsplatz beitragen.