Wir sind viele – wir sind vielfältig

Vielfalt in der Arbeitswelt wird oft als Beschäftigung von unterschiedlichen Persönlichkeiten verstanden. Wichtiger für Vielfalt in der Arbeitswelt ist jedoch die zugrunde liegende Haltung: Es geht darum, Wertschätzung und Offenheit gegenüber unterschiedlichen Menschen mit ihren Stärken und Besonderheiten wirksam und nachhaltig im betrieblichen Alltag zu verankern.

Vielfalt in der Arbeitswelt – Diversity

Das Wort Vielfalt drückt es schon aus: Es geht um viel, vielfältig, divers. Jede Person hat vielfältige Eigenschaften und zeichnet sich in ihrer Individualität durch eine jeweils spezifische Kombination von Merkmalen aus.[1] Im Vergleich mit anderen Personen gibt es in den Merkmalen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Vielfalt umzusetzen und zu fördern bedeutet insbesondere, diese Unterschiede offen und wertschätzend zu betrachten. Das Bewusstsein für wirtschaftliche, kulturelle und soziale Vielfalt in der menschlichen Gesellschaft gewinnt im unternehmerischen Kontext zunehmend an Bedeutung – nicht zuletzt seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) am 18. August 2006 und der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) vom 26. März 2009.

Abbildung 1: Vielfalt in der Arbeitswelt - Diversity | © Michael Hüter/DGUV
Abbildung 1: Vielfalt in der Arbeitswelt - Diversity ©Michael Hüter/DGUV

Die digitale Transformation, der demografische Wandel, die Globalisierung, der Wertewandel sind aktuell wesentliche gesellschaftliche Entwicklungen. Das führt zu einer Vielfalt von (neuen) Aufgaben. Eine vielfältige Belegschaft mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen birgt das Potenzial, diese Aufgabenvielfalt zu bewältigen. Denn wo viele und vielfältige Personen beschäftigt sind, gibt es viele und vielfältige Ideen. Oftmals geht dies mit einer höheren Produktivität beziehungsweise nachhaltigen Wirtschaftlichkeit einher und stärkt die Personalbindung.[2]

Aufgrund der dargestellten Relevanz des Themas setzt sich das Sachgebiet Beschäftigungsfähigkeit des Fachbereichs Gesundheit im Betrieb der DGUV bereits seit vielen Jahren mit Vielfalt in der Arbeitswelt – Diversity – auseinander. Im Jahr 2016 führte es beispielsweise das „Fachgespräch Diversity“ durch. Im Jahr 2018 veröffentlichte das Sachgebiet im DGUV Forum den Beitrag „Die Vielfalt in der Arbeitswelt erkennen, einbinden und schätzen“.[3] Im Austausch der Unfallversicherungsträger untereinander wird dabei immer wieder deutlich, dass viele Aspekte von Vielfalt in ihrer täglichen Arbeit eine Rolle spielen. Dies berührt zum einen alle Leistungen in Prävention, Rehabilitation und Entschädigung. Zum anderen ist Vielfalt aber auch für die trägerinterne Personal- und Organisationsentwicklung beziehungsweise Unternehmenskultur von großer Bedeutung.

Die zunehmende Vielfalt der Gesellschaft spiegelt sich nicht nur bei unseren Versicherten wider, sondern ist auch Bestandteil unseres Selbstverständnisses. Als klares Bekenntnis, diesen Weg weiter zu beschreiten, sehen wir die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt.

Dr. Nikolaus Wrage, Geschäftsführer der Unfallkasse Brandenburg

Das Modell der Vielfalt

Abbildung 2: Modell der Vielfalt  | © Quelle: „4 Layers of Diversity“ frei nach Gardenswartz und Rowe, 2003; adaptiert nach Loden und Rosener, 1991
Abbildung 2: Modell der Vielfalt ©Quelle: „4 Layers of Diversity“ frei nach Gardenswartz und Rowe, 2003; adaptiert nach Loden und Rosener, 1991

Um einen Überblick über die verschiedenen Dimensionen und Merkmale von Vielfalt zu erhalten, hilft ein Blick auf das „Modell der Vielfalt“ (siehe Abbildung 2). Es stellt die Eigenschaften jeder Persönlichkeit in drei Dimensionen und 24 Merkmalen dar. auf die Merkmale beziehungsweise deren Veränderbarkeit zu.

Die innere Dimension umfasst die biologisch angeborenen und nicht oder nur schwer veränderbaren Merkmale: Geschlecht, sexuelle Orientierung, körperliche und geistige Fähigkeiten, ethnische Zugehörigkeit, vererbte äußere Merkmale, Alter und soziale Herkunft.

Die äußere Dimension wird insbesondere familiär oder durch die berufliche Sozialisation geprägt. Sie zeigt sich in Merkmalen wie Einkommen, angenommenen Gewohnheiten, Freizeitverhalten, der Lebensphasenorientierung und dem Familienstand.

Die organisatorische Dimension wird durch das Zusammenspiel von Betrieben und Bildungseinrichtungen mit deren Beschäftigten bestimmt, in der die berufliche Arbeit ausgeführt wird. Sie umfasst unter anderem die Merkmale Arbeitsinhalte und -felder, Abteilung, Einheit, Gruppe, die Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen, den Arbeitsort und Informationen darüber, wie stark der Einfluss von betrieblicher Interessenvertretung gelebt wird. Die Veränderbarkeit der Merkmale in dieser Dimension ist am größten.

Jedes Merkmal ist von Bedeutung. In der Summe ergibt sich ein ganzheitlicher Blick auf Persönlichkeiten und damit Vielfalt.

Vielfalt in der Arbeitswelt ist Arbeitsschutz

Jede und jeder Beschäftigte vereinigt alle Merkmale aus den unterschiedlichen Dimensionen des Modells der Vielfalt in sich. Allerdings sind diese unterschiedlich ausgeprägt. Einige Beispiele und daraus entstehende Bedarfe sind:

  • Ein älterer Arbeitnehmer hat eine sehr gute Ingenieursausbildung genossen, benötigt nun aber Fortbildungen in Bezug auf die im Betrieb eingesetzten neuen Maschinen und deren Sicherheitseinrichtungen.
  • Eine jüngere Arbeitnehmerin arbeitet verstärkt mobil, da sie zu Hause für ihre zu pflegenden Eltern erreichbar sein möchte. Dadurch ist ihre Verantwortung hinsichtlich ihrer eigenen Arbeitszeitgestaltung gestiegen. Sie benötigt ein Angebot zur Entwicklung der eigenen Sicherheits- und Gesundheitskompetenz, um den mobilen Arbeitsplatz im Homeoffice sicher und gesundheitsgerecht gestalten zu können.
  • Ein junger Familienvater wiederum hat seine Arbeitszeit reduziert, um ehrenamtlich den Jugendsportverein, in dem auch seine Kinder sind, leiten zu können.

Die Beispiele zeigen einerseits, wie eng die Merkmale einer Person miteinander in Beziehung stehen. Die Auseinandersetzung mit Vielfalt/Diversity deckt auf, mit welchen Vorurteilen und Stereotypen die Merkmale oft assoziiert werden. Vielfalt in der Arbeitswelt umzusetzen bedeutet, keines der vorgenannten Beispielszenarien als vorteil- oder nachteilhafter für den Betrieb anzusehen. Wichtig ist es, ein entsprechendes Bewusstsein, offene Führungsstile sowie Kompetenzen in Bezug auf Vielfalt (in der Arbeitswelt) zu entwickeln und zu fördern.

Die Beispiele verdeutlichen andererseits, dass jede im Modell aufgeführte Dimension, jedes Merkmal Zusammenhänge mit Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit aufweist. Entsprechend kann das Modell der Vielfalt von Unfallversicherungsträgern in mehrfacher Hinsicht verwendet werden:

  • Im Kontext von Versicherungsfällen kann es der Ermittlung von Ursachen und Fehlern dienen.
  • Bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Aufbau-/Ablauforganisation von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit kann es dazu beitragen, Mängel aufzudecken sowie Ansätze zur Problemlösung zu finden.
  • Durch die Betrachtung der Merkmale als Stellschrauben bei der Organisation von Sicherheit und Gesundheit kann das Modell einen Beitrag zur Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren leisten.
  • Weiterhin kann es Vorgehensweisen der Rehabilitation und Wiedereingliederung unterstützen.
  • Darüber hinaus kann das Modell bei der Begleitung betrieblicher Veränderungsprozesse unter Arbeitsschutzgesichtspunkten verwendet werden.

Die Anwendung des Modells kann zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit beitragen. Dies gilt sowohl extern in Mitgliedsbetrieben als auch für interne Prozesse bei Unfallversicherungsträgern. Die Beispiele in Tabelle 1 verdeutlichen das.

Tabelle 1: Praxisbeispiele für die Anwendung des Modells im Kontext von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit | © Eigene Darstellung / DGUV
Tabelle 1: Praxisbeispiele für die Anwendung des Modells im Kontext von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit ©Eigene Darstellung / DGUV

Fazit: Vielfalt oder Diversity beschreibt die unterschiedlichen Eigenschaften, Stärken und Schwächen von Menschen und damit auch von Beschäftigten. Werden diese im Arbeitskontext wahrgenommen, berücksichtigt und sogar positiv genutzt, kann darüber aktiv ein Arbeitsumfeld geschaffen werden, das die Gesundheit und Motivation von Beschäftigten gewährleistet und fördert. Dieser ganzheitliche Ansatz, bei dem jede Person in Summe all ihrer Eigenschaften und Fähigkeiten gesehen wird, gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund der ebenfalls vielfältigen Entwicklungen in der Arbeitswelt mehr und mehr an Bedeutung, auch für Themen der Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.

Vielfalt bedeutet nicht nur Unterschiede von Menschen und ihren Lebensentwürfen zu zeigen. Es geht auch darum, Gemeinsamkeiten zu entdecken und mehr Verständnis füreinander aufzubringen.

Sabine Kudzielka, Vorsitzende der Geschäftsführung der BG Verkehr

Die Charta der Vielfalt

Vielfalt in Organisationen greifbarer zu machen, ist auch Anliegen des Vereins Charta der Vielfalt e. V.[4] Er ist Träger der Initiative zur Förderung von Vielfalt in Unternehmen und Institutionen sowie Initiator der gleichnamigen Selbstverpflichtung. Seit 2006 wurde die Charta von knapp 4.500 Unternehmen und Institutionen in Deutschland unterzeichnet – darunter die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG, 2017), die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr, 2020), die DGUV (2021) sowie die Unfallkasse Brandenburg (UK BB, 2022). Sie alle drücken damit ihren Willen aus, sich gezielt für ein wertschätzendes und vorurteilsfreies Arbeitsumfeld einzusetzen.

Das Ziel, vielfältige Belegschaften einzusetzen, zu fördern und wertzuschätzen, zeugt von der Anerkennung der von Globalisierung und Demografie geprägten Gesellschaft und Arbeitswelt. Nicht minder signalisieren die unterzeichnenden Unternehmen, dass sie darin Chancen für kreative und innovative Lösungsansätze sehen, die wiederum einen wirtschaftlichen Nutzen haben können. Eine wertschätzende und aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Vielfalt kann dabei helfen,

  • Fachkräfte zu finden und zu binden,
  • neue Zielgruppen und Märkte zu erschließen,
  • innovativere Produkte zu entwickeln und
  • ein positives Ansehen innerhalb und außerhalb der Organisation zu erreichen.

Die Charta der Vielfalt ist unser Kompass. Er richtet uns darauf aus, als attraktive Arbeitgeberin Menschen für die VBG zu begeistern und langfristig von uns zu überzeugen. Vielfältige Blickwinkel und gegenseitige Neugier bereichern das Miteinander. Sie führen zu innovativen und besseren Arbeitsergebnissen. Dies ist ein Entwicklungsprozess, der sich lohnt.

Angelika Hölscher, Vorsitzende der Geschäftsführung der VBG

Gründe für die Unterzeichnung

Bereits im oben erwähnten Fachgespräch wurde die Frage nach einer Position und Vision der Unfallversicherung zum Thema Vielfalt aufgeworfen. Die Selbstverpflichtung auf die Charta der Vielfalt ist die Antwort. Sie drückt aus, was bei vielen Unfallversicherungsträgern Gegenstand der täglichen Arbeit ist: „Die zunehmende Vielfalt der Gesellschaft spiegelt sich nicht nur bei unseren Versicherten wider, sondern ist auch Bestandteil unseres Selbstverständnisses. Als klares Bekenntnis, diesen Weg weiter zu beschreiten, sehen wir die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt“, so der Geschäftsführer der UK BB, Dr. Nikolaus Wrage. Mit der Unterzeichnung drücken die Unfallversicherungsträger nach außen ihre Position gegenüber Vielfalt und Inklusion aus. Gegenüber der eigenen Belegschaft verpflichtet die Unterzeichnung dazu, jede und jeden mit ihren und seinen Persönlichkeitsmerkmalen wertzuschätzen und respektvoll und chancengleich zu behandeln. „Unser Ziel ist es, dass alle DGUV-Mitarbeitenden ungeachtet ihrer persönlichen Unterschiede den gleichen Zugang zu Karrierechancen haben“, sagt Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV. Sabine Kudzielka, Vorsitzende der Geschäftsführung der BG Verkehr erklärt: „Vielfalt bedeutet nicht nur Unterschiede von Menschen und ihren Lebensentwürfen zu zeigen. Es geht auch darum, Gemeinsamkeiten zu entdecken und mehr Verständnis füreinander aufzubringen“.

Wie dies zum Thema des internen und externen Dialogs gemacht werden kann, zeigt ein Erfahrungsbericht. So hat sich die BG Verkehr im vergangenen Jahr die Frage gestellt: „Wie vielfältig sind wir eigentlich?“ und eine „Woche der Vielfalt“ ausgerufen. Die Vielfalt der Beschäftigten wurde in Form von Zahlen und Grafiken im Intranet veranschaulicht. In Porträts berichteten Beschäftigte von ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religion, ihren körperlichen Einschränkungen oder ihrer Nationalität und welche Erfahrungen sie gemacht haben. Die Aktion war ein erster Schritt, die Vielfalt der Beschäftigten zu erkennen und einander besser zu verstehen. Auf diesen Schritt sollen weitere folgen.

Es wird deutlich, dass die Unterzeichnung der Selbstverpflichtung nicht als einmalige Aktion zu sehen ist. Sie stellt vielmehr den Beginn eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses im Bereich Vielfalt dar. So sagt Angelika Hölscher von der VBG: „Bereits 2017 habe ich als Vorsitzende der Geschäftsführung die Charta der Vielfalt für die VBG unterzeichnet, weil ich sicher bin, dass gelebte Vielfalt unverzichtbar ist. Die Charta der Vielfalt ist unser Kompass. Er richtet uns darauf aus, als attraktive Arbeitgeberin Menschen für die VBG zu begeistern und langfristig von uns zu überzeugen. Vielfältige Blickwinkel und gegenseitige Neugier bereichern das Miteinander. Sie führen zu innovativen und besseren Arbeitsergebnissen. Dies ist ein Entwicklungsprozess, der sich lohnt. Wir freuen uns auf ein starkes Netzwerk der Vielfalt unter den Unfallversicherungsträgern.“

Zusammengefasst zeigt sich, dass die Unternehmen mit der Unterzeichnung der Charta ihre Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass gelebte Vielfalt und Wertschätzung dieser Vielfalt eine positive Auswirkung auf ihre Organisation und auf die Gesellschaft in Deutschland haben.[5]

Weitere konkrete Handlungsansätze sowie Beispiele unterschiedlicher Branchen und Unternehmensgrößen liefern die Erfolgsgeschichten auf der Website der Charta der Vielfalt.[6]

Literatur

Charta der Vielfalt e. V.: Die Charta der Vielfalt bringt die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Diversity in der Arbeitswelt voran, https://www.charta-der-vielfalt.de/ (abgerufen am 08.02.2022).

Charta der Vielfalt e. V.: Erfolgsgeschichten, https://www.charta-der-vielfalt.de/erfolgsgeschichten/ (abgerufen am 08.02.2022).

Charta der Vielfalt e. V.: Vielfalt fair gestalten. Diversity Management für betriebliche Interessenvertretungen, Berlin 2019.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (Hrsg.): DGUV Information 206-020 Prävention kennt keine Altersgrenzen, Berlin 2021.

Vedder, G. & Reuter, J. (Hrsg.): Glossar: Diversity Management und Work-Life-Balance, 2. Auflage, Rainer Hampp Verlag, München und Mering 2008.

Zieschang, H. & Belz, T.: Diversity: Die Vielfalt in der Arbeitswelt erkennen, einbinden und schätzen. In: DGUV Forum 4/2018, Wiesbaden 2018.