Pflegende Angehörige in der Pandemie

Die Belastungen für pflegende Angehörige sind durch die SARS-CoV-2-Pandemie deutlich gestiegen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Situation war jedoch eher gering. Dennoch wurden ihre Belastungen in Studien erfasst und Maßnahmen zu ihrer Entlastung ergriffen.

In den Medien wurden Angehörige pflegebedürftiger Menschen verstärkt wahrgenommen, als es im Zuge der Corona-Pandemie zu ersten Besuchsverboten in stationären Pflegeeinrichtungen kam. Töchter, Söhne und Enkelkinder konnten ihre Eltern und Großeltern plötzlich nicht mehr besuchen. Aufgrund einer öffentlich geführten und sehr emotionalen Debatte dazu[1] wurden vielerorts Fachkommissionen eingerichtet, um ansteckungsfreie Besuche zu ermöglichen[2]. Danach verschwanden pflegende Angehörige wieder nahezu vollständig aus dem Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Wer ist also eigentlich gemeint, wenn in Deutschland von pflegenden Angehörigen gesprochen wird? 

Dieser Begriff bezeichnet in erster Linie die Angehörigen jener Menschen, die pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (PflegeVG; SGB XI) sind. Dies trifft auf circa 4,1 Millionen Personen zu.[3] Knapp 20 Prozent von ihnen werden in stationären Einrichtungen versorgt. Pflegende Angehörige kümmern sich in häuslicher Umgebung um die übrigen 80 Prozent – größtenteils ohne Unterstützung durch professionelle Dienste (siehe Grafik). Zwei Drittel der häuslich Versorgten werden von zwei oder mehr pflegenden Angehörigen betreut. Insofern kann von mehr als fünf Millionen Angehörigen ausgegangen werden, die aktiv in die häusliche Pflege eingebunden sind.[4] Hinzu kommen Angehörige von Menschen, die im Sinne des Sozialgesetzbuchs (SGB) XI noch nicht pflegebedürftig sind, aber dennoch bereits Unterstützung im Alltag benötigen. Hier wird oft von sorgenden oder unterstützenden Angehörigen gesprochen. Ihre Anzahl ist jedoch kaum zu erfassen. 

Belastungen pflegender Angehöriger zu Beginn der Pandemie

Zu Beginn der Corona-Pandemie hat das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) gemeinsam mit der Charité-Universitätsmedizin in Berlin eine Studie zur Situation pflegender Angehöriger durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im Juni 2020 veröffentlicht. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Pandemie beschrieb ein Drittel der befragten Angehörigen eine Verschlechterung ihrer Situation. Insbesondere Angehörige von Menschen mit Demenz nahmen die Auswirkungen der Pandemie als besonders belastend wahr. Zu diesem Zeitpunkt ging es in erster Linie um den Umgang mit neuen Herausforderungen wie Infektionsprävention, Händehygiene oder Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bei der Körperpflege.[5]

Dies änderte sich jedoch schnell. So berichtete das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) Anfang des Jahres 2021 über eine deutliche Verschlechterung der psychosozialen Situation pflegender und unterstützungsleistender Angehöriger bereits während der ersten Corona-Welle. Im Vergleich zu einer Befragung vor der Pandemie wurde von den befragten Angehörigen eine Zunahme depressiver Symptome um mehr als das Doppelte beschrieben. Auch das Empfinden von Einsamkeit nahm stark zu. Dabei berichteten die Befragten auch, dass sie sich während der ersten Corona-Welle mehr Unterstützung und Entlastung – insbesondere durch die eigene Familie – erhofft hatten. Das Gegenteil war jedoch der Fall, da sowohl professionelle Dienste als auch informell Unterstützende ihre Leistungen aufgrund der unsicheren Informationslage zum Infektionsrisiko stark oder ganz einstellten.[6]

Rund 20 Prozent der Pflegebedürftigen werden in stationären Einrichtungen gepflegt, die übrigen werden im häuslichen Umfeld betreut. | © Destatis
Rund 20 Prozent der Pflegebedürftigen werden in stationären Einrichtungen gepflegt, die übrigen werden im häuslichen Umfeld betreut. ©Destatis

Verängstigt und verlassen

Im Spätsommer vergangenen Jahres wurden dann die ersten Ergebnisse der Vdk-Pflegestudie vorgestellt. Der Sozialverband Deutschland e. V. (VdK) hatte die Hochschule Osnabrück mit der Durchführung beauftragt und bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits knapp 16.000 Personen (Pflegebedürftige und pflegende Angehörige) befragt worden. Der Großteil der pflegenden Angehörigen empfand die Zeit der Pandemie als stark belastend (84 Prozent). Die Befürchtung, selbst an COVID-19 zu erkranken, Spätfolgen zu erleiden oder die pflegebedürftige Person anzustecken, führte dazu, dass 87 Prozent der pflegenden Angehörigen Kontakte zu anderen Personen mieden. Mehr als ein Drittel der Pflegehaushalte nahm daher auch keine Unterstützungsangebote mehr in Anspruch. Die Situation pflegebedürftiger Personen und ihrer pflegenden Angehörigen in der Corona-Pandemie kann insofern mit der Kurzformel „verängstigt und verlassen“ beschrieben werden.[7]

Entlastung für pflegende Angehörige

Die Bundesregierung hat auf die besondere Belastung der häuslich pflegenden Angehörigen durch die Pandemie reagiert.  So wurde die Möglichkeit der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung von bis zu zehn Tagen entsprechend dem Pflegezeitgesetz (PflegeZG) pandemiebedingt auf 20 Tage ausgeweitet. Auch andere Regelungen des PflegeZG und des Familienpflegezeitgesetzes (FPfZG) wie der vereinfachte Zugang zum Pflegeunterstützungsgeld wurden zur Entlastung pflegender Angehöriger flexibilisiert. Alle diese Entlastungsmöglichkeiten sind derzeit bis Ende Dezember 2022 befristet. Andere Maßnahmen wie die Möglichkeit zur telefonischen Begutachtung bei einem Antrag auf Pflegeleistungen wurden inzwischen wieder aufgehoben.

Sicherlich trugen und tragen diese und andere Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger bei. Bezogen auf die genannten Studien mit den Kernbelastungen Vereinsamung und Verängstigung pflegender Angehöriger gibt es dennoch viel zu tun. Vermutlich muss hier in zwei Richtungen vorgegangen werden. Die VdK-Pflegestudie zeigt, dass viele Entlastungsleistungen für den Bereich der häuslichen Pflege wie Tages- und Nachtpflege, Haushaltshilfen oder alltagsbegleitende Leistungen gar nicht in Anspruch genommen werden. Einerseits liegt das daran, dass die verwaltungsformalen Hürden (etwa Antragstellung) zum Teil sehr hoch sind. Hier könnte recht leicht Abhilfe geschaffen werden. Andererseits sind viele der genannten Angebote (beispielsweise Nachtpflege) aber auch kaum oder gar nicht vorhanden. Hier gilt es, eine Verbesserung der Angebotsinfrastruktur zu schaffen. Da jedoch in der professionellen Pflege derzeit ein großer Fachpersonalmangel herrscht, sollte der Fokus zunächst auf die Erweiterung von Entlastungsangeboten gelegt werden, für die fachlich keine Pflegefachpersonen benötigt werden.

Zu guter Letzt gilt es dann noch, die Pflegehaushalte zu motivieren, vorhandene Hilfen auch anzunehmen. Einige ehemals vorhandene Angebote wurden aufgrund mangelnder Nachfrage wieder eingestellt. Sie fehlen heute. Allerdings ist hier Fingerspitzengefühl gefragt. Um Hilfe bitten und somit den eigenen Unterstützungsbedarf öffentlich machen, fällt vielen Menschen nicht leicht. Es ist auch nicht immer leicht, „fremde Personen“ in den eigenen Haushalt zu lassen. Hier sind unabhängige Beratungs- und Begleitungsangebote – wie sie auch schon vielerorts vorhanden sind – sinnvoll. Wichtig ist dann jedoch, dass nicht das Vermitteln von Hilfsangeboten im Fokus der Beratung stehen sollte, sondern das Verständnis für die individuelle Situation in der pflegenden Familie.

Diese Maßnahmen sollten auch unabhängig von der Corona-Pandemie umgesetzt werden. Die pandemiebedingt gestiegenen Belastungen pflegender Angehöriger zeigen nur auf, dass deren Entlastungsbedarfe schon seit Langem nicht zufriedenstellend bearbeitet werden.