Brüssel schlägt weitere Maßnahmen für ein starkes soziales Europa vor
Die Corona-Pandemie verstärkt die soziale Ungleichheit in bislang unabsehbarer Weise. Für Deutschland hat das Statistische Bundesamt in seinem Datenreport vom März 2021 festgestellt, dass schon im ersten Lockdown insbesondere Alleinerziehende (25 Prozent) und Selbstständige (20 Prozent) starke finanzielle Einschnitte verkraften mussten. Auf europäischer Ebene sind hierzu ebenfalls Untersuchungsergebnisse veröffentlicht worden. Sie zeigen, dass die Situation für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und verschiedene Mitgliedsstaaten teilweise noch prekärer ist. Waren schon vor der Covid-19-Krise die Bemühungen um eine wirksame soziale Sicherung auf europäischer Ebene angemessen, so sind sie angesichts der Folgen der Corona-Pandemie noch dringlicher geworden.
Mit der Säule der Sozialen Rechte (ESSR) versucht die Europäische Union (EU) bereits seit 2016 die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten innerhalb der Mitgliedsstaaten abzubauen und den geänderten Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie dem demografischen Wandel Rechnung zu tragen. Nun hat die Europäische Kommission mit einem am 4. März 2021 vorgelegten Aktionsplan zur ESSR weiterführende Kernziele und konkrete Maßnahmen in den Bereichen Beschäftigung, Kompetenzen und Sozialschutz festgelegt, die bis 2030 erreicht werden sollen. Die Stärkung der ESSR ist eine Priorität des amtierenden portugiesischen EU-Ratsvorsitzes, der dazu am 7./8. Mai einen EU-Sozialgipfel in Porto veranstaltet.
Der Schwerpunkt des Aktionsplans zur ESSR liegt auf den Themen Arbeitsplätze, Qualifikationen, Gleichheit, Sozialschutz und Inklusion. Konkrete Ziele sind beispielsweise, die Richtlinie zu Frauen in Aufsichtsräten und die Gleichbehandlungsrichtlinie anzunehmen. Im kommenden Jahr soll unter anderem ein Vorschlag für eine Ratsempfehlung zum Mindesteinkommen erarbeitet und der Qualitätsrahmen für Praktika aktualisiert werden. Für 2021 ist der Startschuss für ein Pilotprojekt geplant, bei dem anhand besonders mobiler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (zum Beispiel Grenzgänger oder Mehrfachbeschäftigte) geprüft werden soll, ob aufbauend auf der Europäischen e-ID ein so genannter European Social SecurityPass umsetzbar ist.
Eine weitere Initiative, die die Umsetzung der in der ESSR enthaltenen Grundsätze unterstützt, ist eine für dieses Jahr angekündigte gesetzgeberische Initiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten. Sie soll im vierten Quartal 2021 präsentiert werden. Am 24. März 2021 leitete die EU-Kommission hierfür die erste Phase einer Konsultation der europäischen Sozialpartner ein, die nach rund sechs Wochen abgeschlossen sein soll.
Hintergrund ist die rasante Zunahme von Plattformarbeit in immer mehr Wirtschaftszweigen der EU. Vorteile der Plattformarbeit sind Flexibilität und neue Beschäftigungsmöglichkeiten auch für Menschen, die auf dem traditionellen Arbeitsmarkt oft schwer Zugang finden. Doch sind bei bestimmten Arten von Plattformarbeit die Arbeitsbedingungen durchaus prekär - es mangelt an Transparenz oder vertraglichen Vereinbarungen, an Gesundheitsschutz sowie einem unzureichenden Zugang zum Sozialschutz. Die Corona-Krise hat den digitalen Wandel und die Verbreitung von Plattform-Geschäftsmodellen noch einmal beschleunigt. Gleichzeitig hat sich aber auch die prekäre Lage von Menschen, die in Bereichen wie der Plattformwirtschaft arbeiten, sowohl im Hinblick auf Gesundheits- und Sicherheitsrisiken als auch in Bezug auf den eingeschränkten Zugang zu Sozialschutz und Sozialleistungen weiter verschärft.
Die Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherung begrüßen den Aktionsplan zur ESSR als Chance für Europa, die Grundsätze der ESSR zu aktualisieren und an die sozioökonomischen Folgen der Pandemie anzupassen. Doch liegt die Kompetenz zur Umsetzung, auch das wurde im Aktionsplan der EU-Kommission mehrfach betont, bei den Mitgliedsstaaten. Insofern bleibt abzuwarten, welche der Vorschläge die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten beim geplanten Sozialgipfel im Mai 2021 diskutieren, annehmen und anschließend vertiefen werden.