Welche Zukunft hat Europa?

Nachrichten aus Brüssel | © Adobe Stock/somartin
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In den kommenden Monaten soll eine intensive Diskussion über die Zukunft Europas geführt werden. Brauchen wir institutionelle Reformen und wenn ja, welche? Vielleicht eine kleinere oder sogar eine größere Anzahl an EU-Kommissarinnen und EU-Kommissaren? Ist die Europäische Union ein Papiertiger und müssen eventuell europäische Entscheidungsprozesse vereinfacht werden? Oder sollten der Europäischen Union mehr Kompetenzen übertragen werden, damit sie mehr auf europäischer Ebene steuern kann? Diese und viele weitere Fragen sollen mit den Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union in verschiedenen Foren und Diskussionsreihen besprochen werden. Es sollen möglichst viele Ideen und Meinungen in den Prozess aufgenommen werden, vor allem die Bürgerbeteiligung ist Brüssel ein großes Anliegen. Denn schließlich sollen ja die Menschen im Zentrum der Politik stehen.

Mit der Eröffnungsveranstaltung am Europatag, dem 9. Mai 2021, wurde der Startschuss im Europäischen Parlament unter Beteiligung aller Präsidenten der europäischen Institutionen in Straßburg gefeiert. Das Anliegen, die Strukturen der Europäischen Union zu überdenken, ist aber nicht neu. Schon 2017 hatte der französische Präsident Emmanuel Macron zahlreiche Reformvorschläge gemacht, sie wurden aber nicht aufgegriffen und blieben unbeantwortet. Macron und die liberale Europapartei ALDE haben bei der Kommissionsbildung 2019 nach der Europawahl das Thema wieder eingebracht. Ein Handlungsbedarf wurde dann schließlich für notwendig erachtet. Einige triftige Gründe dafür lagen auf der Hand: der Austritt Großbritanniens aus der Union, das Scheitern des Spitzenkandidaten-Prinzips 2019 sowie die fehlende Einigkeit der nationalen Regierungen bei drängenden Themen wie der Flüchtlingskrise, in der Außenpolitik und beim Klimawandel. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die Konferenz zur Zukunft Europas deswegen in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen.

Ob es zu bahnbrechenden Reformen kommen wird, insbesondere durch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger aus ganz Europa, bleibt abzuwarten. Am Ende sind es ohnehin wieder die Mitgliedstaaten, die die Entscheidung über das Ob und Wie treffen werden. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass es zu tiefgreifenden Änderungen für die Sozialversicherung kommen wird. Dennoch wird sicherlich die Diskussion über eine Kompetenzverschiebung im Gesundheitsbereich intensiver fortgeführt werden. Seit der Corona-Krise werden Stimmen lauter, Europa statt einer nur koordinierenden, eine zunehmend zentrale Steuerungsfunktion zu übertragen, besonders bei der Bekämpfung von Pandemien. Den Befürworterinnen und Befürwortern ist jedoch klar, dass dafür Vertragsänderungen erforderlich werden. Ob dies alle 27 Mitgliedstaaten mittragen würden, ist fraglich. Die EU hat bereits auf die ihr zugeteilte Kritik reagiert und den Bürgerinnen und Bürgern eine „Europäische Gesundheitsunion“ versprochen. Die daraufhin gemachten Vorschläge zielen auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren sowie auf eine Stärkung verschiedener europäischer Agenturen. Die Europäische Kommission bewegt sich damit im Wesentlichen im Rahmen der geltenden Kompetenzen.

Grundsätzlich ist zu beobachten, dass gesundheitspolitische Themen in den vergangenen Jahren auf europäischer Ebene immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Neben der Europäischen Kommission haben auch zunehmend Abgeordnete des Europäischen Parlaments diese Themen im Blick und drängen auf eine besondere Behandlung gesundheitspolitischer Initiativen. Dies wurde zuletzt an der Einrichtung des Sonderausschusses Krebs (BECA) im Europäischen Parlament deutlich, aber auch durch die Initiative des polnischen Europaabgeordneten Andrzej Halicki (EVP), einen Unterausschuss Gesundheit im Europäischen Parlament zu gründen. Dadurch sollen die gesundheitspolitischen Themen intensiver und unabhängig vom Hauptausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit diskutiert werden. Dass diese Initiative aus Polen kommt, ist nicht überraschend, da das Thema „Gesundheit“ im vergangenen Jahr ein nationales Politikum war. So wurde auch der Vorsitz des BECA mit dem Polen Bartosz Arłukowicz (EVP) besetzt.

Es bleibt spannend, wie sich die Diskussion auf europäischer Ebene entwickeln wird.