Beratung und Überwachung in Zeiten der Coronaepidemie – Erfahrungen der Unfallkasse NRW
Im Frühjahr 2020 brach die Coronaepidemie über Deutschland herein und veränderte das Leben in vielen Bereichen, privat wie beruflich. Sie hatte auch erhebliche Auswirkungen auf die Präventionsarbeit der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen (UK NRW) in den Feldern Beratung und Überwachung.
Am Beginn der Epidemie gab es viele Fragen und lebhafte Diskussionen hinsichtlich der geeigneten Vorgehensweise: Wie sollen die Unfallversicherungsträger handeln im Hinblick auf die von der Politik und der Wissenschaft so dringend geforderte Kontaktminimierung? Soll die Arbeit im Außendienst, von ganz wichtigen Anlässen wie zum Beispiel der Untersuchung schwerer oder tödlicher Unfälle abgesehen, möglichst vermieden und stattdessen nur telefonisch und schriftlich beraten werden? Oder müssen die Unfallversicherungsträger nicht gerade in dieser auch für die Mitglieder besonders herausfordernden Situation– auch vor Ort – zur Verfügung stehen?
Diesbezüglich gab es eine schnelle Entwicklung. Standen in den ersten Wochen noch telefonische und schriftliche Beratungen im Vordergrund, so wurde bald deutlich, dass das einerseits aus präventiver Sicht dem Bedarf nicht gerecht wurde und andererseits auch vonseiten der Selbstverwaltung, der Geschäftsführung und „der Politik“ mehr, nämlich auch Überwachung vor Ort, erwartet wurde.
Diese Erwartungen wurden unter anderem bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV, sowie von den politisch Verantwortlichen in Nordrhein-Westfalen beispielsweise im Zusammenhang mit dem Coronaausbruch in der fleischverarbeitenden Industrie klar geäußert.
Außendienst überwacht und berät auch während der Epidemie
In der Folge wurde daher auch der Außendienst wieder forciert. Ein geeignetes Handlungskonzept für die sichere Durchführung des Außendienstes war dafür die Voraussetzung. Im Blick musste dabei der Schutz sowohl der Beschäftigten und Versicherten als auch der anderen Gesprächsteilnehmenden sein. Eine gute Grundlage für dieses Konzept bot und bietet der Musterhandlungsleitfaden „Überwachung und Beratung während der Corona-Epidemie“ der DGUV (siehe Beitrag „Überwachung und Beratung in der SARS-CoV-2-Epidemie“). Er wurde an die Belange der UK NRW angepasst und wird seitdem auch für die Fortschreibung des Konzepts der UK NRW herangezogen.
Eine besondere Herausforderung bei der Beratung und Überwachung ist die äußerst dynamische Entwicklung des Wissens über das Coronavirus und die COVID-19-Erkrankung. Sie hat eine ständige Aktualisierung der Vorgaben, Regelungen und Empfehlungen bezüglich der zu treffenden Schutzmaßnahmen zur Folge. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Vielzahl von Behörden und Institutionen zuständig ist. Von den Aufsichtspersonen zu berücksichtigen sind in Nordrhein-Westfalen beispielsweise:
- Gesetze, Verordnungen, Regeln und Standards auf Bundesebene
- Coronaverordnungen des Landes Nordrhein-Westfalens
- Regelungen der für das Gesundheitswesen und den Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden
- Vorgaben des Innenministeriums für die Feuerwehr
- Vorgaben des Ministeriums für Schule und Bildung zum Betrieb der Schulen
- Vorgaben des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration zum Betrieb der Kindertageseinrichtungen
- Empfehlungen der jeweiligen Sachgebiete der DGUV
Leider sind die Vorgaben, die sich aus den vielen Vorschriften ergeben, nicht immer abgestimmt und für die Unternehmen nicht immer schlüssig.
Dies macht es nicht leicht, den Überblick zu behalten und sachgerecht zu handeln, und erfordert Flexibilität bei der Beratung und Überwachung. Für die UK NRW ergeben sich zwei Anforderungen: Einerseits ist zur Vermeidung voneinander abweichender Empfehlungs- und Regelungsinhalte eine intensive Abstimmung mit den zuständigen Landesbehörden anzustreben, andererseits muss ein Wissensmanagement innerhalb der Unfallkasse organisiert werden, um den Aufsichtspersonen Anhaltspunkte und Hilfen an die Hand zu geben.
Eine gut funktionierende Zusammenarbeit gibt es beispielweise mit dem Landesinnenministerium bezüglich der zu treffenden Schutzmaßnahmen im Bereich der Feuerwehr. Das Ministerium hält die allgemeinen Empfehlungen der Gesundheitsbehörden und der UK NRW für ausreichend und hat die eigenen Hinweise schon frühzeitig zurückgezogen.
Herausfordernde Situation im Schulbereich
Als besonders wichtig, aber auch zeitaufwendig, hat sich der regelmäßige Austausch mit dem Ministerium für Schule und Bildung und den kommunalen Interessensvertretungen bezüglich der Maßnahmen und Empfehlungen zum Betrieb der Schulen erwiesen. Hier wird immer wieder intensiv um eine Abstimmung gerungen, da die Situationen in den Schulen wegen der großen Anzahl an Versicherten auf engem Raum und wegen unterschiedlicher Zuständigkeiten (innerer und äußerer Schulbereich) sehr herausfordernd sind.
Der aktuelle Wissensstand zum Thema Coronaepidemie wird in der UK NRW für die Prävention an zentraler Stelle, intern „Corona-FAQ“ genannt, dokumentiert und den Beschäftigten der Prävention zur Verfügung gestellt. Dort finden sich Vorschriften und Regelungen ebenso wie abgestimmte Hausmeinungen zu häufig gestellten Fragen sowie Infos und Links zu geeigneten Hilfsmitteln und Materialien.
Nach unseren Erfahrungen sind hinsichtlich der Coronaepidemie das Gesundheitsbewusstsein der verantwortlichen Führungskräfte in Unternehmen und Organisationen sowie das Bemühen um angemessene Infektionsschutzmaßnahmen – und damit auch der Unterstützungsbedarf durch die UK NRW – in vielen Fällen hoch. Das spiegelt sich in einem Boom bei den Beratungsanfragen wider. Eine Auswertung ergab, dass sich die Zahl der telefonischen Anfragen im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren vervielfacht hat. Neben der zu bewältigenden Anzahl an Beratungsanfragen waren in manchen Fällen auch die Intensität und fachliche Tiefe der Beratung für die betroffenen Präventionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter eine Herausforderung. Diskussionen mit besorgten und zum Teil sehr kritischen Eltern über Nutzen und Risiko des Tragens von Masken in der Schule, die insbesondere auf Fehlinformationen in den sozialen Medien zurückzuführen waren, sind hier als zugegebenermaßen extremes Beispiel zu nennen. Weitere häufig gestellte Fragen betrafen beispielsweise das infektionsgerechte Lüften, die Verwendung von Desinfektionsmitteln oder den Arbeitsschutz im Homeoffice.
Hinsichtlich der Überwachungen hat die UK NRW es sich zum Ziel gesetzt, in Betrieben, in denen ein besonderer Bedarf zu erwarten ist, stichprobenartig die Umsetzung der Coronaschutzmaßnahmen zu überprüfen. Dabei wurde im vergangenen Jahr zum Zwecke der Kontaktminimierung deutlich stärker als bisher mit telefonischen und schriftlichen Abfragen gearbeitet. Ergaben sich dabei Anhaltspunkte für einen weiteren Handlungsbedarf, wurden ergänzende Besichtigungen durchgeführt. Die Resonanz der Mitgliedsunternehmen auf die Überwachungen war gemischt. Positive Rückmeldungen gab es ebenso wie Bemerkungen, dass man gerade jetzt doch Wichtigeres zu tun habe.
Als Fazit ist festzustellen, dass sich die UK NRW infolge der Epidemie in einem kontinuierlichen Lernprozess befindet. Gewohnte Verfahrensweisen werden überdacht und bei Bedarf angepasst. Einiges davon wird sicher auch nach der Epidemie Bestand haben.